laut.de-Kritik

Ein weiterer schöner Fund aus dem Archiv, diesmal von 1977.

Review von

1976 werkelte Neil Young an der Mutter aller Retrospektiven, "Decade", die er im Gegensatz zu den üblichen lieblosen Best-Ofs persönlich zusammenstellte, mit alternativen Versionen und unveröffentlichtem Material anreicherte und dazu noch wortreich kommentierte. Dabei stieß er auf allerlei Stücke, die er in den Jahren zuvor aufgenommen hatte und die er zunächst als "Chrome Dreams" veröffentlichen wollte. Schließlich änderte er Cover und Tracklist und brachte ein Album namens "American Stars 'n Bars" heraus, das im Mai 1977 erschien. Noch vor "Decade", das pünktlich zum Weihnachtsgeschäft erst im Oktober 1977 herauskam.

"Chrome Dreams" wanderte, wie so vieles, unveröffentlicht in Youngs Archiv. Mindestens eine Probepressung war jedoch in den Umlauf gekommen, die dann auch eifrig gebootlegged wurde. Dazu erschienen alle Stücke auf späteren Alben, weshalb die offizielle Veröffentlichung 46 Jahre später keine wirkliche Sensation ist. Kenner dürften sich jedoch freuen, zum Teil alternative Versionen in gewohnt hervorragender Audioqualität zu hören.

Die Tracklist ist klasse. "Like A Hurricane", 1975 mit Crazy Horse aufgenommen und als eines von fünf Stücken auch auf "American Stars 'n Bars" erschienen, ist nach wie vor ein Höhepunkt in Youngs Liveprogramm. Die ebenfalls starken "Pocahontas", "Sedan Delivery" und "Powderfinger" kamen 1979 auf dem Meilenstein "Rust Never Sleeps" heraus, das erste mit zusätzlichen Overdubs, die anderen rockiger und schneller. Während "Sedan Delivery" hier noch arg wir ein Demo klingt, hat die Soloversion von "Powderfinger" durchaus ihren Reiz, zumal Young dazu auch eine schönes Video in Sepiatönen veröffentlicht hat.

Von den weiteren Stücken tauchte "Too Far Gone" erst 1989 auf "Freedom" auf, "Stringman" stellte Young schließlich 1993 bei MTV in einer Unplugged-Session vor. Wie gewohnt macht es Spaß, diese Geschichten zu verfolgen, doch auch ohne große Kenntnisse der Youngologie bereitet "Chrome Dreams" Freude. Einerseits wegen der Qualität der Stücke, andererseits wegen der verschiedenen Stile, mal rockig mit der ergebenen Begleitband Crazy Horse, mal ruhiger mit Country-Gitarre oder Klavier. Einige Stücke entstanden im Promi-Ort Malibu bei Los Angeles, andere auf Youngs weitläufiger Ranch Broken Arrow. "Stringman" ist eine gepimpte Liveaufnahme aus London, "Star Of Bethlehem" entstand mit Session-Musikern in Nashville, unter ihnen Emmylou Harris.

In den 1970er Jahren sprudelten die Lieder aus Young nur so heraus, auch wenn ihm sein Status als Superstar, private Schwierigkeiten und Drogen zunehmend zusetzten. "We had drugs, we had booze, but we still had something to lose. And by dawn I wanted to marry you", besingt er eine wilde Nacht in "Too Far Gone". Dass seine Kreativität keinen Schaden nahm, davon legt "Chrome Dreams" auch diesmal ein hörenswertes Zeugnis ab.

Trackliste

  1. 1. Pocahontas
  2. 2. Will To Love
  3. 3. Star Of Bethlehem
  4. 4. Like A Hurricane
  5. 5. Too Far Gone
  6. 6. Hold Back The Tears
  7. 7. Homegrown
  8. 8. Captain Kennedy
  9. 9. Stringman
  10. 10. Sedan Delivery
  11. 11. Powderfinger
  12. 12. Look Out For My Love

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