laut.de-Kritik

Der Godfather of Grunge gibt sich versöhnlich und altersmilde.

Review von

Neil Young taucht ab in seine eigene Vergangenheit und kommt mit einem erfrischenden Sound zurück. Auf "Storytone" klingt der Godfather of Grunge dieses Mal ungewohnt elegant und harmonisch.

Rastlos wie immer veröffentlicht der 68-jährige Hippie-Veteran mit "Storytone" schon sein zweites Album dieses Jahr. Doch einen größeren Quantensprung zu "A Letter Home", das Anfang des Jahres erschien, hätte man sich kaum vorstellen können. "A Letter Home" war ein rustikales Low-Fi Album, produziert vom Garagen-Blueser Jack White. Authentisch und puristisch wurde es in einer Art Telefonzelle von 1947 aufgenommen (Der Voice-O-Graph war damals eigentlich dafür gedacht, Nachrichten zu übermitteln) und war mit seinem Rauschen und anderen Störgeräuschen selbst für Young-Jünger eine musikalische Herausforderung. Doch genauso wie "A Letter Home" hat "Storytone" einen nostalgischen Touch.

"Storytone" fordert einen auf eine andere Art heraus. Neil Young singt nicht mehr einsam in der Telefonzelle, sondern hat ein 90-köpfiges Orchester um sich versammelt. Und das begleitet ihn auf seiner Revue durch viele Genres. Als Bonus gibt es beim Doppelalbum aber auch alle Songs ohne Orchester. Diese Investition lohnt sich, wenn man es puristischer mag. Mittendrin, zwischen Streichern und Bläsern hat sich der Eigenbrötler und Individualist Neil Young eingenistet. Und komischerweise funktioniert es: Die schräge Mundharmonika passt zum sanften Orchester. Die teilweise schiefe Falsett-Stimme harmoniert mit den Streichern. Auch wenn Neil Young mit seiner markanten Stimme einen Hang zum Nicht-Perfekten hat und nicht immer die richtigen Töne treffen will. Doch dadurch schafft er den Spagat zwischen Country und Klassik, ohne dabei kitschig zu klingen.

"Plastic Flowers" könnte vom Songwriting aus der "After The Goldrush"-Zeit stammen. Der Orchester-Klang macht deutlich, wohin die Reise gehen soll. Noch früher zurück zu den Anfängen von Young in seiner Zeit bei Buffalo Springfield. Damals war Jack Nitzsche dafür verantwortlich, dass die Folk-Musik mit Orchester-Arrangements angereichert wurde.

Bei "Storytone" übernimmt nun der deutsche Arrangeur Chris Walden diese Aufgabe. Doch Walden hat nicht den Fehler gemacht, das Album überzuproduzieren. Laut Young wurden die Aufnahmen im Nachhinein nicht groß bearbeitet. Entweder sie saßen oder nicht. Trotzdem besticht das Album mit fein ausgearbeitetem Sounddesign. Die Arrangements sind dezent, auch wenn der pathetische Anfang des Albums etwas anderes vermuten lässt. Es gibt keinen Ton oder Feedback zu viel, wie bei anderen Noise-Exkursen von Young. Das einzig wilde Element, das bleibt, ist die Mundharmonika, die hier und dort ausbricht aus den harmonisch arrangierten Songstrukturen. Und bei "I Want To Drive My Car" gibt es ausnahmsweise dröhnende Fuzz-Gitarren.

Insgesamt ist "Storytone" also ein Album der leisen und bedächtigen Töne geworden. Harfen oder auch gedämpfte Glockenspiele sprudeln hier und da hervor und auch eine Mandoline kommt bei "Tumbleweed" zum Einsatz. An diesen Stellen droht das Album dann doch kurzfristig im Kitsch zu versinken. "Tumbleweed" erinnert an eine Disneylandschaft, in deren bambihafter Natur es sich der gute alte Onkel Neil mit seiner Mandoline gemütlich gemacht hat.

So könnten auch die ersten, bedrohlichen Takte von "Who's Gonna Stand Up" aus dem "Fluch der Karibik"-Soundtrack stammen. "Who's Gonna Stand Up" prangert Fracking und andere umweltpolitische Verfehlungen der USA offen an und bildet so die Hymne des Albums, was durch den Chor verstärkt wird; dieser proklamiert: "Let's build the green and save the World, we're the people known as earth". Wie diese Weltverbesserung konkret auszusehen hat, demonstrierte Neil Young indem er seine Autoflotte im Nachhinein mit Biohybrid-Motoren ausstatten ließ.

So verwundert es dann auch nicht allzu sehr, dass es im nächsten Lied auf einmal heißt "I Want To Drive My Car". Das Autofahren muss also, laut Young, nicht im Widerspruch zum Umweltengagement stehen. Dabei war Young schon immer für Widersprüche zu haben. Auch seine patriotischen Statements sorgten schon mal für Verwirrung, etwa wenn er Konzerte in Deutschland mit der deutschen Nationalhymne eröffnete.

Neben dem Boogie-Woogie Ausflug bei "I Want To Drive My Car" - wo seine Stimme tief und rau wie bei Johnny Cash klingt - huldigt Neil Young in "Say Hello To Chicago" außerdem dem alten Big-Band-Zeitalter. Neil Young gibt sich dort als Entertainer ganz im Stile von Frank Sinatra. Neil Young als Dandy? Kaum vorstellbar. Es scheint als habe er das Holzfällerhemd gegen einen Tweed-Anzug eingetauscht. Und er murmelt nicht in sich hinein, sondern singt klar und deutlich. Das ist erfrischend, denn neu erfinden muss sich Neil Young nun wirklich nicht mehr, das hat er oft genug getan. Mit einer gewissen Coolness war er in den 1970ern ganz nebenbei Vorreiter von Grunge und Dreampop. Deswegen wirkt "Storytone" auch nicht so konservativ, wie die Orchester-Verpackung vermuten lassen könnte. Er kehrt bei "Storytone" einfach zurück zu seinen Wurzeln und sogar noch ein Stück weiter zurück in die Vergangenheit.

So schließt sich dann auch der Kreis zu der Zeit, in der Young vor einem halben Jahrhundert seine Laufbahn startete. Er wirkt versöhnlich und altersmilde. Von seiner einstigen Wut ist auf "Storytone" nichts zu spüren. Sang er vor zwei Jahren auf "Psychedelic Pill" noch resigniert und mürrisch - vom Qualitätsverlust in der Musik durch MP3s - scheint er jetzt fast optimistisch. Aber immer noch zerbrechlich. "I'm Glad I Found You" dreht sich um seine neue Liebe zu Daryl Hannah, "Glimmer" zollt Respekt an seine Ex-Frau Pegi, von der er sich vor Kurzem trennte. Bei "When I Watch You Sleeping" und "All Those Dreams" verschwimmt die Grenze zwischen Wachzustand und Schlaf, zwischen Traum und Realität driftet Neil Young davon.

Nicht nur durch den offenen Umgang mit seinem Liebesleben ist "Storytone" eines der persönlichsten Alben von Neil Young geworden. "Storytone" zeigt, dass Young ein Allround-Talent ist, der - egal ob unplugged, verstärkt oder mit einem Orchester - immer der Fels in der Brandung der anderen Musiker bleibt. Gerade die leichten Streicher lassen Young als schweren Gegenpol, als eine Art amerikanischen Buddha erscheinen, der auch nicht durch derartige Opulenz die Bodenhaftung verliert.

Trackliste

  1. 1. Plastic Flowers
  2. 2. Who's Gonna Stand Up?
  3. 3. I Want To Drive My Car
  4. 4. Glimmer
  5. 5. Say Hello To Chicago
  6. 6. Tumbleweed
  7. 7. Like You Used To Do
  8. 8. I'm Glad I Found You
  9. 9. When I Watch You Sleeping
  10. 10. All Those Dreams

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