Die Blondie-Sängerin schreibt in ihrem Buch "Face It" über ihre Erfolge, ihre Sexualität und über die dunklen Seiten ihrer Karriere.

New York (rnk) - "Meine Rolle war die einer sehr femininen Frontfrau einer männlichen Rockband in einem klaren Macho-Umfeld. Mein Blondie-Charakter war eine aufblasbare Puppe mit einer dunklen, provokanten, aggressiven Seite. Ich habe diese Rolle nur gespielt, sie war aber absolut ernst gemeint", schreibt Deborah Harry in ihrer Autobiografie "Face It - Die Autobiografie" (Heyne Hardcore, 432 Seiten, gebunden, 25 Euro).

Als Arbeitstitel hatte sie noch "Perfect Punk" und natürlich "Heart Of Glass" angedacht, die Wahl fiel aber letztendlich auf "Face It", weil sie den nicht immer schönen Tatsachen der Realität stets ins Auge blickte. "Da ich zu alt, zu klaustrophobisch und zu schlecht in Mathe bin, kann ich nicht ins All fliegen, sondern muss mich damit begnügen, meine Innenwelt zu erforschen." Selten hat jemand sein Buch mit so großer Sachlichkeit und Ehrlichkeit beschrieben.

Autobiografien beschäftigen sich für gewöhnlich mit der schwierigen Kindheit eines Künstlers und nehmen diesen als Einfluss auf das spätere Schaffen. Die Blondie-Sängerin dagegen beschreibt ihre Kindheit in dem ruhigen Vorort Paterson (New Jersey) als idyllisch, warm und behütet. Weder ein zur Liebe unfähiges Elternteil noch bittere Armut bereiten ihr frühtraumatische Erlebnisse. Debbie Harry beschreibt sich als verträumten Wildfang, das als Mädchen schon früh von einem Leben als Star träumt. Marilyn Monroe ist ihr Vorbild, die wie Debbie als Pflegekind aufwuchs. Debbies Charakter "Blondie" ist stark an die legendäre US-Schauspielerin und Sängerin angelehnt.

Paterson, das Kindheits-Idyll, wird mit jedem Jahr bedrückender und zu klein für ein junges Mädchen mit Ambitionen. Anspruch auf ein selbstbestimmtes Leben als Frau gibt es hier nicht. Die Frauen im Ort beugen sich ihrer Rolle als devote Hausfrau. New York, zum Glück immer mit der Bahn schnell erreichbar, entwickelt sich schnell zum Sehnsuchtsort.

Das Provinz-Kind in der großen Stadt. Wer erinnert sich nicht gerne an diesen Moment der ständigen Überforderung und des Rausches. LSD-Papst Timothy Leary doziert an Debbies College und bringt Studenten*innen bei, wie sie schnell mit seinen Anleitungen über die Grenzen des Bewusstseins gelangen. Debbie ist eine junge, charmant-chaotische Frau auf Identitätssuche. Die führt sie schnell in die Clubs und die Künstlerszene New Yorks. Liveauftritte von Lou Reed und Velvet Underground, Andy Warhol und John Cale sind erste musikalische Berührungspunkte. Alles ist möglich: Ein Job als Bedienung und schon nimmt man die Bestellung von Miles Davis auf. Das Engagement als Playboy-Bunny bleibt dagegen überraschend unspektakulär. Alle verhalten sich gesittet und nicht aufdringlich.

Doch sind es zwei starke Frauen, die Harry als besonders prägend für die spätere Karriere empfindet: Janis Joplin in ihrer extrovertierten Sinnlichkeit und Nico als unnahbare Künstlerin. Der nächste Schritt ist die Gründung einer eigenen Band namens Willows, deren Bänder wohl heute noch im Internet auftauchen und laut Harry aufgrund ihrer überschaubaren Qualität absolut keiner Suche bedürfen.

"Ich bin Punk und es werde es immer sein", ist eine interessante Aussage, zumal nicht wenige ihrer Blondie-Kollegen nach dem poppigen New Wave-Sound des fünften Albums "Autoamerican" (1980) keine Wurzeln mehr in der Szene sehen. Die Plattenfirma reagiert entgeistert und bezeichnet es allen Ernstes als "Album ohne Hits". Später werden sämtliche Singles daraus weltweit große Erfolge, darunter der Pop-Reggae "The Tide Is High" und das innovative "Rapture", eine Mischung aus Post-Punk, New Wave und dem damals noch sehr neuen Underground-Genre Hip Hop. Debbie rappt in einem Part und verschafft der Kultur zu einem großen Bekanntheitsgrad. Es ist vielleicht nicht der erste Rap-Song, unbestritten ist aber der Einfluss und die Anerkennung aus der Hip Hop-Szene für diese Pionierleistung.

Sehr interessant ist die Sprache, mit der Deborah Harry ihre Sexualität beschreibt. Sie ist fordernd, objektfixiert wie die Männer und beschreibt Sex mit wenig romantischen Sätzen: "Er griff nach meinen Brüsten und spielte mit meiner Pussy". Das süße Blondie-Girlie mit dem Engelsgesicht möchte sie eindeutig nicht sein, stattdessen schnappt sie sich was gefällt. Wie sich eine Frau in einer männlich dominierten Gesellschaft zu verhalten hat, lässt sie sich nicht von Typen vorschreiben.

Die beschworene dunkle Seite, die sie bei Blondie nicht ausleben kann, kommt 1983 im Kultfilm "Videodrome” von David Cronenberg zum Vorschein. Die explizite Darstellung von Gewalt sorgt in Deutschland jahrelang für eine Indizierung, die tatsächlich erst 2018 komplett aufgehoben wurde.

Eine spätere Heroinsucht gehört ebenfalls zu den dunklen Kapiteln ihres Lebens, ebenso wie die Vergewaltigung durch einen Obdachlosen. Die wird mit einer teils verstörenden Sachlichkeit protokolliert und nicht weiter emotional behandelt. Wahrscheinlich ein Kniff, um dem Täter nicht noch mehr Raum zu geben, aber in seiner lakonischen Abhandlung auch verwirrend. Was auch auf das Buch insgesamt zutrifft, da Harry ihre Seelenwelt vor allem distanziert abhandelt.

Als "kinoreife Story" beschreibt Heyne Hardcore das Buch, was leider so nicht stimmt. Die Thematik liefert zwar in der Tat eine (alb)traumhafte Vorlage, aber Harrys Informationsdichte erschlägt einen bisweilen und vermittelt letztlich eher den zähen Eindruck einer New Wave-Enzyklopädie.

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