2017 ist jeder Tag Frauentag, mit 365 Interpretinnen und Bands, sortiert nach Genres. Heute mit Vorreden von Tori Amos und Steven Wilson.

Konstanz (skb) - Frauen stoßen auch heute noch ständig auf Vorurteile, haben es als Musikerin, Produzentin und Managerin schwerer. Um allen Zweiflern zu zeigen, welch großartige Künstlerinnen es dort draußen gibt, servieren wir euch einmal im Monat eine Liste, die euch Interpretinnen und weiblich besetzte Bands aus den verschiedenen Genres näher bringt.

Damit kommen ich auch schon zum problematischen Punkt der Serie: die Genres. Unverschämterweise weigern sich manche Künstlerinnen nachhaltig, sich in Schubladen pressen zu lassen. So müsste diese Folge eigentlich "Großartige, aber sicher nicht alle Rock, Blues-Rock, Art-Rock und Folk-Legenden und Vorreiterinnen aus den 1960ern und 1970ern, ergänzt um Country, Beat Music und einige nicht weniger tolle Nachfolgerinnen aus den 1980ern" heißen. Das wäre aber wohl noch weniger griffig als ...

... 30 + 1 Frauen aus (Art-)Rock und Folk

Welche Probleme die staubigen Ansichten der Herren den Wegbereiterinnen bereiten, spiegeln auch meine Schwierigkeiten, jemanden zum Schreiben eines Vorworts für diese Folge zu bewegen. Ein bebrillter Deutschrock-Hochschullehrer, der sich selbst als wandelndes Musiklexikon betrachtet, winkte schnell ab: "In dieser speziellen Sache stecke ich zu wenig drin, um eine fundierte Aussage zu treffen." Die offensiv vor sich hergetragene Allwissenheit endet offenbar an der Geschlechter-Grenze.

Ein ehemaliger Schlagzeuger einer der einflussreichsten Rock-Bands des Landes meinte, man brauche eine Lupe, um im Rock, Art-Rock und Folk Frauen auszumachen. "Das sind die Domänen langweiliger Jungs. Das ist einer der Gründe, warum ich an dieser Musik schon vor langer Zeit das Interesse verloren habe. Deshalb wüsste ich auch nicht, was ich da zu sagen hätte." Junge, mach die Glubscher auf und wirf einen Blick auf diese Serie: Frauen sind überall.

Wenn von den im Vorgestern stehengebliebenen Kerlen in Deutschland eben keiner mag, denke ich halt größer. Steven Wilson zeigte sich umgehend bereit, mit uns über das Thema zu sprechen. Da ich gelegentlich an Größenwahn leide, ging gleich drauf die Anfrage an eine der größten Musikerinnen der letzten 30 Jahre raus. Und, schau an: Tori Amos hat auch etwas beizutragen.

Tori Amos:

Wenn man sich heutzutage mit Frauen in der Musik beschäftigt, wird man schnell feststellen, dass es nur noch wenige weibliche Songwriter gibt, die eine große Plattenfirma im Rücken haben. Es gibt unheimlich viele hochtalentierte Sängerinnen da draußen, die eigene Songs schreiben und auf die großen Bühnen drängen. Aber für die großen Labels geht es momentan mehr um Show und Entertainment. Für mich ist das eine sehr beunruhigende Entwicklung. Ich schätze die Künstlerinnen, die heutzutage große Hallen füllen und das Publikum unterhalten. Sie machen das toll. Aber das hat alles nur noch wenig mit der Künstlerin selbst zu tun. Die meisten Songs, die vorgetragen werden, wurden von professionellen Songwritern geschrieben. Dadurch verliert das Ganze an künstlerischer Authentizität.

Mir fällt eigentlich nur der Country-Bereich ein, wenn es um eine ausgewogene und faire Verteilung geht. In der Country-Szene werden keine Unterschiede gemacht. Wenn man dort als weibliche Interpretin etwas zu sagen hat, dann öffnet das Genre seine Türen. Man wird dort auch nicht fallen gelassen. Eine Dolly Parton beispielsweise spielt immer noch ganz oben mit, und sie ist nicht die Einzige. Im Alternative-Bereich hingegen haben es gerade ältere Frauen wesentlich schwerer.

Ich weiß nicht, ob es vor zwanzig oder dreißig Jahren einfacher war, Fuß zu fassen. Ich weiß nur, dass es damals wesentlich mehr echte Songwriter unter den weiblichen Künstlern gab, die große Plattenfirmen an ihrer Seite hatten. Heute geht es, wie gesagt, mehr um die Show. Und ich meine jetzt nicht die ganzen Vegas-Produktionen. Künstlerinnen wie Celine Dion oder Jennifer Lopez spielen in einer anderen Liga.

Natürlich gab es immer wieder Momente, in denen ich es als Mann einfacher gehabt hätte. Für eine Künstlerin über 50 ist es ein stetiger Kampf. Es gibt schon Gründe dafür, dass heutzutage weit mehr ältere Männer als Frauen im Musikbusiness unterwegs sind. Es liegt aber nicht daran, dass es nicht genug Frauen gibt, die das Zeug dazu hätten. Es ist einfach so, dass Männer bei den großen Labels ein besseres Standing genießen.

Ich kämpfe jeden Tag meines Lebens für eine gleichberechtigte Musikwelt und dafür, dass sich das Blatt irgendwann wieder wendet. Und ich bin mir meiner Stärken bewusst. Ich weiß, was ich kann. Und genauso motiviert und kämpferisch präsentieren sich auch viele andere Kolleginnen. Das ist die Basis. Aber es muss natürlich auch ein Umdenken in den Bereichen stattfinden, in denen an den Strippen gezogen wird.

Steven Wilson:

Was ich an Frauen in der Musik besonders schätze, ist, dass sie weniger besessen von Genres sind. Denkt nur einmal an einige der größten Künstlerinnen der Geschichte: Björk, Kate Bush, Joni Mitchell – sie errichten ihr eigenes musikalisches Universum. Sie müssen nicht zu einem bestimmten Genre gehören. Sie sind nicht Metal oder Progressive oder Pop, sie schaffen einfach Werke. Heute gibt es eine Menge starke weibliche Stimmen in der Musik, so viele Talente, und es werden immer mehr. In letzter Zeit habe ich viel mit Sängerinnen zusammengearbeitet, mit Ninet Tayeb und Sophie Hunger. Und ich finde, meine Songs hatten schon immer ein gewisses weibliches Empfindungsvermögen.

Es ist schade, dass Frauen einigen Subkulturen – wie Metal und Progressive Rock – als Novum gesehen werden. Während es in der großen Popszene recht ausgeglichen ist, sind einige Szenen so männerdominiert, dass es immer heraussticht, wenn eine Frau dabei ist. Das kann aber durchaus positiv sein: Sie bekommen viel mehr Aufmerksamkeit, was ihnen, wären sie Männer, vielleicht verwehrt geblieben wäre. Die Kehrseite dessen ist natürlich, dass sie dabei nicht notwendigerweise für ihre Kunst anerkannt werden. Das geht also in beide Richtungen, aber ich bilde mir ein, dass das weniger und weniger wird und die meisten inzwischen auf die Fähigkeiten blicken.

Tatsächlich glaube ich, dass Sexismus im Prog kein großes Thema ist. Jedenfalls habe ich bewusst noch kein Problem wahrgenommen. Auf der vergangenen Tour hat mich zum Beispiel Ninet Tayeb begleitet und es war ein Riesenerfolg – weil sie eine unglaublich talentierte Sängerin ist! Klar, sie sieht auch gut aus, was nett ist. Aber letztendlich geht es bei Musik um künstlerische Integrität und darum, ob du als Performer und Künstler überzeugst. Die Fans schätzen Ninet nicht, weil sie eine Frau ist, sondern weil sie immensen Respekt vor ihr als Sängerin haben. Sie ist faszinierend. Und genau so sollte ein Künstler sein: etwas mysteriös, talentiert, auch ein wenig sexy – das ist ja nicht unbedingt etwas Schlechtes in der Popwelt. All das gilt für Männer genauso. Sexiness und Sinnlichkeit sind wichtige Bestandteile der Rockstar/Popstar-Gleichung. Ich finde faszinierend, wenn Charisma und Talent zusammenfallen – dann hast du einen richtigen Star. Kate Bush und Björk sind tolle Beispiele dafür: Charisma, Talent, etwas Sexiness, großartige Künstler. Bei den Männern gilt dasselbe – das sind richtige Pop- beziehungsweise Rockstars.

Und ja, ich glaube, es gibt einen Unterschied zwischen Frauen und Männern in der Musik. Das ist natürlich sehr weit gefasst, aber du stößt viel seltener auf Musikerinnen, die daran interessiert sind, schnell und technisch zu spielen, nur um schnell und technisch zu sein. Klar gibt es Ausnahmen, aber generell würde ich sagen, du triffst deutlich weniger Frauen, die mehr an Technik als an Emotion interessiert sind. Sich an Technik und Geschwindigkeit aufzuhängen und dabei die Wichtigkeit von Emotion, Raum und Stille in der Musik zu vergessen ist, glaube ich, eher ein Männer-Ding. Das ist wohl einfach natürlich bedingt: Wir Männer werden eher nerdy. Männer werden viel wahrscheinlicher zu Sammlern – egal ob Vinyl, CDs, Filme oder Briefmarken. Wir haben einfach andere DNA.

Man sagt ja auch, Männer können immer nur eine Sache machen, während Frauen Multitasking-fähig sind. Ich glaube, auch das trägt zu dieser Nerdiness bei – die Versessenheit auf Details. Ich glaube, Frauen sind manchmal in der Lage, breitere Bilder zu sehen. Und so etwas kann sich dann eben auch in der Musik niederschlagen. Die besten Kombinationen kriegst du wie immer mit beiden Perspektiven. Deswegen liebe ich es, mit Ninet zu arbeiten. Sie bringt eben diese weibliche Empfindsamkeit auf das Album. Sophie Hunger genauso. Ich könnte mir vorstellen, dass die entsprechenden Songs genau deswegen zu einigen der beliebtesten werden.

Wenn man genau erklären könnte, woher es kommt, dass es insgesamt weniger Frauen in der Musik gibt als Männer, könnte man wohl so manche große Frage des Universums beantworten. Vielleicht ist irgendwas an der Musikindustrie nicht so attraktiv für Frauen wie für Männer. Ich wüsste allerdings nicht unbedingt, wieso. Vielleicht hat es etwas mit historisch entwickelten Gender-Stereotypen zu tun, vielleicht auch etwas mit dem historisch etablierten Macho-Style der Rockmusik. Wobei sich letzteres definitiv über die Jahre hinweg gewandelt hat.

Im Progressive-Bereich hängt es wirklich davon ab, was du als Progressive definierst. Kate Bush ist ja gewissermaßen der Archetyp eines progressiven Künstlers. Sie ist ambitioniert, zukunftsorientiert, sie geht in unterschiedliche Richtungen, ihre Musik ist in vielerlei Hinsicht sehr komplex und sehr konzeptuell. Genau das gleiche gilt für Björk. Aber die meisten würden keine von beiden als Progressive kategorisieren. Es hängt also wirklich von der Definition ab. Man kann Prog auf Sci-Fi, vertrackte Taktstrukturen und technische Spielweise limitieren – dafür scheinen sich Frauen nicht besonders zu interessieren. Ich selbst mich übrigens auch nicht. Wenn man die Definition aber weiter fasst, findest du wahnsinnig viele faszinierende Frauen. Sie identifizieren sich nur, wie gesagt, nicht über ein bestimmtes, eng gefasstes Genre. Kate Bush und Björk gehen weit über diese generischen Klassifikationen hinaus. In dieser limitierten Szene namens Progressive Rock wirst du wohl nicht viele Frauen finden, das stimmt. Fang an, deinen Horizont zu erweitern!

Fotos

Tori Amos und Steven Wilson

Tori Amos und Steven Wilson,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Tori Amos und Steven Wilson,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Tori Amos und Steven Wilson,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Tori Amos und Steven Wilson,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Tori Amos und Steven Wilson,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Tori Amos und Steven Wilson,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Tori Amos und Steven Wilson,  | © laut.de (Fotograf: Manuel Berger) Tori Amos und Steven Wilson,  | © laut.de (Fotograf: Manuel Berger) Tori Amos und Steven Wilson,  | © laut.de (Fotograf: Manuel Berger) Tori Amos und Steven Wilson,  | © laut.de (Fotograf: Manuel Berger) Tori Amos und Steven Wilson,  | © laut.de (Fotograf: Manuel Berger) Tori Amos und Steven Wilson,  | © laut.de (Fotograf: Manuel Berger) Tori Amos und Steven Wilson,  | © laut.de (Fotograf: Manuel Berger) Tori Amos und Steven Wilson,  | © laut.de (Fotograf: Manuel Berger)

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11 Kommentare, davon 8 auf Unterseiten

  • Vor 6 Jahren

    Außer McIlwayne und Liverbirds waren mir diesmal alle vertraut. Eine schöne Liste, aber leider auch die erste, die das 21. Jahrhundert ausspart. Kommt da noch ein zweiter Teil? Ich müsste sonst noch viele vermisste Namen nachreichen.

  • Vor 6 Jahren

    Glückwunsch zu den Vorrednern, das macht natürlich was her :klatbier: Die Liste selber ist, je nach Stil, mal mehr, mal weniger mein Fall, da fehlen mir wahrscheinlich noch so 10 Jahre. Gerade im oberen Drittel aber natürlich lauter unanfechtbare Größen dabei, sollte klar sein.

  • Vor 6 Jahren

    Finde die Folge bisher am Besten. Fast nur Essentielles mit dabei. Bis auf 3 oder 4 Acts sind mir die Namen alle geläufig und zählen zu recht zu den Großen der Musikgeschichte.