"Raven gegen Deutschland" lautete eine populäre Widerstandshymne seiner Electropunk-Band. Der unermüdliche Kämpfer gegen Rechtsextremismus erlag seiner Krebserkrankung.
Berlin (mis) - Torsun Burkhardt ist tot. Der Sänger und Songwriter der Band Egotronic ist am Nachmittag des 30. Dezembers "friedlich" in seiner Wahlheimat Berlin im Schlaf gestorben, wie seine Frau Selina berichtete. Burkhardt wurde 49 Jahre alt. "Wir sind traurig und schockiert, aber auch irgendwie froh, denn er hatte genug vom Krebs und auch wenn wir nicht so weit sind, er war es allemal. Torsun, du hast genug gekämpft und dir den Frieden und die Ruhe mehr als wohl verdient", schrieb sie auf Instagram unter ein Foto, das Torsun noch selbst aussuchte, und das er nur mit dem schlichten Wort "Adieu" veröffentlicht sehen wollte.
Mit Burkhardt verliert die deutsche Musikszene eine meinungsstarke Galionsfigur im Kampf gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus. Der aus Bensheim bei Frankfurt stammende Sänger wurde bekannt als Frontmann der hyperaktiven, linksradikalen Electropunk-Band Egotronic, die 2001 aus dem Projekt König Ego hervorging. Die Vision steht früh fest: Politische Agittexte zu C64-Sounds und Stampfbeats, seinerzeit noch eine Provokation in linken Deutschpunk-Kreisen, in denen sich Torsun ebenfalls bewegte. Egotronic traten den Beweis an, dass Spaß und Politik durchaus Hand in Hand gehen können, schließlich liebte Torsun das Leben und die Menschen genauso wie eine anständige Party. Und deshalb hatten sie uns auch etwas mitgebracht: Bass, Bass, Bass!
"Raven gegen Deutschland" und vor allem "Ten German Bombers" machen ihn schnell zu Deutschlands Elektrostaatsfeind Nummer eins. Letzteren Song nahm Torsun 2006 auf, um eine Gegenstimme zur irritierenden Schlandverehrung rund um die WM im eigenen Land zu formulieren. Nachdem der Scooter-ähnlich angelegte Technosong eher versehentlich auf einem Fußball-Hits-Sampler zur WM erschien, sprangen die großen Medien auf und Egotronic ernteten ihren ersten Shitstorm, der Gewaltfantasien und Morddrohungen zur Folge hatte. Burkhardt ließ sich gleichwohl nicht beirren: Egotronic, das war für ihn musikalisches Marschierpulver, und es dauerte nicht lange, dass sein tanzbarer Politrave den linksradikalen Hinterhofbühnen entwuchs - 2011 tritt seine 8Bit-Electropunk-Band beim Hurricane Festival vor 10.000 Menschen auf.
Über die Jahre veränderten Egotronic ihren Sound schrittweise, denn Stillstand war in Torsuns Schaffen nie eine Alternative. Auf "Die Natur Ist Dein Feind" sind erstmals auch Gitarre und Bass zu hören. Dackelblut und Andreas Dorau - in Torsuns Herz hatten beide ihren Platz und diese Liebe bewahrte er sich bis zuletzt auf. Auf dem selbstbetitelten Album von 2008 holte er mit Hardcore-Legende und Wahlberliner Walter Schreifels (Gorilla Biscuits) ein Jugend-Idol zu sich ins Studio. Dem Traum-Feature folgten weitere mit Rod von Die Ärzte, Franz von Jeans Team, Mille von Kreator und natürlich Dorau, um nur einige zu nennen. Im Jahr 2005 tourten Egotronic durch Russland und trafen auf ausverkaufte Clubs und ein feierwütiges Publikum, das sich nicht an der Sprachbarriere störte.
Der Drang, Missstände in Deutschland zu benennen, ja herauszuschreien, trieb Burkhardt an und zog nicht selten Hass und Argwohn auf sich. Den völkischen Chartsstürmern Frei.Wild und deren Blut-und-Boden-Ideologien widmeten Egotronic aus tiefem Herzen den Song "Die Band Der Vollidioten". In den Videos zu "Linksradikale" und "Kantholz" spielten sie 2019 die leidlich erinnerungswürdige Party des Autoren Matthias Matussek nach, dem im rechten Sumpf versackten Ex-Spiegel-Journalisten, dessen Gesinnungswechsel seinerzeit auf Fotos mit vorbestraften Aktivisten der Identitären Bewegung und dem Chefredakteur der neu-rechten Jungen Freiheit publik wurde. Anschließend sahen sie sich nicht nur Anfeindungen der AfD, sondern auch der Jungen Union ausgesetzt. Auch gegen die Hufeisentheorie, die Links- und Rechtsextremismus gleichsetzt, positionierte er sich lauthals.
Gesundheitlich wurde Burkhardt erstmals vor zehn Jahren gebeutelt. Seine Autoimmunerkrankung rheumatische Arthritis, die sich schon im Albumtitel "Die Natur Ist Dein Feind" spiegelte, erlaubte zum Glück medikamentöse Behandlung, dank der er weiterhin seiner Liebe zur Musik im Studio und auf der Bühne nachgehen konnte. Im März 2023 verkündete er auf Instagram, dass er unheilbar an Krebs erkrankt sei. Die Nachricht begann er mit der Kummer-Zeile "Wenn du denkst, dass es immer irgendwie im Leben weitergeht / Holt dich Krebs straight back in die Realität". Kurz darauf sprach er in der taz erstmals ausführlich über die Diagnose Speiseröhrenkrebs, eine aggressive Krebsart, die bei ihm Metastasen in der Leber bildete.
Schon hier wurde deutlich, dass sich der Kämpfer auch von dieser größtmöglichen Katastrophe nicht kleinkriegen lassen würde. Burkhardt arbeitete weiter: Er veröffentlichte das Album "Songs To Discuss In Therapy" mit seinen neuen Bandkollegen, den Stereotronics. Ende 2022 hatte er sich schweren Herzens entschlossen, das Kapitel Egotronic nach zehn Alben zu beenden. Mit ähnlich großem Tatendrang konzipierte er die Egotronic-Werkschau, die vier Wochen vor seinem Tod unter dem Titel "Das Unbehagen in der Kultur - Ausgewählte Werke 2001-2021" erschienen ist. Gemeinsam mit Björn Peng gründete er die Initiative "Artists against Antisemitism", der sich bald zahlreiche Künstler*innen anschließen, darunter Tocotronic, Sebastian Krumbiegel und Babsi Tollwut.
In diesem Sommer sprach Burkhardt mit Tocotronic-Bassist Jan Müller für dessen Podcast Reflektor, wo er dank der gut anschlagenden Chemotherapie die Hoffnung hegte, dass Konzerte eventuell wieder möglich würden. Leider ein Trugschluss. Am 25. Dezember postete er "Last Christmas", da hatte das Egotronic-Cover von 2019 längst einen grausam realen Subtext. Mit Torsun Burkhardt verliert das Label Audiolith seinen Chefvordenker und Deutschland einen unermüdlichen Kämpfer gegen Rechtsextremismus. Über den im Musikbusiness wenig ausgeprägten Wesenszug der Uneitelkeit, die der Person Torsun Burkhardt weitere Sympathiepunkte einbrachte, äußerte sich Kaput-Redakteur Linus Volkmann in einem sehr einfühlsamen Nachruf (Lustprinzip für immer).
8 Kommentare mit 24 Antworten
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*fängt nicht von vorne an Beileid an alle Überbliebenden und Freunde
Abschiedsworte, wie die seiner Frau habe ich so selten gelesen oder gehört. Muss eine sehr starke Frau sein, die ihn wirklich geliebt hat.
Trauerworte beziehen sich sonst meist auf die Trauernden selbst. Z. B.: Wir trauern um unseren …
Ihre Worte, er hätte „genug gekämpft und den Frieden nun verdient“ verdienen größten Respekt.
Diese Einstellung hat ihm sicher das Gehen leichter gemacht.
Auch wenn er an kein Weiterexistieren jedweder Art geglaubt hat …
es gibt keine Nazis im Jenseits, denke ich.
Ruhe in Frieden, Torsun.
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