Beim 53. Eurovision Song Contest in Belgrad siegte am Samstagabend Popsänger Dima Bilan mit seiner Ballade "Believe" und holt die Großveranstaltung fürs nächste Jahr damit nach Moskau.
Belgrad (dani) - "Germany: Twelve Points." Einzig der dortigen Popularität von Sängerin Lucy dürfte die Höchstwertung aus Bulgarien geschuldet sein. Abgesehen davon kassierten die No Angels noch zwei nachbarschaftlich-freundliche Pünktlis aus der Eidgenossenschaft und teilten sich somit mit Großbritannien und Polen die rote Laterne.
Wer möchte, darf sich das Debakel gerne als "23. Platz" schön reden. Warum die recht ordentliche Disco-Soul-Nummer Andy Abrahams derartig unterging, entzieht sich zwar dem Verständnis. Isis Gee für Polen und die gerade im Schnelldurchlauf grottigen No Angels trafen die Watschen jedenfalls mit vollem Recht. Der Farblosigkeit halfen auch kein zentimeterdick aufgetragenes Make-Up und eine ganze Batterie Windmaschinen ab.
Weit weniger einleuchten will da die Vergabe der Spitzenplätze. Mit einem bocklangweiligen, orientalisch verbrämten Pop-Dance-Liedchen mit Lyrics, die der Feder eines Dieter Bohlen entfleucht zu sein scheinen, erträllerte die sinnigerweise aus New York stammende Kalomira die Bronzemedaille für Griechenland.
Der undankbare zweite Platz ging an Ani Lorak aus der Ukraine, deren Beitrag sich, ebenfalls auf einem recht tanzbaren Bummbumm-Beat, in Rekordgeschwindigkeit aus dem Erinnerungsvermögen davon machte. Einzig das Glitzerkleid, wie es auch Beyoncé gerne trägt, bleibt noch eine Minute im Gedächtnis. Das peinliche Diven-Getue haben wir wohl bei Mariah Carey abgekuckt. Abputzen, der nächste bitte.
Den Sieg trug dann tatsächlich die Nummer mit der zweifellos albernsten Choreographie davon: Dima Bilan, ganz in Weiß, barfuß auf einer winzigen Eisfläche, umschwirrt von einem Stehgeiger samt Stradivari und dem mehrfachen Olympiasieger und Weltmeister im Eiskunstlauf, Jewgeni Pljuschtschenko, kredenzte eine gefühlsüberfrachtete Ballade. 272 Punkte: Herzlichen Glückwunsch!
Neben vielen, vielen Gruseligkeiten, die die 25 Finalteilnehmer in petto hatten (insbesondere die Beiträge aus Island und Schweden forderten dem Zuschauer enorme Nehmerqualitäten ab), fühlte man sich hin und wieder prächtig unterhalten. Peter Urbans vor giftigen Spitzen triefender Kommentar geriet auch in diesem Jahr schlicht anbetungswürdig.
Die Türkei entsandte mit Mor Ve Ötesi eine kredible Rockband. Von Finnland erwartet und bekommt man inzwischen Hardrock inklusive sämtlicher Klischees. Dem für Israel startenden Boaz Mauda hätte man einen besseren als den mäßigen neunten Rang prophezeit.
Freunde des absurden Theaters wurden von Bosnien-Herzegowina, Aserbaidschan, dem auf einem Grammophon scratchenden greisen Kroaten 75 Cents und in bewährter Dschingis Khan-Manier über einen Kirmestechnobeat "Hu! Ha!" grölenden lettischen Piraten, die nebenbei bemerkt meine Stimme abgegriffen haben, bestens bedient. Sébastien Tellier nebst in Aphex Twins "Windowlicker"-Style kostümiertem Background-Chor: ebenso grandios wie chancenlos. Er landete auf Platz 18.
Da "wir", wie zu erwarten stand, wieder nicht gewonnen haben, gebührt mein Mitgefühl auch in diesem Jahr traditionell Thomas Herrmanns. Ihm gönnt man von ganzen Herzen, dass er irgendwann einmal das Eurovisionsspektakel aus Deutschland moderieren darf. 2009 gastiert der Grand Prix-Zirkus allerdings erst mal in Moskau. Darauf ein "Hu! Ha!"
57 Kommentare
@ominöserBenutzer (« Na immerhin wissen wir jetzt, dass sich vermutlich sogar Atommüll mit der Aufschrift "Timbaland" verkaufen liesse... »):
Tag gerettet - vielen Dank
Gruß
Skywise
@Maddinsche (« Wusste garnicht, dass Aserbaidschan zu Europa gehört.. naja - Scooter 4 Eurovision! »):
Beim ESC geht es ja auch nicht um Europa im traditionallen Sinn, sondern um die Mitglieder der europäischen Rundfunkunion.
Ich fühlte mich von manchen Beiträgen auch sehr stark an bohlen´sche Kompositionen erinnert. Insofern muss man sich eigentlich gar nicht wundern, dass die so weit vorne waren...
Russland´s Beitrag war in jeder Hinsicht übertrieben. Da schrie einem jede Sekunde entgegen: "Ich-muss-gewinnen". Irgendwie anstrengend.
@ominöserBenutzer (« Na immerhin wissen wir jetzt, dass sich vermutlich sogar Atommüll mit der Aufschrift "Timbaland" verkaufen liesse... »):
Das ist leider wahr. Das gibt dem Siegertitel den faden Beigeschmack des erkauften Siegs. Wenn man mal liets, wie viel Knete da reingesteckt wurde. Das macht das doch ziemlich lächerlich.
Auch wenn wir nicht einen Knaller ins Rennen geschickt habe, waren sie doch nicht so schlecht. Bei der Konkurrenz ging es doch teilweise gar nicht darum, ein richtiges Lied zu präsentieren, sondern nur eine schräge Show abzuziehen. Bosnien-Herzegowina war da ein glänzendes Beispiel, wie man ein Spektakel veranstaltet, ohne einen richtigen Song zu haben.
Die vier Geberländer täten ganz gut daran, auf weitere Regeländerungen zu drängen oder mal auszusteigen. Es will mir einfach nichts ins Hirn, dass ein paar Armenier genau so viel zu sagen haben wie große Nationen.
@Olsen (« Ich glaube, du nimmst diese Veranstaltung deutlich zu ernst. »):
Je weniger politisch-kulturelle Absicht hinter einer solchen Veranstaltung und den Reaktionen des Publikums stecken, desto mehr lässt sich über den Zustand der Gesellschaft daraus ablesen. Das ist doch eigentlich klar. Der eigentliche Inhalt, die Musik, die Gestaltung der Show usw. interessieren mich dabei nur am Rande. Und? Ist das so ungewöhnlich?
Die französischen Zeitungen und Feuilletons zum Beispiel sind im Moment voll von Reflexionen über den Film "Bienvenue chez les ch'tis", ein harmloser unterhaltsamer Streifen über einen Beamten, der in eine Gegend strafversetzt wird, über die man dort bislang eher die Nase rümpfte. Der Film steht allerdings kurz davor, den bisherigen französischen Kino-Besucherrekord von "Titanic" zu überrunden. Die Franzosen entdecken gerade massenweise ihr Herz für's Provinzielle. Ich erwähne dies auch, weil das in gewisser Weise konform mit den Überlegungen weiter oben geht. Auch hier kann man aus den leichten Wellen an der kulturellen Oberfläche durchaus Schlüsse auf die bedeutsamen tektonischen Umbrüche folgern, die sich im gesellschaftlichen Unterbau vollziehen.
[quote= @ kukuruz: "Olsen"]Ich glaube, du nimmst diese Veranstaltung deutlich zu ernst. »):
ich finde, für ku's verhältnisse ist das ein relativ lockeres posting gewesen
@chiki chiki (« der typ kann 90jahre alt werden und keiner wird sich an ihn erinnern... »):
Das wird Chikilicuarte aber auch nicht viel anders gehen ... die Interpreten von Sommerhits sind manchmal so unglaublich schnell weg vom Fenster ...
Zitat (« aber spaniens chiki chiki ... wird ein sommer hit in spanein, und das werden millionen touristen im urlaub zu hören bekommen,alle die etwas spanisch verstehen, wissen nämlich um was es bei chiki chiki wirklich geht, es ist nämlich kein kitsch! sondern einfach oberkultig! »):
"Chiki Chiki" ist ein Hit in Spanien. Und in Schweden. Und in Griechenland. Ob er allerdings über den Sommer Bestand hat, wage ich zu bezweifeln, zumal sich Chikilicuarte ja schon eine Woche nach dem Grand Prix offiziell aus dem Musikgeschäft zurückgezogen hat, also keinerlei Promo-Auftritte mehr absolvieren wird. Wie das mit Fernández aussieht, weiß ich nicht.
Und was den Text angeht, weiß ich nicht, was daran "oberkultig" sein soll *grübel* Er parodiert, indem er nachmacht, nun gut, aber ... *pf*
Zitat (« wieviel leute können sich heute z.b. an macarena erinnern? »):
Zumindest alle, die vom damaligen Gezappel einen Hüftschaden davongetragen haben. Vielleicht noch all die Leute, die damals deshalb einen Kursus besucht, die Ergebnisse auf Video festgehalten und dann ihren Freunden vorgespielt haben ...
Zitat (« so wirds auch mit "chiki chiki" sein....spanien hats endlich kapiert und nimmt eurovision garnicht mehr ernst... »):
Mit dem Unterschied, daß "Chiki Chiki" bei der spanischen Vorausscheidung nicht auf dem ersten Platz war, sondern erst nach der Disqualifikation des Gewinners nach Belgrad geschickt wurde. Hatte das nicht Peter Urban in seinem Kommentar erwähnt? :gruebel:
Gruß
Skywise