"Was war zuerst da, der psychische Knacks oder der Fame?"

Berlin (dill) - Als Star und Sternchen blickt man nicht nur zu dir hinauf, sondern auch auf dich herab. Du wirst zum Objekt. Man vermarktet und bewertet dich. Liefer' ab, optimier' dich, sei stark, schön, immer gut drauf, mit einem Lächeln über beide Ohren und ja nicht wütend! Sonst wirst du nicht anerkannt, nicht geliebt. Im Kunst&Kopfkrieg-Interview spricht Rapperin Haszcara darüber, wie es sich anfühlt, nicht gesehen zu werden, und warum die Formel Erfolg = Glück nicht aufgeht.

Laurens Dillmann: Wie geht es dir?

Haszcara: Das ist eine schöne Frage. Mir geht es gut. Heute habe ich darüber nachgedacht, wie dankbar ich für mein Leben bin. Dass ich ein schönes Zuhause, einen gesunden Körper und tolle Menschen in meinem Leben habe. Ich lebe an einem Ort, an dem ich mich sicher fühle und habe eine Arbeit, in der ich Sinn finde und die mich erfüllt. Damit meine ich nicht Rap. Aber auch in Bezug darauf bin ich mir bewusst: Ich kann meine Kreativität ausleben und bekomme dafür gar nicht mal so selten sogar Anerkennung und Bezahlung. Dafür bin ich sehr dankbar.

"Wie geht es dir?" kann ja eigentlich die tiefschürfendste Frage von allen sein. "Ich wünsch' mir Fragen, die konkret sind, aber doch nicht zum Schock führen", rappst du auf deiner ersten EP. Wie hast du diese Line gemeint?

Die Zeile stammt aus einer Zeit, wo ich nicht sehr offen und deutlich sagen konnte, wie es mir gerade geht. Vielleicht auch, weil ich es selbst nicht fühlen konnte und keine wirkliche Bindung zu mir selbst hatte. In der Zeile habe ich das Gefühl beschrieben, nicht ernsthaft gefragt zu werden, wie es einem geht. Dass die wenigsten eben auch mal nachhaken. Aber ich hatte auch Angst, mein Inneres mitzuteilen. Die ist heute weniger geworden.

Hast du Menschen gefunden, die dir diese Frage ernsthaft gestellt haben?

Ja. Und dann habe ich auch gelernt, sie mir selbst zu stellen. Das ist die größte Herausforderung.

Wieso standest du nicht in Kontakt mit dir selbst?

Ich glaube, wir bekommen das nicht richtig beigebracht. Es ist kein Teil unserer gängigen Erziehung. Es hat keinen Platz in der Schule. Wir leben in einer Zeit der Reizüberflutung. Alles schnell und viel. Es ist einfacher als je zuvor, sich abzulenken, ein Blick aufs Handy oder den Laptop reichen. Informationen, Bilder, Nachrichten. So ist es sehr einfach, sich nicht zu fragen, wie es einem geht. Man scrollt einfach den Feed durch. Fragen wie: "Was sind meine Verletzungen? Wo hat mir etwas weh getan? Wo tut es immer noch weh? Was fällt mir schwer? Was macht mich traurig oder wütend?" sind nicht einfach. Deswegen neigen Menschen dazu, sich abzulenken. Ich auch. Das ist auch mal okay. Aber im Großen und Ganzen gilt es, das, was in einem vorgeht wirklich zu fühlen und aushalten zu können. Um dann heilen und daran wachsen zu können.

Warum lernen wir nicht bereits in der Schule, wie man mit schwierigen Gefühlen umgeht, zu sich selbst findet? Was für ein Fehler steckt im System?

Darüber muss ich noch tiefer nachdenken ... Wahrscheinlich liegt es daran, dass wir Gewohnheitstiere sind. Eines unser Lieblingsargumente ist: "War halt schon immer so. Wurde schon immer so gemacht." Es gibt aber kein "Immer". Nichts wurde immer schon gemacht. Selbst die Sonne hat nicht immer geschienen. Selbstfindung und Meditation werden allmählich zum Trend, aber ich finde es schwierig, wie das in den sozialen Medien dargestellt wird. Man muss sich fragen: Für wen optimiert man sich da eigentlich? Es reicht nicht, mal nach Indien zu reisen, ein bisschen hier und da über Esoterik zu lernen, und plötzlich ist man geheilt. Ich habe oft das Gefühl, so wird es propagiert.

"Mein größter Wunsch seitdem ich Kind bin, ist, von diesem Planeten verschwinden", rappst du auf "Nachtdepression". Ein anderer deiner Songs heißt "Ich bin nicht hier".

Die Line ist zweideutig. Mein Kindheitswunsch war, Astronautin zu werden. Und dann gab es Phasen, in denen ich nicht mehr hier sein wollte ... "Ich bin nicht hier" handelt davon, nicht richtig gesehen zu werden. Wie ich wirklich bin, wie ich mich wirklich fühle. Mit all meinen schönen Seiten und all meinen Macken. Wenn man sich von niemandem gesehen fühlt, kommt das Gefühl auf, nicht richtig da zu sein.

Ich bin ja auch in der Bildungsarbeit tätig und ich sehe das bei vielen Kindern. Dass Lehrer und Eltern diese Kinder oft nicht sehen. Aber es ist wichtig, ihnen eine Stimme zu geben und sie ernst zu nehmen. Wenn das nicht passiert, fühlen sie sich irgendwann nicht richtig anwesend. Der Körper mag da sein, aber die Psyche nicht. Menschen greifen dann oft zu radikalen Mitteln, um sich fühlen zu können. Alkohol, Rauchen, Drogenmissbrauch, übermäßiger Sport, Essstörungen, Selbstverletzungen und, und, und. Das mag vielleicht kurzfristig diesen Effekt erzielen, aber langfristig macht es nicht glücklich.

Hast du Erfahrungen mit Therapie?

Ja. Ich halte das für sehr sinnvoll. Im Grunde ist Therapie nichts anderes als eine Art "betreute Selbstfindung" mit einer Person, die einen Plan von dem hat, was sie tut, und sich Zeit für einen nimmt. Da lernt man nämlich, mit sich, seinen Gefühlen und der Welt um einen herum umzugehen. Du lernst deine Muster kennen. Oft verlaufen diese in Spiralenform. Wenn wir uns zum Beispiel streiten, spielt sich die Emotion oft in einer viel älteren Verletzung ab. So kann es sein, dass manche Menschen komplett ausrasten, wenn sie sich nicht ernst genommen fühlen, und andere nicht. Wenn man ein Gefühl bereits von woanders kennt und es nicht verarbeitet hat, wird es immer sehr starke Reaktionen hervorrufen. So etwas kann man in einer Psychoanalyse aufdröseln. Freunde und Familie können so etwas nicht stemmen. Die sollen ruhig da sein, trösten, in den Arm nehmen, zum Rausgehen motivieren, aber die wirkliche Arbeit mit sich selbst ist gut in einer Therapie aufgehoben.

Wirst du oft angefeindet?

Ja. Der normale Hate, den eine Frau in der Öffentlichkeit bekommt. Bei Leuten, die sagen dass Hate sie nicht verletzt, frage ich mich, was für einen Zugang sie zu sich und der Gesellschaft haben. Ich denke zwar nicht bei jedem morgendlichen Blick in den Spiegel, was Mutterficker2001 für Gemeinheiten unter meine Videos geschrieben hat (lacht). Aber auf Social Media kann jeder Vollidiot dein Leben kommentieren und das tut der Psyche nicht gut. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel Zeit die Leute haben, um irgendeine Scheiße unter deinen Content zu posten. Auch da geht es nämlich wieder ums Gesehenwerden. Manche Menschen nehmen an, sie dürfen auf dich zugreifen, nur weil du ein paar Punkte aus deinem Leben mit ihnen teilst. Nicht nur im negativen Sinne, manche meinen es gar nicht böse und wollen dir einfach nur nah sein. Weil sie dich mögen, deswegen denken sie, sie dürfen dich nach dem Konzert einfach anfassen, umarmen und dir die krassesten Fragen stellen. Ich fühle mich da manchmal unter Druck gesetzt. Ich weiß nicht, wie Leute das aushalten, vor allem diejenigen, die richtig groß sind. Ich würde die manchmal gerne fragen, wie schaffst du das?

Ich kann zwar nachvollziehen, wenn ich Musik von Menschen höre, dass ich mich denen dann verbunden fühle. Jeder hat schon mal gedacht: "Die oder der versteht mich, wir sind uns sooo ähnlich, wären bestimmt gut befreundet." Aber deswegen kontaktiere ich diese Personen nicht mit gigantischen Romanen und bin angepisst, wenn sie nicht antworten. Dieses Recht auf ein "Stück" von dir hat niemand, der dich nicht persönlich kennt und keine zwischenmenschliche Beziehung mit dir führt.

Macht Erfolg glücklich?

Ich habe mich seit ein paar Monaten mit dieser Frage tatsächlich tiefer beschäftigt. Meine Followerzahlen stiegen, ich bekam größere Gigs, stand in der Zeitung und wurde "relevant". Für meine Verhältnisse, zumindest. Aber es hat mich nicht wirklich glücklich gemacht, oder nur zeitweise. Dieses ständige Herumreisen, keinen geregelten Tagesablauf haben, alles selber planen, tausend Sachen koordinieren und sich jedes Wochenende auf neue Leute, neue Situationen und fremde Orte einstellen zu müssen. Ich war irgendwann nur noch gestresst und wollte mich am liebsten verkriechen. Ich habe dann mal recherchiert: Wie geht es anderen Leuten damit? Ich habe Artikel gelesen, Videos geschaut und mir Gedanken gemacht. Mir ist recht schnell klar geworden, dass die meisten Leute, die in der Öffentlichkeit stehen, einen kleinen Knacks haben. Was mich vor die Frage gestellt hat: Was war zuerst da, der psychische Knacks oder der Fame? Also, muss man verrückt sein, um berühmt sein zu wollen (und es durchzuziehen), oder wird man verrückt, weil man berühmt ist? Oft funktioniert Fame als Pflaster für psychische Verletzungen. Prominente werden abhängig von der Bestätigung. Die massive Aufmerksamkeit lässt sie ihren Schmerz vergessen. Natürlich fühlt es sich toll an, das Gefühl von Relevanz. Alle Menschen wollen auf irgendeine Weise wichtig sein.

Aber ich glaube, "nur" Fame ist kein stabiler Weg zu diesem Gefühl. Das ist ein bisschen, wie wenn man Weiß- oder Vollkornbrot isst. Follower und Likes sind wie Weißbrot, die geben dir einen kurzen Energieschub, du fühlst dich satt, aber dann kommt das Tief. Vollkornbrot ist gesünder, deine Energie steigt stetiger und langsamer. Das gibt es nur durch wirkliche Freundschaften. Menschen, die bleiben, selbst wenn du im Shitstorm stehst. Wenn du zwei Jahre lang keinen Bock mehr auf Musik hast, oder für immer. Die für dich da sind, unabhängig von deiner Künstlerinnenidentität. Nein, Berühmtsein alleine macht nicht glücklich. Man muss lernen, damit umzugehen und unabhängig davon Glück zu empfinden. Durch das Internet gab es einen Wandel. Vor 30, 40 Jahren war die Informationsverbreitung viel gemäßigter. Du konntest am Kiosk vorbeigehen, wenn du die Artikel über dich nicht lesen wolltest. Fanpost kam postalisch. Du hast nicht mitbekommen, wenn schlecht über dich gesprochen wurde. Heute kann sich jeder relevant fühlen, seinen Channel eröffnen, über alles und jeden reden. Wir werden überall von allem und jedem bewertet. Daumen hoch, Daumen runter. Kommentare, Direktnachrichten, steigende oder sinkende Followerzahlen. Gesellschaftlich haben wir noch keinen Weg gefunden, damit umzugehen.

Wie hast du es geschafft, mit dir selbst in Kontakt zu kommen?

Ich habe mich meinen Gefühlen gestellt. Ich habe hingefühlt, wenn es mir schlecht ging, und mich getraut, nach dem Warum zu fragen. Und dann habe ich mich getraut, mich zu ändern. Das klingt sehr salopp, aber es ist nicht einfach, sich zu ändern. Ich sage all meinen Mitmenschen: Habe den Mut, dich zu verändern. Vor allem, wenn dir etwas nicht gut tut. Und wenn es nur um eine Kleinigkeit wie das Rauchen geht. Wobei das gar keine Kleinigkeit ist, weil du ziemlich wahrscheinlich davon Krebs kriegst. Wenn du ein Bauchgefühl hast, etwas tut dir nicht gut aber du kannst es nicht lassen, finde heraus, warum du es tust. Viele brauchen es, um mit ihren Emotionen umzugehen. Oder weil sie keine Ahnung haben, wie sie sich entspannen können. Die drei Minuten Kippe sollen dich entspannen, aber am Ende stinkst du, hustest und hast dafür noch Geld ausgegeben.

Wir müssen uns fragen, was für Bedürfnisse hinter Ersatzbefriedigungen stecken und wie wir diese wirklich erfüllen können. Es ist zum Beispiel echt wichtig, zu sagen was man denkt. Man darf zum Beispiel Wut auch mal ausdrücken, zu seinem Chef sagen: Ey, das passt mir nicht! Man darf es jedem sagen, Eltern, Vorgesetzten, Freunden, Kollegen. Ich kenne viele Leute, die lieber eine rauchen gehen, anstatt mal ihre Meinung zu äußern. Oder zum Thema Entspannung, kann man sich fragen: Was könnte mir gut tun, würde mich glücklich machen? Mir hilft da: Die Augen für einen Moment schließen. Ein gutes Gespräch mit einer Freundin. Spazieren, einen Tee trinken. Ich habe mich gefragt, was mir langfristig gut tut und diese Dinge dann auch gemacht. So habe ich mich konsequent verändert. Es hat sehr lange gedauert, ich bin oft auf die Fresse gefallen, und manchmal klappt es auch heute nicht. Aber es klappt immer öfter.

Wenn Du von heute Dir, am schlimmsten Punkt deines Lebens, einen Rat geben könntest:

Gib nicht auf. Mach weiter. Aber das habe ich mir damals auch schon gesagt. Ich habe nicht aufgegeben und ich gebe auch heute nicht auf.

In seiner Reihe Kunst & Kopfkrieg spricht Laurens Dillmann mit Künstlern und Künstlerinnen über ungerade Lebenswege, Depressionen und Wege aus der Krise. Er bietet Waldbaden auf Spendenbasis an. Kommt mit ihm in den Wald!

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