Summer Breeze 2016: Bier in der Birne, Lemmy im Herzen

Steel Panther, Parkway Drive, Blues Pills, Mastodon, Slayer, Queensrÿche, Carcass, Sabaton u.a.

Dinkelsbühl (kluk) - Und dann die Hände zum Himmel / kommt lasst uns fröhlich sein. Die unvergleichliche Textsicherheit zehntausender Metalheads erstaunt jedes Jahr aufs Neue. Kein Wunder, denn wenn die Blasmusik Illenschwang am frühen Mittwochnachmittag zum traditionellen Himmelszelt-Tanz bittet und volksmusikalische Kunde von der "Fischerin vom Bodensee" bis hin zum Heino-Klassiker "Karamba Karacho, ein Whisky" verbreitet, wird schnell klar: Es steht ein buntes Wochenende bevor.

Der Festivalmittwoch erstrahlt in tiefem Grün, auf dem Programm steht wie gewohnt die Nuclear Blast-Labelnacht. Und die bringt beispielsweise die Sludge-Punk-Überflieger Mantar ins beschauliche Dinkelsbühl. Klar, an die dicken Tuba-Bässe und die zünftigen Melodien der Blasmusiker kommt das Duo naturgemäß nicht ran: Ihr energiegeladenes Aggro-Set reißen die beiden aber trotzdem amtlich runter – und zwar vor versammelter Mannschaft.

Die Anreise am Dienstag etabliert sich

Schließlich machen immer mehr Breezler von der erst zum zweiten Mal angebotenen Dienstagsanreise Gebrauch. Das zeigt sich nicht nur in der Ausweitung des Rahmenprogramms, etwa DJ-Sets und Film-Screenings, sondern auch an den überdurchschnittlich gut besuchten Gigs am Mittwochabend. Hier überzeugt neben Bury Tomorrow und Grand Magus nicht zuletzt der polnische Death-Metal-Export Vader - die schließen ihr Set nicht ohne Selbstironie mit dem "Imperial March" ab.

Bier in der Birne, Lemmy im Herzen

Bei Bömbers stockt im Anschluss dann manch Anwesendem der Atem: Ein kurzes Blinzeln, ein kleiner Stich im Herzen – nein, er ist es doch nicht. Nicht etwa Lemmy Kilmister selbst röhrt da "Ace Of Spades" und "Overkill" von der Bühne, sondern Ex-Immortal-Chef Abbath, der der gefallenen Legende unter dem Bandnamen Bömbers Tribut zollt.

Ursprünglich als Spaßprojekt gegründet, fällt dem Trio heute die unschöne Aufgabe zu, die ursprünglich für 2016 bestätigten Motörhead selbst zu ersetzen. Trauerbewältigung, wie sie im Vorfeld des offiziellen Festivalstarts am Donnerstag nicht besser vonstatten gehen könnte.

Erste Schauer am Freitag

"Run To The Pit, Mosh For Your Life" – ja, geil. So auf alles zu scheißen, wie die Party-Thrasher Insanity Alert es am Donnerstagnachmittag tun, will ja auch irgendwie gelernt sein. Kleinste Bühne, überschaubares Publikum, 2,95 Euro-Konfettikanone. Das ist der Spirit. Und macht dann doch glatt mehr Laune als die halbe Pyrofabrik, die Sabaton später am Abend abfackeln werden.

Während At The Gates, Airbourne und Testament im Laufe des Tages die erwartbar überzeugenden (Co-)Headliner-Auftritte absolvieren, ist es mit der Camel Stage gerade die kleinste aller Bühnen, die immer wieder mit beschaulichen Kuriositäten aufwartet. Neben den oben genannten Ösi-Rabauken überrascht vor allem der belgische Post-Metal-Vierer Steak Number Eight mit einer amtlichen Portion Aggression – die durch den erstmals einsetzenden Regen nur noch gesteigert wird. Lechzte das Publikum beim nachmittäglichen Triumphzug von Deez Nuts noch nach jedem kleinen Tropfen der eingesetzten Wasserwerfer, ist plötzlich Massenflucht angesagt.

Wiederholungstäter und Soloprojekte

Das kriegen auf der Pain Stage auch Fear Factory zu spüren, die wetterbedingt vor eher kleinerer Runde musizieren. Vielleicht haben die Fans die belanglose Institution aber auch endlich als die einschläfernden Wiederholungstäter erkannt, die sie nun mal sind.

Zu Sabaton platzt das Infield dann wie zu erwarten aus allen Nähten – einigen Regentropfen zum Trotz. Popmusik geht halt immer. Never change a running system. Anders denkt da Kollege Abbath, der das Lemmy-Outfit abgestreift hat und nach einem Rechtstreit mit seinen Pandakollegen Immortal auf eigene Faust weitermacht – und zum späten Abend noch einmal überraschend die radikale Black-Metal-Keule auspackt. Viel los, hier in diesen Frostbitten Kingdoms.

'Der Checker' mit dem hohen Entertainment-Faktor

"Junge, Junge, ist das ein Wetterchen, wer hat denn da alles brav aufgegessen?" Man sollte Eisbrecher sicherlich nicht als allzu originelle Band einstufen, aber seine Entertainer-Qualitäten stellt Alex Wesselsky auch sechs Jahre nach dem Ende seiner DMAX-'Checker'-Karriere unter Beweis. Bevor der Herr am späten Freitagabend aber seine Pokemon-Rap-Kenntnisse präsentiert, rauscht bereits eine beachtliche Anzahl Top-Acts über die Bühne.

Queensrÿche, Arch Enemy und Carcass legen gewohnt solide Auftritte hin, und auch die schwedischen Melo-Deather Soilwork kriegen die Chance, ihren von Soundproblemen überschatten 2013er-Auftritt auszubügeln – wenngleich sie das abermals unter freiem Himmel tun.

Warum so leer?

Mehr Glück haben da die Bands auf der im großen Zelt angesiedelten T-Stage, vor der sich im Laufe des Wochenendes jedoch immer häufiger signifikante Lücken auftun. Beschlossen Swallow The Sun den Donnerstagabend bereits vor äußerst überschaubarer Runde, sieht es heute zu etwas humanerer Stunde bei Obscura nicht wirklich besser aus – einer technisch einwandfreien Frickelorige zum Trotz.

Vielleicht ist stumpf hier aber ja auch Trumpf. Würde auf jeden Fall die Kleiderwahl einiger Anwesender erklären. Oder wie abgebrüht muss man eigentlich sein, um ein Shirt zu tragen, auf dem es heißt: "Geh weg, du bist kein Bier"?

Mastodon sind der wahre Headliner

Neben der mal wieder etwas zu routinierten Headliner-Legende Slayer gerät dann aber insbesondere der Auftritt Mastodons zum freitäglichen Triumph. Nach der spontanen Absage im Vorjahr ist das Publikum doppelt heiß auf die Genreclasher aus Atlanta.

60 Minuten lang gibt der Vierer eine Lehrstunde in Sachen Gitarrenmusik – und das ganz ohne aktuelle Platte im Gepäck. Dafür aber mit dem vielleicht schönsten Poncho des Festivals.

Der Samstag startet musikalisch etwas zäh

"Der Osten rockt, unsere Heimat / ja, hier sind wir geboren / der Osten rockt, unser Herzblut / haben wir an dir verloren / wir wollen feiern / kommt schenkt uns noch einen ein / wir werden es euch zeigen / was es heißt ein Ossi zu sein"

Hallelujah! Wer kann schon von sich behaupten, am Samstagmorgen von derartigen lyrischen Perlen aus dem Schlaf gerissen zu werden? Wenn bereits um 11 Uhr morgens das Frei.Wild-light-Geplärre der Goitzschen Front über die Felder von Dinkelsbühl schallt, wird dir schnell klar: Dieser Tag könnte anstrengend werden.

Nachdem KiKA-Castinggöre Jennifer Haben mit ihren neu ausgewürfelten Beyond The Black ein knappes Plastik-Symphonic-Horsd'œuvre kredenzt, lässt die Strafe des Herrn nicht lange auf sich warten: Erstmals setzt der seit Tagen angekündigte Dauerregen ein und wäscht dabei vielleicht auch dem einen oder anderen Letzte Instanz-Fan den Staub aus den Ohren.

Eine Arche zur Flucht vor Patrioten-Ossis und Festivaltouristen ist zwar nicht in Sicht, dafür wissen zumindest Korpiklaani die Stimmung aufzulockern – und somit den Weg für das feucht fröhlichste Quartett des Festivals zu bahnen: Steel Panther.

Feuchte Panther

Wie viele Mädels und Jungs sich bei der nun folgenden Lack- und Lederparade eine Lungenentzündung zugezogen haben, kann zwar nur gemutmaßt werden: Für Glam-Rock-Freunde mit Hang zur ironischen Selbstüberschätzung dürften Lexxy Foxx und Co. aber gewiss einen der besten Auftritte des Festivals abgeliefert haben.

Schwieriger haben es in der Folge dann Parkway Drive, die unmittelbar vor Stagetime vom Tod ihres Kollegen Tom Searle, Gitarrist der Architects, erfahren mussten. Wurde die Autogrammstunde am späten Nachmittag noch abgesagt, hat der Fünfer nun wieder alle Kräfte beisammen und schenkt dem regenbedingt schon dezimierten Publikum 90 Minuten lupenreinen Metalcore.

Die nötige Portion Schwermut zum Abschied holt sich das vom Trauerfall noch nichts ahnende Publikum dann abschließend noch bei My Dying Bride und Katatonia, die die letzten treuen Jünger gegen 1:30 Uhr in die Nacht entlassen.

Melancholisch, aber zufrieden – wie große Festivals nun einmal enden sollten.