"DAF ist ein Denkmal. Ich bin gegen Denkmäler": Nachruf auf den visionären Synthie-Punk aus Cordoba.

Konstanz (mis) - Geh in die Knie! Klatsch in die Hände! Beweg deine Hüften! Ein Leben in Imperativen. Gabi Delgado-Lopez war keine 25 Jahre alt, als er mit Robert Görl zusammen als DAF Musikgeschichte schrieb. Sein Leben danach: Ein Arrangieren mit dem Fluch, auf ein Frühwerk reduziert zu werden. Nur wirkte der 1958 im spanischen Cordoba geborene Delgado nie wie einer, den das sonderlich störte. Kein unterwürfiges, um Verständnis bettelndes Verweisen auf diese besondere, der Jugend vorbehaltene schöpferische Kraft.

Entweder man ist kreativ oder man ist es nicht. Delgado war ein Basta-Musiker, bevor es den Basta-Kanzler gab. Nur folgerichtig, dass er auch Nostalgie total ablehnte. "DAF ist ein Denkmal. Ich bin gegen Denkmäler!" Das war so ein typischer Delgado-Satz, rausgerotzt und keinen Widerspruch duldend, imperativisch.

Dreh dich nach rechts. Dreh dich nach links. Dass Tolle an Delgado war, dass man vorher nie wusste, was er sagen würde. Er stand nie still. Aus journalistischer Sicht ein Traum, menschlich vermutlich schwierig. Gefühlt änderte der Musiker seine Anschauungen jeden Tag, hatte aber stets eine plausible, meistens schlaue, immer durchdachte Begründung parat.

2003 veröffentlichen Delgado und Görl ihr erstes DAF-Studioalbum nach 17 Jahren. Grund: Jürgen Teipels Doku-Roman "Verschwende Deine Jugend" über die Düsseldorfer Szene um den Kult-Treff Ratinger Hof Ende der 70er Jahre schlägt hohe Wellen und verpasst sämtlichen Protagonisten der deutschen New Wave/Punk-Anfänge einen Popularitätsschub. Die Musikwelt reagiert dennoch einigermaßen verwundert: Denn im Gegensatz etwa zu den Fehlfarben kommen Görl und Delgado im Buch rüber wie zwei Typen, die mit dem Kapitel DAF für immer abgeschlossen haben. Delgado etwa wird mit dem Satz zitiert: "Mit Robert ist es wie mit einem alten Hemd, das man aus dem Schrank zieht. Man hat es einmal gemocht, aber nun passt es nicht mehr."

Im damaligen Telefon-Interview verfestigen sich die Gegensätze des Duos noch: Delgado ist von Minute eins am Anschlag, seine Antworten bellt er in den Hörer. Der Teipel? Nur Lügen habe der abgedruckt! Der Buchtitel? Einfach von DAF geklaut, ohne um Erlaubnis zu fragen. Danach Görl, der von Wandermönchen in Thailand und seinen spirituellen Wünschen erzählt. Der stille Keyboarder und der hyperaktive Shouter, wie passt das zusammen?

1981: Mute-Chef Daniel Miller ist entsetzt. Diese undankbaren Deutschen, die er bei seiner Mutter in London auf dem Flur pennen ließ, verlassen sein aufstrebendes Mute-Label, um sich dem Major Virgin Records anzuschließen. Miller, der später mit Depeche Mode, Erasure und Nick Cave zu Ruhm gelangt, bezahlte DAF im Jahr zuvor drei Studiotage beim Krautrock-Produzenten Conny Plank für das Album "Die Kleinen und die Bösen". Da für eine LP-Länge nicht genug Songs aufgenommen wurden, presst man auf die B-Seite kurzerhand einen Livegig.

Bis dahin sind DAF eine interessante Postpunk-Band, die mit deutschen Texten wie "Die lustigen Stiefel marschieren über Polen" nicht gerade die rühmlichen Kapitel deutscher Geschichte anspricht. Doch Görl und Delgado suchen passend dazu weiter einen einzigartigen Sound. Chrislo Haas und Wolfgang Spelmanns fliegen aus der Band und das Duo werkelt am radikalen Gegenentwurf "Alles ist gut". Das Resultat ist eine musikalische Revolution: Musik für den Körper, erzeugt mit neuestem Synthesizergerät aus Übersee, Maschinen-Beats statt Hippie-Scheiße. Harter Sound für harte Zeiten. Es gab die RAF und nun eben auch DAF, die Deutsch-Amerikanische Freundschaft. Der vorgeblich politische Name dabei eher ironisch angelehnt an die Deutsch-Sowjetische Freundschaft, die Staatsräson der DDR.

Den Minimalismus von Innovatoren wie Suicide mit einem härteren Klangbild zu schärfen, homoerotische Bezüge mit NS-Ästhetik oder jeglicher anderer Konfrontation zu verknüpfen und Texte, in denen auch mal Adolf Hitler vorkommt, im Kasernenton rauszubellen: Man darf wohl sagen, darauf war Deutschland im Jahr 1981 nicht vorbereitet. Und das lässt sich an Fernsehauftritten wie hier hervorragend nachvollziehen:

Das Album "Alles ist gut" trifft die alte Bundesrepublik ins Mark. Delgados eigentümliche wie hoch provokante Deutsch-Prosa strahlte vor anarchischer Kraft und war geprägt von der Verfolgung seines Vaters unter dem Franco-Regime in Spanien. Allein das Cover: Görl und Delgado posieren mit nacktem Oberkörper und schweißüberströmt, passend zur energiegeladenen Maschinenmusik.

Delgado hatte geschafft, wonach er seit dem ersten nächtlichen Aufeinandertreffen mit der Giorgio Moroder/Donna Summer-Kooperation "I Feel Love" vier Jahre zuvor geträumt hatte: Sex und Elektronik zu verbinden. Seit Kraftwerk hatte deutsche Musik nicht mehr diese umwälzende Wucht. Doch während die von Delgado wenig geschätzten Pionierkollegen ("Düsseldorfer Schickeria") zahlreiche Klassiker einspielen sollten, dampften DAF ihre Kunst schon auf diesem Album so perfekt ein, dass danach nichts mehr kommen konnte. Reduktion auf allen Ebenen. Ein Youtube-Juwel ist das erst vor kurzem hochgeladene Video eines Festivalauftritts 1981 in Holland, das Delgados energiegeladene Tanzeinlagen im Original aufzeigt. Publikumsreaktion auch hier: Größtenteils ungläubiges Starren.

Über das Comeback-Album "Fünfzehn neue Lieder" von 2003 spricht heute niemand mehr. Und DAF nahmen auch nie einen Nachfolger auf. Die Band merkte wohl selbst warum: Sie musste gar keine neue Musik veröffentlichen, weil ihre alte immer noch neu war. "Alles ist gut" war seiner Zeit um Jahrzehnte voraus. Synthie-Pop, EBM, House, Techno - welches elektronische Genre danach auch kam, die meisten bezogen sich auf Görl und Delgado. Den Job des ständigen Hinterfragens deutscher Geschichte unter Einbeziehung ästhetischer Reizfiguren übernehmen seitdem Rammstein.

Delgado und Görl traten über die Jahre immer wieder miteinander auf. Die DAF-Bühne schien letztlich der einzige Ort, an dem man sich noch einigermaßen miteinander verstand. Die letzte große Zusammenarbeit des Duos fand 2017 für das Buch "Das ist DAF" zu einem opulenten Re-Release-Boxset statt. Dabei merkte der Schwarzkopf Verlag relativ schnell, dass die Erinnerungen der beiden teilweise so auseinander liefen, dass man die Interview-Zitate einfach für sich stehen ließ. Mit Lügen wie damals bei Teipel? "Es ist die 80-prozentige Wahrheit", befand Delgado im Interview 2017. Soll der Leser sich halt sein eigenes Bild machen. Delgado, bis zuletzt ein Querdenker, fand das gut. Das Schöne an der Vergangenheit? "Dass es sie nicht mehr gibt."

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DAF,  | © LAUT AG (Fotograf: Michael Edele) DAF,  | © LAUT AG (Fotograf: Michael Edele) DAF,  | © LAUT AG (Fotograf: Michael Edele) DAF,  | © LAUT AG (Fotograf: Michael Edele) DAF,  | © LAUT AG (Fotograf: Michael Edele) DAF,  | © LAUT AG (Fotograf: Michael Edele) DAF,  | © LAUT AG (Fotograf: Michael Edele) DAF,  | © LAUT AG (Fotograf: Michael Edele)

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