laut.de-Kritik

Eine Corona-Kammeroper aus der Welt der Träume.

Review von

Es ist ein Projekt, das in dieser Form nur im Corona-Lockdown entstehen konnte. Statt seine Opern aufzuführen, saß Komponist Nicholas Lens im März 2020 in seiner Wohnung in Brüssel, da alle Kulturveranstaltungen wegen dem strengen Lockdown in Belgien untersagt waren. Er rief einen Indie-Musiker an, mit dem er bereits 2014 zusammen gearbeitet hatte, und der ebenfalls zuhause herumlungerte, da seine Welttournee nicht stattfinden konnte.

"Nicholas rief mich während des Lockdowns an und fragte, ob ich zwölf 'Litaneien' schreiben könne. Ich sagte zu, schlug nach dem Gespräch als Erstes nach, was eine Litanei ist – 'eine Abfolge von religiösen Bittgebeten' – und erkannte, dass ich Zeit meines Lebens nichts anderes gemacht habe", so Nick Cave. "In der folgenden Woche schrieb ich zwölf lyrische Stücke, die die Geburt, das Aufblühen, das Zerbrechen und die Wiedergeburt eines menschlichen Wesens nachverfolgten - Gebete an einen göttlichen Schöpfer mit der Bitte um eine kosmische Antwort", erklärt er weiter.

Lens wiederum erinnerte das Gefühl des gespenstisch ruhigen Brüssel an seinen Besuch von Yamanouchi, Kamakura, eine grüne Hügellandschaft in der japanischen Kanagawa-Präfektur, wo die ältesten und ehrwürdigsten Rinzai-Zen-Tempel stehen. "Die Idee zu L.I.T.A.N.I.E.S war tatsächlich damals in mir entstanden. In jener natürlichen Stille, die aus dem verregneten, leuchtend grünen Wald aufsteigt, der diese Tempel aus dem 13. Jahrhundert umgibt. Da mein Gedächtnis in musikalischen Phrasen arbeitet, war die Komposition von L.I.T.A.N.I.E.S meine Art, mich auch an den Frieden zu erinnern, den ich bei meinem Besuch in Japan gefunden hatte", so der Komponist.

Universelle Fragen, Ruhe und Minimalismus sind also die Ideen, die in das Werk eingeflochten sind. Die "Litany Of Divine Absence" beginnt mit einem Gongschlag und der, ähem, bedächtig gespielten Mitgrölmelodie von Scooters "Maria (I Like It Loud)", eines der bekanntesten Stücke der Hannoveraner Poptechnoschlagerkönige. Ob Absicht oder Zufall, funktioniert das gut, denn statt Party ist hier wie zum Zeitpunkt der Aufnahmen Introspektion angesagt.

Der Gong ertönt auch in den folgenden Stücken immer wieder, auch die Scooter-Lens-Melodie wird mehrmals aufgenommen. Die größte Überraschung ist jedoch die warme, betörende Stimme von Lens' Tochter Clara-Lane, die eigentlich Malerin ist und in Berlin lebt, im Frühjahr aber in Brüssel war. Sie passt zu den kurz gehaltenen Texten Caves fast schon besser als Tenor Denzil Delaere und Sopran Claron McFadden, die zum Teil alleine, zum Teil gemeinsam singen. Lens selbst ist auch zu hören (als N.L. Noorenbergh), in der "Litany Of Godly Love" sogar mit seiner Tochter.

Da die Aufnahmestudios ebenfalls geschlossen waren, nahm Lens die Spuren im eigenen Wohnzimmer auf. Elf Musiker waren am Werk, im Wesentlichen an Klavier, Streich- und Holzblasinstrumenten, plus Clara-Lane am Keyboard. Um den Bestimmungen gerecht zu werden, mussten sie sie jeweils alleine einspielen, was mit Partituren aber kein Problem war. "Die Noten kamen schnell, fast zu schnell, um sie aufzuschreiben", so Lens.

"Diesmal gibt es keine Komplexität in Rhythmus und Ton, das Ergebnis hat nichts mit meinen gewohnten Opernstrukturen zu tun". Dennoch ist "L.I.T.A.N.I.E.S." ein Werk, das sich lohnt, angehört zu werden, sowohl von Hörern, die Lens kennen, als auch allen anderen. "Nichts liegt mir ferner, als Opernpuristen zu enttäuschen. Man sollte die Komposition eher als eine bescheidene Kammeroper aus der Welt der Träume sehen, eine einstündige tranceartige Reise, eine fantastische Fahrt, die den Hörer durch ungewohnte Regionen führt".

Cave jedenfalls zeigte sich begeistert, wie Lens seine Texte umsetzte. "Solch ein Privileg. Solch eine Freude. Solch eine Ehre".

Trackliste

  1. 1. Litany Of Divine Absence
  2. 2. Litany Of The First Encounter
  3. 3. Litany Of Blooming
  4. 4. Litany Of The Sleeping Dream
  5. 5. Litany Of The Yearning
  6. 6. Litany Of Fragmentation
  7. 7. Litany Of The Forsaken
  8. 8. Litany Of Gathering Up
  9. 9. Litany Of Transformation
  10. 10. Litany Of Godly Love
  11. 11. Litany Of The Unnamed
  12. 12. Litany Of Divine Presence

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2 Kommentare

  • Vor 3 Jahren

    Hatte letzte Woche in den Ankündigungen der Neuerscheinungen schon gesehen, dass N. C. und N. L. ein gemeinsames Album aufgenommen haben, und mir auf YouTube ein bisschen was angehört. Sehr faszinierend.
    N. L. wird mir immer als Komponist des Soundtracks zu "Mein erstes Wunder" (2003) in Erinnerung bleiben. Ist leider nie auf CD erschienen oder soweit mir bekannt sonst irgendwo zusammengestellt worden.

  • Vor 3 Jahren

    Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.