laut.de-Kritik
Braucht noch im dunkelsten Club dringend eine Sonnenbrille.
Review von David HilzendegenFragt man Nick Waterhouse nach dem Genre, das er spielt, sagt er mit entschlossenem Blick – nichts. Er spiele eben, wie und wonach er sich fühle. So oblag es in den vergangenen Wochen den Kollegen der Presse aus aller Welt, den Mittzwanziger aus San Francisco zu kategorisieren.
Waterhouse liefere die Antwort der Westküste auf Daptone, stand da geschrieben. Der Sänger und Gitarrist sehe aus wie Buddy Holly, klinge aber wie Ike Turner. Sein Sound sei Soul oder Rhythm'n'Blues oder "jazz-style pop". Und immer wieder: retro, vintage, 50er, 60er. Alles richtig, und doch greift es viel zu kurz.
Das Phänomen Waterhouse ist nicht einfach zu erklären. "Time's All Gone" klingt tatsächlich wie aus einer Zeit, in der Papa seinen Cadillac vor der Garage parken musste, damit Sohnemann und seine Freunde proben konnten. Unbeholfene Musiker allesamt, die sich ihre Instrumente selbst beigebracht haben und die irgendwelche Kassetten der Geschwister überspielen, um ihren Output in Mono aufzuzeichnen.
Dennoch ist "Time's All Gone" mehr als nur ein weiterer Blick um Jahrzehnte zurück, als Ikonen wie Ray Charles oder Chuck Berry die Musikwelt aufmischten. Die Scheibe lebt natürlich vom R&B früherer Tage (nicht zu verwechseln mit den heutigen Ergüssen, liebe Usher-, Beyoncé- und Rihanna-Fans) und ist damit mit dem Soul der New Yorker Daptone-Kollegen tatsächlich eng verwandt. Ebenso wie dort ist "Time's All Gone" nicht einfach nur eine Reminiszenz, sondern eine Liebeserklärung. Ganz so verstaubt, wie derlei Beschreibungen klingen, klingt das Debüt aber glücklicherweise nicht.
Waterhouse verbindet die DIY-R&B-Ästhetik mit Zügen des kontemporären Rock und Jazz und holt "Time's All Gone" damit weit in die Gegenwart. So weit, dass man sich fragt, wieso solche Platten nicht regelmäßig entstehen. Heraus kommt eine halbe Stunde fürstliche Unterhaltung bei Musik, die noch im dunkelsten Club dringend eine Sonnenbrille braucht. Coolness statt Virtuosität, Mono statt Dolby – und Waterhouse hat sie alle in der Tasche.
Während der Opener noch gemächlich seine swingenden Runden dreht, legen der Sänger und seine Band The Tarots in "Some Place" erstmals los. Die rotzige Single erschien schon vergangenes Jahr, ist mittlerweile natürlich längst vergriffen und wird bei eBay zu Preisen in dreistelliger Höhe gehandelt. "There's some place I swear it's not in my mind / but it's somewhere I been trying so hard to find / some place, I know it's not quite clear / a place I can only say that it's not right here."
Von nun an entwickelt sich eine homogene Scheibe, die in einem grandiosen zweiteiligen Finale endet. Nicht eben ausschweifend und explosiv, aber immer einen Tick übersteuert und damit so direkt und roh, dass wohl kein Tanzbein still steht. Ein bisschen Doo-Wop hier ("I Can Only Give You Everything", "(If) You Want Trouble)", ein wenig Funk da ("Indian Love Call"), rollende Bässe und Keys dort ("Is That Clear"), dazwischen Bläser und der obligatorische weibliche Backgroundchor. Und immer wieder Waterhouse, der alles andere als ein begnadeter Vokalist ist, dafür aber derart verbindlich, dass man ihn so schnell nicht mehr los wird.
Kaum vorstellbar, welche Hallen der Gitarrist und seine Kollegen mit "Time's All Gone" wohl einreißen könnten. Bis auf Weiteres müssen aber die eigenen vier Wände und das Interieur herhalten. Zuletzt spielte Waterhouse im März in Frankfurt und Berlin, ein Bootleg des Hauptstadt-Gigs steht auf seiner Homepage bereit. Weitere Termine in Deutschland sind vorerst nicht geplant.
2 Kommentare
5 sterne.
yes.