laut.de-Kritik

Ein Album für die einsame norwegische Insel?

Review von

Aus welchen ökonomischen Verhältnissen der Hamburger Niklas Paschburg stammt, weiß ich nicht. Die Entscheidung, mit Anfang 20 eine modernere – und für das Klassikpublikum somit uninteressante - Variation von klassischer Musik mit dem Klavier einzuspielen, ist aber eine mutige. Paschburg positionierte sich mit dem über die Genregrenzen hinaus positiv rezipierten 2018er-Album "Oceanic" im Kielwasser der Neo-Klassik-Künstler Nils Frahm, Hauschka und Ólafur Arnalds. Der Nachfolger "Svalbard" entstand zu einem Großteil auf der gleichnamigen Insel im Norden Norwegens, eine raue und schöne Landschaft. Eine künstlerische Auseinandersetzung mit Einsamkeit, Natur und Kälte drängt sich förmlich auf, schon das Cover zeigt abstrakte Eisformationen.

Ein solcher überspannender Bogen fehlt jedoch. Stattdessen bricht das Album in zwei Teile: Den ersten, schwächeren eröffnet "If". Ihn charakterisiert das dominante Piano, anders als bei Hauschka fast durchgehend nur wenig entfremdet. Das verleiht diesem Part eine starke Klassikkomponente, Beats und Synthesizer bleiben jedoch keineswegs abstinent, gleichwohl nur wenig organisches Beiwerk.

"Cyan" überzeugt streckenweise als Pianostück, der einsetzende Beat bricht das Lied allerdings nicht auf, sondern verleiht ihm ungewollt ein billiges Kellerambiente, das sich mit der Kühle und Professionalität des Pianos beißt. Ein Dialog, gar eine Symbiose zwischen dem Hauptinstrument Klavier und dem Bass und Synthies findet in "Bathing In Blue" und "Season Shift" nicht statt. Beide Songs verwechseln Dynamik mit Dahintreiben und sind schlicht langweilig. Die ziellosen Pianofiguren wirken nicht einmal virtuos, sie erinnern in ihrem Stoizismus an schlechten Dub. Eine Beziehung zur Umgebung in Norwegen muss man sich als Hörer arg bemüht konstruieren, gerade wegen der bemühten Dynamik einiger Stücke.

Den Bass in "Seasons Shift" bedient der Produzent des Albums Andy Barlow, Mitglied der Trip-Hopper Lamb, denn nach dem Aufenthalt auf dem skandinavischen Eiland ging es in menschenfreundlichere Gefilde, nach Brighton, wo Paschburg und Barlow "Svalbard" vollendeten. Umso befremdlicher, dass Barlow als Elektronik-Veteran nicht in der Lage war, den Dialog zwischen Bass und Piano halbwegs sinnvoll zu gestalten, oder die Partituren dieses Teils in ein kohärentes Ganzes einzubetten, woran auch das sparsam eingesetzte Hohner Harmonium nichts ändert. Alle genannten Songs leiden zuvorderst daran, dass die Pianoparts und die Melodien schlicht nicht stark genug sind, das Niveau eines Max Richters oder von Paschburgs Vorgängerwerken, beispielsweise dem tollen Holtnevel auf "Tuur Mang Welten", wird zu keinem Zeitpunkt erreicht.

Wo ein schlechter erster Teil, da gibt es einen besseren zweiten, und diese Songs drängen sich in der zweiten Hälfte von "Svalbard". "Little Orc" macht es besser, da das tolle Pianoakkordeon in der Mitte des Songs gleichberechtigt auftritt und hier tatsächlich ein Dialog mit dem Klavier entsteht. Das Stück wirkt viel weniger verkrampft als die vorherigen, vor allem der sphärische Schluss ist nicht erzwungen. Auch das Albumhighlight "Opera" räumt Paschburgs Hohner Student IVM Accordion viel mehr Raum ein, mit seinem Korg MS2000, als Vocoder eingesetzt, ergibt sich ein hochgradig interessanter, flirrender Klang, noch verstärkt durch den OB-6-Synthesizer, der auf Albumstrecke sein eigentlich für große Gesten ausgelegtes Naturell zu selten zeigen darf.

Während sich der schlechtere Teil des Albums qua Ereignislosigkeit als unfreiwilliger Ambient qualifiziert, zeigt "Husky Train", ausgehend vom Drone-Sound des Synthesizers, wie es richtig geht und was ein Klaviervirtuose diesem Genre geben kann (was stellenweise ebenso für das konservativere Ambient-Stück "Winter Born" gilt). Das ist nicht nur im Titel ein Track, dem ich die Nähe zu Eis und Kälte wirklich abkaufe und der wiederum mit einem schlüssigen Spannungsbogen aufwartet. Zumal das Stück als eines der wenigen des Albums demonstriert, zu was Paschburg am Klavier fähig ist und welche spannenden Momente sich ergeben, wenn Elektronik und Klassik nicht nur nebeneinander stehen, sondern in klangliche Beziehung zueinander treten.

A propos Klavier: "Duvet" funktioniert als harmloses Pianostück, da es schlicht gut geschrieben ist. Lieblich im besten Sinne. Neben "Opera" ist "Arctic Teal" am gelungensten. Wiederum spielt das Akkordeon eine wichtige Rolle; angemessen schneidend und dramatisch fuhrwerkt Paschburg wie ein Gletscher die Sound-Moränen vom eisigen Berg.

Trackliste

  1. 1. If
  2. 2. Cyan
  3. 3. Bathing In Blue
  4. 4. Little Orc
  5. 5. Season Shift
  6. 6. Opera
  7. 7. Duvet
  8. 8. Husky Train
  9. 9. Arctic Teal
  10. 10. Winter Born

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