laut.de-Kritik
Die Wüstenreise wird zur langen, schweren Durststrecke.
Review von Tobias LitterstDa haben wir uns aber einiges vorgenommen: Der Jazz-Trompeter lädt die Hörerschaft zur Durchquerung einer leblosen Felswüste, einer Hamada. Fast so wie jener alte Eremit in dem Dokumentarfilm, der Nils-Petter Molvaer zu dieser musikalischen Reise inspirierte. Mit dem Album will uns der Jazzer die aufregenden Naturphänomene vor Ohren führen. Klingt spannend - ist es jedoch keineswegs.
Einmal mehr richtet der Soundtüftler sein Hauptinteresse auf die Kultivierung bombastischer Klanglandschaften. Darin beweist er auch auf "Hamada" durchaus großes Geschick. Leider fehlt die richtige Dosierung.
Ständig wabern üppige Synthie-Teppiche, flirren Gitarren-Töne durch die Luft, brummen Bässe vor sich hin und tönen Geräusche durch den verhallten Klangraum. Viel zu oft geschieht dies ohne erkennbare Struktur. So laufen sich die Molvaer'schen Sound-Konstrukte schnell tot und büßen ihren unbestreitbaren Reiz vollkommen ein.
Über solch sphärische Untermalung legt Molvaer seine melancholisch gestimmten Trompeten-Parts. Das Spiel des Norwegers erweist sich allerdings ebenfalls als nicht besonders variationsreich.
Dass es auch anders geht, zeigen die Songs "Exhumation" und "Lahar". Hier verzichtet der Trompeter auf jegliche Begleitung und entfaltet den Klang seines Instruments.
Auch "Sabkah" tönt angenehm reduziert. Das Stück begnügt sich über weite Strecken mit der sanften Umrahmung, die Gitarrist Eivind Aarset und Drummer Audun Kleive zu den melodischen Einfällen des Protagonisten beisteuern. Dabei lassen sich sogar feste Strukturen ausmachen. Der Uptempo-Track "Friction" bringt durch seinen treibenden Rhythmus und den für Molvaer ungewohnt düsteren Sound wenigstens einen Schuss Abwechslung ins Geschehen.
Dieser bedrohlichen Atmosphäre setzt "Cruel Altitude", eine wilde Rock-Eskapade, noch eins drauf. Die Nummer überrascht zwar mit ihrem rauen Sound, erstarrt jedoch bald in harmonischer Bewegungslosigkeit und verkommt so zu monotonem Lärm.
Mit "Anticline" versinkt der Hörer ein letztes Mal in den weiten Soundscapes. Ziellos irrt er darin umher und empfindet Molvaers Wüstenreise mittlerweile nur noch als eine lange, schwere Durststrecke. Immerhin erscheint ab und an eine Oase, ganz klein am Horizont. Bleibt für künftige Veröffentlichungen zu hoffen, dass es sich dabei nicht um eine Fata Morgana handelt.
7 Kommentare
meine empfindungen unterscheiden sich von jenen des rezensenten beträchtlich.
klar, man wartet irgendwie schon gefühlte 100 jahre auf d e n einen hammer, der an das weltklasse-debut khmer anknüpft.
aber die molvaerschen klanglandschaften sind mitnichten bloß gleichartige backförmchen jazzismen.
vielleicht ist es wirklich leichter, den norweger (lebt auf der insel sula) emotional zu verstehen, wenn man selbst von der küste stammt.
diese kristallklaren stimmungen wie ein pril im winter;
diese rockmonströsen songgewitter wie friction oder cruel altitude prickeln wie die gischt des tobenden meeres zur jahreswende;
das totale erstarren der lieder wie trompete gewordenes polarlicht und der menschenleere strand in der winterklaue
das alles kann so dermaßen großartige stimmung verschaffen, die nur schwer zu verbalisieren ist.
ich mag diesen (wie immer bei molvaer) düsteren edelstein sehr. kann man auch gut zu
In meinen Augen ist Hamada auch eine deutliche Verbesserung gegenüber den letzten Aufnahmen. Die Reduzierung bekommt der Musik gut. Die dezenten Gitarrensynthie-Klangflächen eröffnen tatsächlich (sofern Flächen das können …:rayed: ) Räume für die melancholischen Statements des Trompeters, die dezente Rhythmusbegleitung schiebt das Ganze in den Bereich von Ambient-Musik, ohne sich in endlosen, eintönigen Wiederholungen zu ergehen. Nur gelegentlich geht es ab, rhythmisch recht schräg übrigens, und das hat mehr Biss als zuletzt.
Was die Rezension betrifft: Die fand ich ziemlich ärgerlich. Ich hätte mir da etwas mehr Sachlichkeit gewünscht. Oder überhaupt Sachlichkeit.
Ein paar Punkte dazu: Nach dem herablassenden Einstieg à la Krankenschwester/Hirnpatient („Da haben wir uns aber einiges vorgenommen“) hagelt es unsachgemäße Statements: Eine Felswüste als „leblos“ zu bezeichnen entspricht weder der Musik (meiner Ansicht nach) noch der Realität von Felswüsten, sondern eher wohl der rhetorisch fehlgelenkten Phantasie des Rezensenten, der uns damit wohl einstimmen will in die angebliche Leblosigkeit der Musik. Eben das trifft, gerade auch im Vergleich mit den vorherigen Werken, die mir viel steriler erscheinen, nicht zu und ärgert mich auch wegen des billigen manipulativen Kniffs. „Bombastische Klanglandschaften“, die er mal kurz einwirft, wird man auf dem Album kaum finden, wie sie ja auch zu den „sphärischen Untermalungen“ der „melancholisch gestimmten Trompeten-Parts“ in dezentem Widerspruch stünden, gäbe es sie. Die „ständig vor sich hin brummenden Bässe“ tauchen entsprechend überhaupt nur auf drei von zehn Stücken auf.
Am meisten ärgert mich aber die Bemerkung: „Viel zu oft geschieht dies ohne erkennbare Struktur.“ Ich will nicht infrage stellen, dass der Rezensent keine Struktur erkennt. Aber jedem nicht ganz verblödeten Hörer müsste klar sein, dass Musik als Strukturierung von Tönen in der Zeit IMMER Struktur aufweist. Die mag mal einfacher, mal komplizierter sein. Tatsächlich ist es hier so, dass man kein Strophe-Refrain-Strophe-Schema findet und die Themen nicht nach AABA aufgebaut sind wie etwa bei Bosse oder ähnlichem Pop-Material. Ich hoffe, dass der Rezensent in der Lage ist, Material über solche einfachen Strukturen hinaus zu erkennen oder wenigstens zu erfühlen und dieses Statement nur ein polemischer Ausrutscher ist, in dem er seinem Unwillen nachgegeben hat, sich freierem Material auszusetzen, und keine Unfähigkeit. Ansonsten sollte er bei Rezensionen über Bosse bleiben. Genug fähige Leute gibt es ja bei Laut.
Ach: Und dieser Hörer hier irrt nicht „ziellos in den Soundscapes umher und empfindet Molvaers Wüstenreise mittlerweile nur noch als eine lange, schwere Durststrecke“. Sprich also für dich, Thomas Litterst, wenn du so etwas unbedingt schreiben willst. Oder schreib Lyrik.
@dba: Schön, was du geschrieben hast!
wir hstten hier über ostern besuch von 3 durchaus musikbewaderten norwegern.
interessant:
die ganzen großen nummern a la rypdal, garbarek, molvaer, wesseltoft etc werden von den wikingern selbst ganz anders wahrgenommen.
"ja, wir sind ganz gut in der spartensache; von madrugada über black metal hin zu jazz. da gibt es aber kein großes fass für. jeder macht hier sein ding; vom kaufmann bis zum künstler. am ende trinken alle in der selben taverne und verfluchen die bier- und autopreise. dieser typische kulturstolz ist und eher fremd. deshalb sitzt der relevant verrückte turbonegrofanclub auch in deutschland und nicht in norwegen."
exakt.
diese promi-geilheit, die hier so extrem vorherrscht, fehlt da völlig.
und auch dieser bei uns ebenso typische e-musik verklärungsstolz, der in deutschland schon fast den sofortigen denkmalstatus herbeiführt.
auch die künstler untereinander habe da scheinbar wenig berührungsängste, weniger schubladendenken.
so ein typ wie eivind aarset hat eben kein problem damit, sowohl mit molvaer als auch mit cher zu arbeiten.
das wirkt alles sehr sympathisch nimmt sich selbst weniger ernst.
und die ergebnisse geben ihnen ja recht
.....ich fand seit jeher schon immer aha besser als abba
Die 4,5 pt. sind zu Recht so klein geschrieben ... aber Argusgünter entgeht auch das nicht!
Ich halte es da ja eher mit Blixa Bargeld, der, als er mit den Bad Seeds einen Blues spielen sollte, gegangen ist. (Genauer: Er hat die Gitarre weggeworfen und gebrüllt: "Ich spiele keinen Rock'n'Roll, um Rock'n'Roll zu spielen!" )
ha, wann hat er das denn getan?
mein gott, die seeds ohne blixa....das schmerzt auch noch immer.