laut.de-Kritik

Vier Wichsbolde im Ü50-Songwriting-Camp.

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Das Konzept klingt ganz wunderbar: Vier Männer mittleren Alters fahren freiwillig raus aufs Land in die Schleswig-Holsteinsche Provinz, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Doch sie wollen gar kein Craft-Bier brauen, sondern eine Platte aufnehmen. Nun handelt es sich bei Oil nicht um irgendwelche Männer, sondern um ehrbare Figuren aus dem erweiterten Kulturbetrieb. Mit aktiver Musikerzeugung hat kaum einer viel zu tun, Maurice Summen mal ausgenommen, der ist nicht nur besessener Betreiber des Labels Staatsakt (Dorau, Düsterboys), sondern auch Chefdirigent von Die Türen. Er dürfte auch Bassist Timur Cirak irgendwo aufgelesen haben. Christian "Reverend" Dabeler hingegen brachte es als Kommissar der Low-Budget-Serie "Deichbullen" zum Netflix-Star, nachdem er in den 90ern tatsächlich mit Go-Betweens-Sänger Robert Forster gemeinsam in der Band spielte.

Der vierte im Bunde ist Gereon Klug, zum Zeitpunkt der Aufnahme lediglich Studio Braun-Prokurist und Manager von Rocko Schamoni. Seit seine private Beziehung zu Schamoni im Podcast "Auf der Bahn" öffentlich gemacht wurde, rückt er im Oil-Promiflash hinter Dabeler auf Rang zwei vor. Musikalisch ist er auch noch, zumindest als Konsument, wovon man sich in seinem Plattenladen zwischen Schanze und Karoviertel überzeugen kann, wo er ausschließlich Schallplatten von Künstlern aus Hamburg und näherer Umgebung verkauft.

Man tritt daher sicher niemandem der Beteiligten zu nahe mit der Feststellung, dass sich hier vier außerordentliche Nerds auf engstem Raum an die jeweiligen Einzelbegabungen der Kollegen ranwanzen. Musikalisch klappt das nicht durchgehend, aber vom Verkaufen verstehen sie ja was, weshalb es zusätzlich zum Album das Buch "Naturtrüb" gibt (Verbrecher-Verlag, 20 Euro). Darin: Die Tagebücher zum Ü50-Songwriting-Camp. Dort versammeln die vier Freunde nicht nur amüsante Anekdoten, sondern auch auf die Oil-Musik übertragbare Wahrheiten. Etwa Klugs Zustandsbeschreibung kurz vor der ersten Probe: "Wir sitzen rum, und jeder trinkt etwas anderes. Ich bleibe bei Bier, plane aber schon Gin Tonic."

Das Bier scheinbar naturtrüb, also das mit den wichtigen Vitaminen aus der Bierhefe, denn so versteht sich auch die Musik: Schlingernder, von jeglichem Ballast befreiter, orgelgetunter Waldhütten-Crossover, präzise dem Gitarre-Bass-Fundament gehorchend, alles obendrauf frei assoziierend. Entfernt fühlen sich Oil dem Rumpel-Dub von Public Image Ltd und deren angetrunkenen Beatmustern verpflichtet, woraus sich auch der abgewandelte Bandname erklärt.

Während allein die Songtitel "Mann Ohne Abschlussschwäche", "Yoko Ohne" und "Wichsbold" die Notwendigkeit des Bucherwerbs herausstellen, tut sich die Musik mitunter schwer. Naheliegendes Topos einer Band namens Oil, die im Wald aufnimmt, ist Fracking, bei dem "Leider Geil"-Co-Autor Klug auch gleich acht Strophen aus der Tiefe seines poparchäologischen Sprachinventars rauspumpt: "Spinner spinnen Rapper rappen / du bist Fracker, kackst beim Fracken / Frack dich selbst sonst fracken sie dich / like a drecks machine". Klingen tut das wie eine Deichkind-Coverversion von Mambo Kurt, intoniert von einem Sänger, der gerade beim Bier ist, aber schon Gin Tonic plant.

Maurice Summens melodisches Know-How, das sich auf Türen-Alben gerne in elegantem Krautrock ausbreitet, lässt sich in "Derogation" nachhören, die Orgel hier im schnurrenden Stereolab-Modus. Mit "Frei Wie Der Wind (Freiwind)" wagen Oil gleich mal ein Lebensfazit: Man hat es zu was gebracht, ohne sich krumm zu machen, schließlich macht man gerade Hüttenurlaub auf Labelkosten: "Ich bin frei wie der Wind / kann tun und lassen was ich will / niemandem Rechenschaft schuldig / schlaf so lang und mit wem ich will."

Doch nicht nur Rapper rappen, auch Klug übernimmt mangels Gesangstalent diesen Job. Stakkatoartig bellt er Tiefgründiges wie Triviales raus, immer derbe, gerne auch obszön, was die sehr minimalistischen Arrangements noch hervorheben ("The Finest in Masturbation"). Am Ende wird der belohnt, der durchhält, denn mit "Du Ich Meld Mich Später" und dem Titelstück zeigen Oil in beeindruckender Weise, wozu die Kombination Bier, Gin Tonic und genialer Dilettantismus fähig ist: "Du Ich Meld Mich Später" ist die Fortsetzung des Trio-Heulers "Sabine Sabine Sabine" in der Extended Version: Alle vier Oiler am Handy mit den zurückgelassenen Herzdamen, die verdammt noch mal wissen wollen, warum ihre Anrufe ständig ins Leere laufen. Und da hat jedes Bandmitglied seine ganz eigenen, sattsam bekannten Cis-Männer-Ausreden parat.

In "Naturtrüb" dreht Klug den Zeitgeist mit Freitagsfuturisten und Klimarettern auf links und prangert stattdessen die offensichtlichen Verfehlungen von Mutter Erde an: "Eine Hälfte von dir pennt immer / Du bist eine leistungsschwache Laune der Natur / Bei Dir ist Schimmel im Garten Eden, das muss man mal so deutlich sagen (...) Erde, du bist dünnhäutig! Du lässt dir doch sogar von Kühen deinen Schutzfilm durchfurzen / Wer macht denn sowas / Und die Flugzeuge in Deinem Hauch". Anarchische Filetstücke des Wahnsinns mit deutlicher Studio Braun-Note. Und für einen kurzen Moment (der 20 Minuten dauert) sitzt der ewige Manager Gereon Klug nicht mehr hinter dem Steuer als Fahrer seines von Neurosen geplagten Stars Schamoni wie im "Auf der Bahn"-Podcast. Sondern alleine hinten, im Rücken seines Chauffeurs, als Mann ohne Abschlussschwäche.

Trackliste

  1. 1. Frack It
  2. 2. Derogation
  3. 3. The Finest in Masturbation
  4. 4. Mann Ohne Abschlussschwäche
  5. 5. Frei Wie Der Wind (Freiwind)
  6. 6. Hell Oder Hölle
  7. 7. Fluss Der Zeit
  8. 8. This Is OIL!
  9. 9. Yoko Ohne
  10. 10. Rev Rock Bitch
  11. 11. Wichsbold
  12. 12. D.I.Y.
  13. 13. Du Ich Meld Mich Später
  14. 14. Naturtrüb

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