laut.de-Kritik

Der Schlüssel zur nordischen Schatzkammer.

Review von

Seltsame Anagramme statt richtiger Namen und die Schultüte voll fragiler Arrangements. Man weiß um das Alleinstellungsmerkmal isländischer Musiker und schätzt es an Bands wie Sigur Rós, sofern denn der Zugang in nordische Schatzkammern erst einmal gefunden wurde.

Olafur Arnalds ist der neueste Emporkömmling dieser schützenswerten Gattung. Mit gerade einmal 20 Jahren bespielt der Neo-Romantiker aus der Reykjavík-Vorstadt Mosfellsbaer die Klaviatur des ganz großen Gefühlskinos. "Beautiful in the same way as the Antarctica is", sagt der Künstler. Recht hat er.

Seine Sonate passiert genau zwischen Kronos Quartet, Indie-Attitüde und dezentem Loopeinsatz, um die elegischste Form von Schönheit zu zelebrieren. Ein glockenklares Piano, gleißende Viola und Violine, die Wärme des Cello-Kontrabass-Gespanns - hier wird jeder Augenblick mit perfekt produzierter Erhabenheit angereichert. Arnalds manövriert sein Kammerorchester durch geseufzte Anstiege und zerbrechliche Senken, die zum Selbstvergessen einladen. In den stillsten Momenten: Grundrauschen.

Doch wo Gregor Samsa den mutmaßlichen Ausbruch aus der Weltzurückgezogenheit auf "55:12" eher plakativ bringen, ironisiert der nebenberufliche Schlagzeuger einer Metalcore-Formation das Klischee Laut-Leise. Am Ende von feinsinnig dahinfließenden 40 Minuten zerfetzen brutale Drumbeats und verzerrte Gitarrenwälle den harmonischen Glanz – bloß um schon Sekunden später wieder in Schwermut zu vergehen.

Zur Premiere direkt die Grabesrede auf die Evolution zu halten, dazu gehört eine Menge Chuzpe. Und dass Arnalds den Anschein eines intimen Vieraugengesprächs über die gesamte Länge konsequent wahren kann, verdient eine eigene Lobesrede. Bitteschön.

Trackliste

  1. 1. 00:40
  2. 2. 00:48 - 07:29
  3. 3. 09:52
  4. 4. 14:40
  5. 5. 19:53
  6. 6. 30:55
  7. 7. 33:26
  8. 8. 37:04 - 38:37

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LAUT.DE-PORTRÄT Ólafur Arnalds

Mit zwanzig Jahren ein Album aufzutischen, das die eingeweihte Indie-Gemeinde von Kunst- und Kammermusik schwärmen macht: eine wahrhaft frühreife Leistung.

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