laut.de-Kritik

Fantastisches Ninja Tune-Debüt der koreanischen Rapperin.

Review von

"If U Want It" hieß die EP, mit der die koreanische Electro-Produzentin und Rapperin Park Hye Jin einen kleinen Hype auslöste. Mit Einflüssen aus der lebendigen K-House-Szene hat sie sich seitdem durch die ganze Weltgeschichte geschlagen und den Lockdown fernab der Heimat in Kalifornien erlebt. Zwei Jahre später muss ihr Debüt-Album über Ninja Tune große Dinge leisten, um der geballten Erwartung von House-Hipstern und Vorschusslorbeeren gerecht zu werden. "Before I Die" vermeldet zufrieden: Sie hat. Ihre erste LP nimmt all die apathische Too-cool-to-bother-Energie und verträumte EDM-Meisterschaft und baut diese zu einem vielsagenden und interessanten Gesamtwerk zusammen.

Die erste Hälfte des Albums scheint sehr klar von migrantischer Erfahrung geprägt. In Melbourne, London und Los Angeles lebte die Frau und tourte durch noch viel mehr Orte. Fernab ihrer Heimat schuf sie ihr eigenes Verhältnis zu Sound-Identität und Sprache. Unterkühlte House-Loops festigen die Songs, auf denen Piano-Loops simpel und effektiv nostalgische Wärme ausstrahlen, subvertiert von sperriger, schwerer Percussion. Es hat diese K-House-Leichtigkeit, die man auch bei Kolleginnen wie Peggy Guo oder Yaeji so finden würde. Aber trotzdem spürt man ihr Rumhängen im Trap-lastigen Amerika und auch im deutschen Techno-Raum durchaus an: Der Sound ist vielseitig und durchschreitet Passagen der Electro-Globalisierung.

Viele Songs zentrieren sich um einschlägige, repetitive Hooks und sind auf einer simplen englischen Phrase aufgebaut. Es sind Ankerpunkte des Albums, die die Mood setzen: "Let's sing, let's dance" heißt es im gleichnamigen Intro, auch "Good Morning Good Night" und "I Need You" echoen den Songtitel für den Refrain ins Bodenlose. Die Formulierungen erzeugen ein Gefühl von grauer Alltäglichkeit, ein Same-shit-different-day-Gefühl.

Klarer artikuliert sie Melancholie, wenn sie auf dem Titeltrack "I miss my mum, i miss my dad, i miss my brother, I miss my sister" wieder und wieder aufsagt – oder auf "Never Give Up" mantrahaft die Aussage "when they treat you just like bullshit" wiederholt. Ihre Stimme klingt immer schon ein bisschen innerlich tot, wenn sie das sagt – und die Wiederholung funktioniert wie ein elektronischer Loop: Es reduziert die in der Phrase verborgene reale Erfahrung, das reale Gefühl und reibt es immer weiter auf. Gerade in ihrem Kontext, den Akzent nicht wirklich verbergend, spürt man auch, dass diese simplen Formulierungen Fixpunkte für sie im Ausland sind. Eine kleine Insel der steten und nachvollziehbaren Bedeutung zwischen den kommunikativeren, flüchtigeren Rap-Verses auf koreanisch, die sie umgeben.

Wäre hier Schluss, dann wäre "Before I Die" eine schlüssige Nachfolge für ihre erste EP, deren Mix aus Deadpan-Raps auf repetitiven Songs und dem existenziellen Horror von Großraumbüro und Anmeldestelle für eine postironische Afterhour taugte. Aber mit der Hälfte kommt dieses Album gerade erst in Fahrt: "Can I Get Your Number", "Whatchu Doin Later" und "Sex With Me (DEFG)" tun genau, was im Titel steht. Es sind Trap-inspirierte Hook-Up-Songs, die die Energie subtil aufdrehen und gleichzeitig mit ihrem ein bisschen Westcoast-aufgeladenen Hip Hop-Sound zum Kopfnicken einladen. Aber Hye Jin klingt dazu nicht wacher, sie klingt innerlich noch toter. Die völlige Apathie, mit der sie "I wanna fuck" wie ein altes Sigill ins Endlose wiederholt? Das ist objektiv einfach extrem witzig. Es ist der Zustand, in dem Depression und Horniness gleichzeitig einschlägt – und es ist vermutlich eine der inhärent witzigsten emotionalen Zustände der Welt.

Das letzte Drittel schließt die Platte mit Banger nach Banger nach Banger ab. Die inhaltliche Schärfe nimmt ab, vielleicht weil die Drogen endlich kicken oder weil das 5-Uhr-Morgens-808-Geballer endlich das Kleinhirn ausgeschaltet hat. Auf jeden Fall packt "Where Are You Think" den industriell gefärbten Techno aus, der zum vielleicht besten Drei-Track-Run des Albums gehört: Dazu noch "Never Die" und "Hey, Hey, Hey"
und man hat drei kolossal hart gehende EDM-Bretter in der Hand, die jeden Dancefloor braten. Die Arrangements sind komplex, die Grooves klatschen mit dem Bass durch die Brust in die Tiefe und gerade "Hey, Hey, Hey" nimmt in seiner stampfenden Repetition so viel Eigenleben an, dass die subtile Variation sich anfühlt, als würde man als Hörer die Welt drehen spüren.

Dass "Sunday ASAP" und "I Jus Wanna Be Happy" am Ende mit ein bisschen Standard-Chill-Trap abschließen, ist notwendiges Herunterkühlen. Dieses Album ist eine Erfahrung. In einer kohärenten Bewegung setzt sie mit den besten Momenten ihrer bisherigen Arbeit das Heimweh und die Nostalgie der ersten Hälfte in eine immer weiter anschwellende Ekstase um. Aber selbst vom überaus gelungenen Album-Kontext ist die Menge an Standout-Songs auf diesem Album unglaublich. "Let's Sing Let's Dance", "Where Did I Go", "Can I Get Your Number", "Where Are You Think" oder "Hey, Hey, Hey" brettern alle ins Unermessliche, ohne Park Hye Jin als komplexen, aber einzigartigen Protagonisten auch nur eine Sekunde zu überschatten. "Before I Die" ist so eine schlüssige Entwicklung ihres bisherigen Schaffens. Dieses experimentierfreudige und hocheffektiv Genre-durchbrechende Album ist ein Lichtblick für alle Electronica-Fans.

Trackliste

  1. 1. Let's Sing Let's Dance
  2. 2. I Need You
  3. 3. Before I Die
  4. 4. Good Morning Good Night
  5. 5. Me Trust Me
  6. 6. Where Did I Go
  7. 7. Never Give Up
  8. 8. Can I Get Your Number
  9. 9. Whatchu Doin Later
  10. 10. Sex With Me (DEFG)
  11. 11. Where Are You Think
  12. 12. Never Die
  13. 13. Hey, Hey, Hey
  14. 14. Sunday ASAP
  15. 15. I Jus Wanna Be Happy

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