laut.de-Kritik
Es war einmal in Amerika ...
Review von Manuel BergerAls er vergangenes Jahr "The Boy Who Cried Wolf" ohne große Vorankündigung veröffentlichte, erklärte Passenger a.k.a. Mike Rosenberg noch, er wolle sich nun vorerst aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Was erst klang wie ein Abschied auf unbestimmte Zeit, entpuppte sich kürzlich doch nur als wenige Monate lange Pause, die nicht einmal den beeindruckenden Release-Rhythmus des Singer/Songwriters durcheinanderbrachte. Seit 2014 erscheint jährlich ein neues Album – ohne große stilistische Entwicklung, und ohne nennenswerte Qualitätseinbußen. "Runaway" passt da wunderbar ins Bild.
Wobei Rosenberg auf seinem neunten Soloalbum stellenweise doch noch überrascht. Obwohl er "Runaway" in Großbritannien und Australien aufnahm, ist das dominante Thema Nordamerika – nicht nur textlich, wie etwa in der Yellowstone-Hommage "Eagle Bear Buffalo", sondern auch musikalisch. Im Opener "Hell Or High Water" wandelt Passenger auf Americana-Pfaden, inklusive Banjo. Das ist in dieser Form tatsächlich neu im Kosmos des Briten.
Auch Lapsteel-Gitarre und Mandoline erklingen im Lauf des Albums und unterstreichen Passengers Ansatz, diesmal nicht seine Straßenmusikerseite hervorzuheben, sondern ähnlich "Young As The Morning, Old As The Sea" auf vollere Indie-Arrangements zu setzen. "Let's Go", "Heart To Love" und "Survivors" sind gemacht für Bands, nicht für Einzelkämpfer. Als Nebeneffekt dessen greift Rosenberg oft zur E-Gitarre.
Introvertierte Momente gibt es trotzdem. "Ghost Town" schlägt die Brücke zur "Whispers"-Ära. Traurig führt Rosenberg mit seiner Akustikgitarre an stillgelegten Autofabriken Detroits vorbei. Die Streichermelodie im letzten Drittel des Songs zählt zu den stärksten Momenten des Albums. Ein weiterer ist "To Be Free", das allein schon deshalb auffällt, weil Rosenberg hier keine Gitarre einsetzt. Zu ruhiger Klavierbegleitung erzählt er die Geschichte seiner jüdischen Großeltern, die im Zuge des Zweiten Weltkriegs aus dem Rheinland in die USA auswanderten – von wo später sein Vater eine lange Reise antrat: "He left the farmhouse when he was old enough, headed out west / From California to Southern Africa and all the way to France / And onto England to meet my mother in 1981."
Textlich fällt Rosenberg aufs ganze Album betrachtet wieder deutlich mehr ein als auf "The Boy Who Cried Wolf" – das er in "Heart To Love" sogar noch referenziert: "Well, I've been dancing blindly, I've been preaching to the choir and the boy who cried wolf / But I dispute that I'm a liar." Ganz auf abgedroschene Romantikerzeilen verzichtet er aber nicht, die Fans werden es ihm wohl danken. Also rät er in "He Leaves You Cold" einer Teenagerin drei Minuten lang, ihrem Herzen zu folgen und den bereits vor ihrer Haustür parkenden Schwiegersohn in spe abzuschießen. Das ganze natürlich gespickt mit knuddeligen Sprachbildern. "Your mom, she tells you he's the perfect catch / Your dad, he tells you you're the perfect match / But I know he leaves you cold / He leaves an ice cube in your heart and a snowflake in your soul."
Musikalisch ist der Song kaum aufregender, und leider schließen sich ein paar andere Tracks an. "Eagle Bear Buffalo" bietet zwar mit Slide-Gitarre instrumentale Abwechslung, bleibt aber nur als nettes Hintergrundgedudel im Ohr. Der Titeltrack, "Why Can't I Change" und "Heart To Love" sind Passenger-Standardkost zum – je nach Laune – Achselzucken oder gemütlichen Kopfabschalten.
Wie bei den meisten Passenger-Alben steht am Ende dennoch der positive Gesamteindruck. Mit "Hell Or High Water" und dem Rausschmeißer "Survivors" sind zwei starke, radiotaugliche Nummern enthalten, "Ghost Town" und "To Be Free" bedienen die nachdenkliche Seite des Musikers und immer wieder zeigt Rosenberg, dass er ein Händchen für griffige, gut arrangierte Songs und Melodien hat und sich dabei eine Identität bewahrt. Gut, mit dieser Stimme könnte er sich wohl fast alles zu eigen machen. Bis nächstes Jahr.
Noch keine Kommentare