laut.de-Kritik

Weg vom allzu Gefälligen, hin zu etwas höchst Befreitem.

Review von

Pat Metheny hat in seiner langen Karriere zwanzig Grammys in zwölf verschiedenen Kategorien gewonnen. Als einziger Bandleader erhielt er für sieben aufeinanderfolgende Veröffentlichungen diese Trophäe. Nun veröffentlicht der 65-jährige Saitenvirtuose aus Missouri mit "From This Place" sein erstes Album mit eigenem Material seit "Kin" von 2014.

Dabei stehen wieder einmal weitläufige Songs im Vordergrund. So wechseln sich auskomponierte Passagen und verspielte Improvisationen sowie lebhafte Rhythmen und symphonische Momente immer wieder gegenseitig ab. Vor allem letztere nehmen vermehrt Raum in Methenys Klangkosmos ein, wie der Opener "America Undefined" unmissverständlich klarmacht. Der baut sich nämlich nach und nach zu einem epischen, streichergetränkten Finale auf, dominiert von der Hollywood Studio Symphony unter der Leitung von Joel McNeely.

In dem Stück treffen sich der US-Amerikaner und Pianist Gwilym Simcock immer wieder zu einem heiteren Dialog, während der langjährige Drummer Antonio Sanchez das Zusammenspiel der beiden kongenial mit seinem polyrhythmischen Drumming unterstützt und der Bass der malaysisch-australischen Bassistin Linda May Han Oh ausgelassen vor sich hinbrodelt. Jedenfalls schlägt es mit seiner Leichtigkeit und seinem universellen Flair die Brücke zur aktuellen hippen Generation im Jazz.

Letzten Endes verbinden sich auf dieser Scheibe traditionelle und moderne Komponenten zu einer vielseitigen, größtenteils berauschenden Mixtur verschiedenster Stile des Genres. "'From This Place' ist eine dieser Aufnahmen, die ich bereits mein gesamtes Leben produzieren wollte", sagte Metheny in einem Statement. "Sie ist für mich eine Art Art musikalischer Zenit und spiegelt ein breites Spektrum an Ausdrucksformen, die mich über die Jahre interessierten - auf Großleinwand dimensioniert."

Dass der US-Amerikaner eine Menge Freude an diesem Projekt hatte, hört man beispielsweise in "Wide And Far", wenn sich seine hochmelodiösen Grundmotive mit langen, freien Gitarren-Improvisationen abwechseln, die vor Fingerfertigkeit und Gefühl nur so strotzen. Dazu erzeugen die Streicher filmmusikalisches Flair. Jedenfalls scheint der Saitenvirtuose in der Nummer vor Kreativität geradezu überzusprudeln.

Danach flacht die Euphorie aber dann doch ein wenig ab, auch weil sich im Verlauf der fast achtzig Minuten immer wieder ein paar kitschige Passagen einschleichen und hier und da das Piano ein bisschen zu gemütlich vor sich hinklimpert. Da wünscht man sich dann doch an mancher Stelle die Genialität von Lyle Mays zurück, der erst vor Kurzem verstarb.

Gerade die Tracks mit Gastbeteiligung verleiten aufgrund ihrer Gemächlichkeit nicht gerade zu Begeisterungsstürmen. "The Past In Us" swingt zwar federleicht vor sich hin, während Metheny mit ein paar Latin-Jazz-Einschüben aufwartet. Jedoch bedient der Mundharmonika-Einsatz von Gregoire Maret so ziemlich jedes sentimentale Heimat-Klischee über die USA. Das Titelstück verkommt mit den sanften, gehauchten Vocals von Meshell Ndegeocello, den romantischen Streichern und den zu sehr auf Harmonie bedachten Saiten-Tönen des Mittsechzigers zur harmlosen Fünfzigerjahre-Schmonzette. Die zeitlose Klasse einer Dinah Washington erreicht es dabei zu keiner Sekunde.

Ganz anders das grandiose "Same River", das nicht nur vom indisch angehauchten Spiel Methenys, sondern auch von den den rhythmisch-komplexen Bassläufen lebt. Dazu gibt es gegen Mitte ein nachdenkliches Piano-Solo und eine lange psychedelische Improvisation des US-Amerikaners. Insgesamt erinnert die Nummer sehr an den Klang früher Aufnahmen des Labels ECM, wo er Ende der Siebziger und Anfang der Achtziger seine besten Alben veröffentlichte. Man denkt beim Genuss dieses Stückes vor allem an Eberhard Webers Meisterwerk "The Colours of Chloë" aus dem Jahre 1974.

Und dann wäre ja noch "Sixty-Six", wo Metheny nicht nur von einem lyrischen Gipfel zum nächsten jagt, sondern zwischendrin auch die ein oder andere progressive Passage bereithält, begleitet von weitläufigen Streichern, tiefem Bass und treibender lateinamerikanischer Polyrhythmik am Schlagzeug. Dazu lockern hämmernde Klavierschläge das recht klassische Herangehensweise um etwas zeitgemäßem Sturm und Drang kraftvoll auf. Im Großen und Ganzen steht der Song exemplarisch für das, was auf dieser Platte alles richtig läuft.

Jedenfalls bildet "From This Place" nicht unbedingt den Höhepunkt im langen, umfangreichen Katalog Pat Methenys, stellt aber dank der geschlossenen Bandleistung und den bildhaften Streichern wieder einen Schritt in die richtige Richtung dar, weg vom all zu Gefälligen seiner letzten Gruppe und hin zu etwas höchst Befreitem.

Trackliste

  1. 1. America Undefined
  2. 2. Wide And Far
  3. 3. You Are
  4. 4. Same River
  5. 5. Pathmaker
  6. 6. The Past In Us
  7. 7. Everything Explained
  8. 8. From This Place
  9. 9. Sixty-Six
  10. 10. Love May Take Awhile

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