laut.de-Kritik
Konfetti: 46 Songs und 1000 Anekdoten.
Review von Michael SchuhDie Beantwortung der Frage, welche der drei wiederveröffentlichten Pet Shop Boys-Collector's Editions zu "Nightlife" (1999), "Release" (2002) und "Fundamental" (2006) man sich zulegen muss, ist recht einfach: alle. Nicht etwa, weil diese Studioalben ihrer mittleren Karriere-Phase alle so ausgezeichnet ausgefallen wären. Die Energie, die das britische Pop-Duo aufbrachte, das dazugehörige Booklet mit Informationen zur jeweiligen Veröffentlichung zu füllen, sucht aber ihresgleichen.
Eine ausführliche Einordnung der Alben ins damalige Zeitgefüge, wissenswerte Details um ihre Entstehung, Infos zu Produzenten, sonstigen Kollaborateuren und persönlichen Umständen, unzählige O-Töne der Protagonisten Neil Tennant und Chris Lowe: Zufrieden liest man die ersten Seiten und fragt sich, warum das Booklet in Reclam-Heftdicke noch immer nicht zu Ende ist. Ganz einfach: Lowe und Tennant geben anschließend noch Auskunft über jeden einzelnen auf den CDs vertretenen Song (und zwar nicht in einem Satz).
Da spielt es plötzlich gar keine Rolle mehr, dass "Nightlife" im Prinzip ja das schwächste Album ihrer Karriere darstellt. Recht anschaulich lassen die Liner Notes des Duos nämlich erahnen, dass sich die damalige Doppelbelastung Album/Musical (parallel schrieb das Duo an "Closer To Heaven") letztlich nicht zum Vorteil der eigenen Kreativität auswirkte. Süffisant merken sie auch an, dass vor allem die Trance-Tracks mit Faithless-Produzent Rollo die Zeit nicht unbeschadet überstanden haben.
Ehrlichkeit siegt, wie Tennant im Übrigen auch in einem Interview zu der unter dem Stichwort "Catalogue" laufenden Re-Release-Reihe zu erkennen lässt: Alle Alben wurden zwar mit den modernsten Mitteln der Technik remastert und die zuständigen Soundtechniker haben ihm auch versichert, dass klanglich mehr aus den Originalen herauszuholen sei als beim letzten Re-Release-Reigen in 2001. Den Klangfetischisten unter den Fans, die die Alben schon besitzen, rät der Sänger dennoch: Kauft die neuen Editionen nicht.
In erster Linie dürfte Fans allerdings das Bonusmaterial interessieren. Hier wird es nun kompliziert. Beispielsweise sind auf "Nightlife" nicht etwa nur schwache Songs vertreten, nur weil die Original-LP eher lau ausfiel. Ich empfehle hier natürlich auch deshalb das 2002er Album "Release" (3 CDs), ein im Vergleich arg unterschätztes Album der Band-Diskografie, das seinerzeit viele Fans ob der ruhigen, gitarrenbasierten Tracks (feat. Johnny Marr) vor den Kopf stieß. Tennant gibt offen zu, dass der anschließend veröffentliche Dance-Sampler "Disco 3" im Folgejahr so zügig erschienen ist, "um die Wogen zu glätten und entstandenen Schaden zu minimieren".
Verrückt eigentlich, reden wir hier doch von einem Album, das mit "I Get Along" die größte Oasis-Hymne enthält, die die Gallaghers nie geschrieben haben, mit "Home And Dry" einen Gentleman-Popsong mit der Würde und Eleganz von "Being Boring" (gleichzeitig das Lieblingslied von, äh, Brandon Flowers), ein auswegloses Liebesdrama mit einem ihrer tollsten Titel ever ("Love Is A Catastrophe"), gleichzeitig Chris Lowes Versuch, ein "Everybody Hurts" zu schreiben, das erhabene "Birthday Boy" und, und, und. Außerdem beinhaltet die Platte eine Zeile, die mich immer sehr ergriffen hat: Sie findet sich im Song "London", einem Pro-Immigrationssong: "My father fought in Afghanistan / His widow's pension ain't worth a damn / my mother works and goes home to cry / I want to live before I die."
Aber nun, Konfetti, die Bonustracks: "Between Two Islands" und "Searching For The Face Of Jesus" sind zwar nicht unveröffentlicht, aber wer hat schon alle Maxis im Regal stehen, zumal aus dieser Phase? Siehe da: Beide Songs toppen den "Nightlife"-Standard, "Between Two Islands" swingt ähnlich wie "Before" von "Bilingual", aber besonders letztgenannter ist ein lupenreiner Albumtrack, wie er seit "Behaviour" überall draufgepasst hätte. So aber verkam die Nummer über Elvis zur B-Seite.
Zu den Demos ist zu sagen: Oft sind es nicht umsonst Demos geblieben. Der schräge Dancefloor-Enigma-Nonsens "Kazak" oder "Motoring", an das sich Tennant so erinnert: "Auch ein Song der frühen Songwriting-Phase. Wir saßen dran und kamen einfach nicht weiter. Also haben wir ihn liegen gelassen.". Dann stößt man aber wieder auf melancholische Juwelen wie "Run, Girl, Run (Demo)" mit der Zeile "What d'you want to be? / Joan Of Arc on LSD" oder das treibende "I Didn't Get Where I Am Today", wo die Pet Shop Boys mal die Monkees sein wollen - glorios. Nach all dem "Nightlife"-Gehate: "Closer To Heaven" existiert auch in einer Slow Version, und sie ist genial. Tennant und Lowe geben freimütig zu, diese Version innig zu lieben, mehr dazu wollen sie aus Selbstschutzgründen wohl nicht sagen.
Die Bobby O.-Hymne "Try It (I'm In Love With A Married Man)" ist zwar bereits bekannt ("Disco 3"), kann aber nicht oft genug als Italo Disco-Juwel gewürdigt werden. Oktavbass forever. "Jack And Jill Party (Demo)" oder "No Excuse (Demo)" stützen dagegen Tenannts Behauptung, man könnte aus sämtlichen nicht veröffentlichten Songs jener Zeit ein "Release"-Album für den Dancefloor basteln. Dabei braucht sich der Gute gar nicht zu rechtfertigen. Wie so oft haben er und Lowe alles richtig gemacht. Auch mit dieser Re-Release-Offensive. Nur dass sich Vinyl-Fans mit den Originalalben ohne Bonustracks (und ohne Anekdoten) begnügen müssen, stimmt traurig. Streamer haben dagegen eh nix anderes verdient.
4 Kommentare mit einer Antwort
Einfach nur grossartig diese re-releases. Wobei Release wohl das beste Material abwirft. Wie schon erwähnt, völlig unterschätztes Album. Es ist eines meiner Lieblingsalben mit den bereits erwähnten tollen Hits. Ich würde auch noch "Here" hervorheben. Ist ein mehr typischer PSB Song passt aber trotzdem super gut ins Konzept. Das Bonus Material ist sowas von erhaben da können viele andere Bands gar nicht mithalten. Und ganz klar: Würde man aus dem Bonusmaterial neue Alben schnitzen wären diese mit Sicherheit sehr hörenswert.¨Für diese Schätze müsste man den Jungs eigentlich die Füsse küssen.
Bin sicher du würdest denen nicht nur die Füße küssen.
"Bilingual" und "Nightlife" fand ich damals unglaublich schwach. "Release" hat mich wieder an die PSB heran geführt. Immer noch ein tolles, komplett unterbewertetes Album, das endlich wieder vom "New York City Boy"-Schlonz wegführte.
Respekt an die Pet Shop Boys, Neuveröffentlichungen mit soviel Herzblut herauszubringen. Da wird man als Fan anderer Stars richtig neidisch. Mit "Release" selbst bin ich aber nie warm geworden. Nur I Get Along und Love is a Catastrophe sind bei mir hängengeblieben.
Die Re-Releases sind wirklich ein Fest für jeden Fan! Von den drei Neuen ist "Release" für mich allerdings das schwächste Paket, was nicht nur daran liegt, dass ich mit dem Originalalbum (bis auf "Home & Dry") nie warm geworden bin. Auch unter den Bonustracks habe ich wenig gefunden was mich begeistert und was ich nicht schon auf CD hatte. "Fundamental" und "Nightlife" hingegen bieten nicht nur bereits bekannte grandiose Songs (z.B. "Integral", "I´m with stupid" und "Vampires") sondern auch noch mehrere untendeckte Perlen.
Die Booklets mit vielen Infos zu den jeweiligen Songs sind toll gemacht und super interessant zu lesen!
Ich freu mich jetzt schon auf den Re-Release vom fantastischen "Yes"-Album!