laut.de-Kritik
60s Science-Fiction: Extraterristische Extraklasse, außerirdisch schön.
Review von Kerstin KratochwillAls 1966 die erste deutsche Science-Fiction-Serie namens "Raumpatrouille Orion" im deutschen Fernsehen zur besten Sendezeit nach der Tagesschau in der ARD landete, rieben sich die Zuschauer die Augen und trauten ihren Ohren nicht: Eine wagemutige Crew um Major Cliff Allister McLane, Kommander des Schnellen Raumkreuzers Orion (gespielt von Dietmar Schönherr), erlebte phantastische Abenteuer im Weltraum.
Unterlegt war der Straßenfeger mit futuristisch-funkiger Musik von Peter Thomas: Sie beginnt mit dem inzwischen legendären Kraftwerk-esquen Countdown einer Vocoder-Stimme – "10, 9, 8, 7, 6, Fünef, 4, 3, 2, 1, 0" – um dann in die swinglastigen Titelmelodie "Space-Patrol" hinüber zu gleiten. Die "Fünef" ist übrigens dem Berliner Dialekt Thomas' geschuldet, der natürlich hier selbst zu hören ist.
Wie auch in der Serie mit schrullig verschrobener Kreativität gearbeitet und Dinge wie Bügeleisen oder Bleistiftanspitzer in die Armaturen des Raumschiffes eingebracht wurden, so baute auch Komponist Peter Thomas in seine Filmmusik bislang neuartige Soundschnipsel ein. Und wie die gedrehte Sternenexplosion aus einer mit Reis, Sand, Puderzucker und Kaffee gefüllten Kugel, schien auch Thomas' Soundtrack vor verrückten Ideen regelrecht zu explodieren.
Als die Musik erstmals 1966 erschien, wurde das Vinyl für die damalige Zeit ebenfalls äußerst ungewöhnlich präsentiert, es gab ein aufwändiges Klappcover mit Szenenfotos zu bestaunen. Der Soundtrack wurde immer wieder neu herausgebracht, zuletzt 2010 unter dem Zusatz "The Complete Music" mit unveröffentlichten Tracks wie "Mars Menuett" oder "Attention Frogs!".
Peter Thomas kannte sich im Metier 'Straßenfeger' bestens aus, zuvor schrieb er viele Filmmusiken zu den Edgar-Wallace-Filmen. Auch die von ihm vertonten Francis-Durbridge-Mehrteiler fielen aus dem sonst üblichen Fernsehserien-Musik-Rahmen, denn in die Tracks arbeitete er Schreie, Röcheln oder Schüsse mit ein. Aus allen Wolken fielen die Zuschauer jedoch, als sie die wilde Musikmischung zur Raumpatrouille-Produktion hörten, die ihnen wohl genauso außerirdisch vorkommen musste wie die Frog-Aliens in der Serie.
Thomas vermengte darin nicht nur Pop, Beat, Jazz, Swing, Brazil, Posaunen- und Orgel-Kaskaden sowie Klassische Musik, sondern experimentierte auch mit Zwölftonmusik. Zum Einsatz kam auch ein Vocoder aus dem Zweiten Weltkrieg und das zusammen mit dem Toningenieur Hansjörg Wicha entwickelten ThoWiPhon – der Name setzt sich aus den beiden Namen Thomas und Wicha zusammen. Dabei handelt es sich um einen 12-Generatoren-Synthesizer, mit dem man die Frequenzen einzelner Töne verändern konnte, was dann den futuristisch klingenden Effekt erzeugte, von dem auch der Raumpatrouille-Sound lebt.
Thomas' Weltraummusik gilt vielen Musikern immer noch als Inspiration und wurde oft gesampelt: Pulp haben in ihrer Noir-Hymne "This Is Hardcore" Teile des Tracks "Bolero On The Moon Rocks" verwendet, aber auch Röyksopp, Pizzicato Five oder Cornelius sampelten Stücke aus dem Raumpatrouille-Soundtrack. Zu seinen Fans gehören auch Stereolab und Saint Etienne.
1999 erschien die Compilation "Warp Back To Earth", in der Bands wie Coldcut, High Lamas, Schneider TM, Momus oder eben auch Stereolab Thomas-Stücke neu interpretierten. Unter dem Titel "New Astronautic Sound" trugen die Songs Namen wie "Peter In Space", "Blaue Milch" oder "Raumpatrouille Opium". Thomas' Musik wirkt auch in diesen Bearbeitungen wie aus der Zeit gefallen und seiner Zeit voraus.
Seinen avantgardistischen Ansatz empfand er selbst "wie eine Mondlandung 40 Jahre zu früh" (Süddeutsche Zeitung, 23.01.1999). Thomas' Tracks landeten erst im Jahr 2000 schließlich doch noch in den Clubs von London und Berlin. Aber in den Sechzigern mussten die Raumpatrouille-Schauspielern in der Serie bereits zu dem ungewohnten Space-Sound tanzen, und diese Szenen gehören zu den skurrilsten: Im submarinen "Starlight Casino" verrenken sich die Darsteller zu dem eigens dafür kreierten Tanz "Galyxo".
Die schrägen, schwebenden Soundgebilde auf dem Raumpatrouille-Orion-Soundrack fliegen also bis heute durch das musikalische All, docken an und treiben in Zeitlosigkeit weiter – gemäß den Eingangsworten zu jeder Folge der Serie: "Was heute noch wie ein Märchen klingt, kann morgen Wirklichkeit sein. Hier ist ein Märchen von übermorgen".
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
5 Kommentare
sehr coole Wahl!!
Füneff!
rücksturz zur erde!
Wenn sich die Titelmusik im kollektiven Gedächtnis verankert, hat man als Komponist eigentlich schon alles richtig gemacht.
"Orion" ist zwar kein "Star Wars", hat aber zumindest musikalisch mustergültigen Space Age Pop zu bieten.
Zwei Vorschläge für Soundtrack-Meilensteine: "The Forbidden Planet" von 1956, die erste elektronische Filmmusik und wegbereitend für das Genre Ambient. Vladimir Cosma, weil er nicht genug Anerkennung für seine TV- und Film-Scores bekommt.
Komisch, bin zwar seit ewig und drei Tage Sifi Fan und die Raumpatrouille ist mir durchaus in guter Erinnerung, wobei der Soundtrack mir schon damals nicht aufgefallen ist.
Der Kultstatus ergab sich bei der Raumpatrouille u.a. durch den hohen Thrashfaktor der Requisite (Bügeleisen als Funkgerät z.b.) und 1967 ist dann der fast perfekte Sifi Film Alltime erschienen, 2001 Odyssee im Weltall.
Der Soundtrack (2001) hat sich damals ins Hirn regelrecht eingebrannt und erscheint mir deutlich Steinwürdiger als dieser hier. Wenn wundert es auch, Komponisten wie György Ligeti (Atmosphères), Richard Strauss (Also sprach Zarathustra) u. Johann Strauss (An der schönen blauen Donau) konnte man nicht so einfach bügeln.
Der Meilenstein, zur Hilfe, Laut fällt nichts mehr ein.
Ligeti´s Requiem und nette Bildfolgen aus 2001
https://www.youtube.com/watch?v=b7sJwiZhdvw
Gruß Speedi