laut.de-Kritik
Bückt euch zum Sanitärgerät.
Review von Franz MauererPisse, nicht zu verwechseln mit den großartigen Pissed Jeans, den guten Squid Pisser, der interessanten Mrs. Piss, den anstrengend-lohnenden Piss Vortex, den okayen Cocaine Piss oder gar den beschissenen Piss River, Grin Piss, Tiger Piss oder Piss Ant. Ihr merkt, es fließt relativ viel Pipi den musikalischen Jordan runter. Wie bei dem Thema üblich konnte ich Pisse erst dann richtig wertschätzen, als nichts mehr kam, denn das selbstbetitelte Album von 2020 war gar nicht so dolle, "Lambada" von 2022 machte "nur" Lust auf mehr, aber das Debüt "Mit Schinken Durch die Menopause" hat sich bei mir ob seiner überragenden Qualität eingebrannt.
"Dubai" gibt es erstmal fossilschonend nur digital, die LP-Version soll irgendwann folgen, vermutlich vor den Konzerten zu Jahresbeginn 2025. Mit Beirut haben Pisse genau eines gemeinsam: Die Lichtenberger Verbindung, siehe "Herzberg 100" (wobei ich nicht weiß, wo genau Brezel Görings Studio ist, in dem aufgenommen wurde). Leider ist das ein raues Pflaster und irgendein Assi hat den Pissefreunden die Sachen geklaut. Der Song ist nicht besonders gut, weil er zwei Dinge nicht hat, die Pisse zu einer besonders tollen Band machen: Er ist nicht treffsicher gemein und Lale oder Marwin, wer immer von den beiden nun singt, verliert sich nicht im Gesang, was für eine Punkbank natürlich ganz artfremd und deshalb so schön ist. Dazu kommt, dass die beiden und ihre Mitstreiterin Cosma auf dem Track zu sehr auf Gimmicks vertrauen, wie sie früher mal für den Bandsound charakteristisch waren.
All das kommt auf dem Rest des Albums deutlich weniger vor. Ihre Liebe für schöne Riffs leben Pisse auf Songs wie dem Opener "Stein", einer schlicht unfairen und umso unterhaltsameren Anklage, und dem fröhlich deutschlandhassenden "Glotzkowsky" aus. Beide exzellent, der letztere hätte mit runderem Refrain gar ein Hit werden können, so großartig klingen die hohl geschlagenen Percussions. Alles ein wenig erdiger und kantiger als bislang gewohnt im Soundgewand.
Auf "Tempel I" erlaubt uns Orgelmusiker Reinhard Hoffmann ein Durchatmen, das der obige Lichtenberger auf "Hadsel" bestimmt ganz toll gefunden hätte. Mehr als nur konterkarierend stimmungsvoll, Hoffmann kann sowohl Pisse als auch Kirchenkreis, das muss man auch erstmal bringen. "Tempel II" vergisst den ersten Teil nicht, obwohl die Band wieder übernimmt, sondern nimmt das sakrale Element gekonnt im Keyboard auf. Auf "Soldaten Der Liebe" finden die Urinale eine für sie neue, hochinteressante tiefe Kehligkeit, die der Sänger-Ronny auch auf "Theater" findet, das sich superstraight in die Gehörgänge durchstößt.
Pisse machen gerne "Theater" und klingen in der Balance zwischen den Bandbestandteilen mit dominanteren Drums und Bass runder als jemals zuvor. Fat Mike höre ich im Bass auf "Möbelhaus" durch, die Texte klingen auf den ersten Blick oft oberflächlich, fast schon lustig, sind aber im Detail grausam die eigene Seelenlage sezierend: "Wie man Frauen richtig anfasst / Keine Ahnung, wie das geht / Nur die Hässlichkeit der Männer / trieb mich in die Heterosexualität." "Zwangsneurose" fährt einen süchtigmachenden Refrain, sofern man den bei kaum mehr als einer Minute Spielzeit so nennen kann. Dazu kommt das Billardklacken, die pausenlos anschiebende, griffige, superpräsente Gitarre - was für ein wahnsinnig guter, komplexer und runder Song.
Achtzehneinhalb Minuten dauert der Badespaß, "Männerpissoir" weist den Weg nach draußen. Man muss sich etwas bücken zum Sanitärgerät, der Sänger ist in dem Bassgewitter schwierig zu verstehen. Die erste Stelle, auf der die sonst ausgezeichnete Produktion den Mittelpunkt zwischen Sauberkeit und gewolltem Schmutz nicht ganz trifft. Aber was stört das schon, wenn zum Schluss "Ha-ha-ha-honeymoon" skandiert wird und man sich freut, dass deutscher Punk so lebendig atmet und Burnout Ostwest und Ersatzkopf wieder Gesellschaft an der Genrespitze haben.
3 Kommentare
Fand die Dubai Schokolade eher entäuschend, aber in die Dubai Pisse spring ich nochmal rein.
Naja, die haben auxh schon mehr gefetzt.
Schreckliches Cover. Musikalisch wirkt es auf mich wie ein neues Standbein. Wie so oft muss neues öfters gehört werden. Geschmack darf sich verändern. Zu früh für eine Bewertung, abgesehen vom Cover und dem Schriftzug. Schrecklich.