laut.de-Kritik

Internationaler Indie-Folk aus Paris.

Review von

Pollyanna, so etwas wie die Heidi der USA, war eine beliebte Romanfigur von 1913, die heute noch bekannt ist. Die Einstellung des Mädchens: Auch in der beschissensten Situation lässt sich etwas Gutes finden. Wenn etwas gut gehen kann, wird es so sein.

Der Roman war so erfolgreich, dass er Musicals, Sequels und Kinofilme generierte. Offenbar war das Tamtam so nervig, dass George und Ira Gershwin sich veranlasst sahen, auf Distanz zu gehen: "I never want to hear from any cheerful pollyannas / Who tell me fate supplies a mate / That's all bananas", dichteten sie 1930 in "Not For Me".

Natürlich gab es auch mehrere Künstler, die sich den Namen zulegten. Die vorliegende Pollyanna heißt Isabelle Casier, stammt aus Frankreich, ist der Jugend längst entwachsen und scheint den Worten der Gebrüder Gershwin zu folgen: Locker in der musikalischen Umsetzung, nachdenklich in den Texten.

Genauer gesagt handelt es sich um eine Band, die sich um Casier immer wieder neu zusammensetzt. Zu Beginn des Jahrtausends als Duo in Paris entstanden, erscheint 2008 das Debütalbum "On Concrete". Die vorliegende zweite Mühe, im Heimatland seit 2013 auf dem Markt, ist Casiers Versuch, sich vom Image eines "weiteren Folksters, der (passabel) auf Englisch singt", zu befreien, wie auf ihrer Webseite zu erfahren ist.

Das gelingt ihr nicht wirklich. Was nicht negativ gemeint ist, denn schon die ersten Takte mit gezupften Streichinstrumenten lassen aufhorchen. Im weiteren Verlauf hört sich der Song eher folk-poppig an und passt gut zu Casiers tiefer Stimme, die immer wieder an die Nicos erinnert. Wenn auch modulierter und tatsächlich akzentfreier.

Velvet Underground sind keine schlechter Referenzpunkt, doch trotz angedeuteter Dissonanzen fällt Pollyannas Musik wesentlicher lieblicher aus. "Mainland steht für Europa", sagt sie. Das Aufbruchstimmung erzeugende Cover prägt ein Bild des Nordseehafens von Dünkirchen, wo sie ihre ersten Lebensjahre verbracht hat. Das aktuelle Lineup ist international geprägt (Cellist aus Paris, Schlagzeuger aus der Bretagne, Bratschistin aus Kanada, Geiger aus Deutschland), doch findet die Reise weniger musikalisch als persönlich statt.

Die nahe, aber in anderen Ländern gelegenen Brighton und Bruxelles dienen als Kulissen, um Beziehungen zu beenden. Gar wünscht sich Casier, im Himmel übertragen zu werden und in der Hölle berühmt zu sein. Letztlich geht es darum, unterwegs zu sein und Musik zu machen. "Hit the road before they catch us / And then cut our wings / ... / So we'll sing to the flute and dance to the drums / Until everybodys drunk or dead", lauten die letzten Zeilen des Albums.

Melancholische Musik mit einer lebensbejahenden Einstellung, also. "Ich bin Pollyanna 30 Jahre später, nachdem sie so einige Illusionen begraben musste" erklärt Casier in einem Radiointerview. Eine treffende Beschreibung ihres Schaffens.

Trackliste

  1. 1. Real Life
  2. 2. Brighton
  3. 3. About To Rain
  4. 4. You're A Tiger
  5. 5. My Favourite Song
  6. 6. Kids
  7. 7. Bruxelles
  8. 8. Broadcast In Heaven
  9. 9. Old Rockers
  10. 10. I Wish I Worked In A Factory
  11. 11. It's Not The Smoke
  12. 12. Hit The Road

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