laut.de-Kritik

Durchdringende Löwen-Stimme mit Vitalkraft.

Review von

Queen Omega ist eine der maßgeblichen Frauen im Dancehall der 2000er. Sie kommt aus Trinidad, ist 41, posaunt ein gigantisches Stimm-Volumen hinaus und übt in klugen Texten geschliffene Sozialkritik. Seit dem Lockdown dreht sie (nach fast einem Jahrzehnt Funkstille) wieder voll auf. Sie legt einen richtig großen Wurf auf einem französischen Label hin: "Freedom Legacy", das Vermächtnis der Freiheit – spannendes Thema! Für die Beats sorgte durchgehend Lion's Flow aus der Normandie, ein gesichtsloses Künstlerkollektiv aus einer ökologischen, antirassistischen Ecke.

'Queen' Jeneile Osborne, die den letzten Buchstaben des griechischen Alphabets als Pseudonym wählte, behielt mit ihrem lauten Organ stets das letzte Wort. Will sie aber nicht, denn "mankind is so quick to judge and condemn", lässt sie in "See You Down" wissen: "Die Menschheit ist so schnell darin, zu urteilen und abzuurteilen." "Es ist eine Krankheit, die um sich greift / ich sehe in vielen Gesichtern aufgesetztes Lächeln", analysiert sie, rät dazu, sich zu erden, nicht die Bodenhaftung zu verlieren, wir sind ja nur Körper, die nicht immer funktionieren und keine "plastic smiles" brauchen.

Trotz ihrer röhrenden Präsenz lässt sie auch gerne andere zu Wort kommen. Frankreich (Yaniss Odua), Neukaledonien im Pazifik (mit Marcus Gad), die Kolleginnen Kushite und Jalifa aus Trinidad sowie Jamaika sind vertreten - mit Julian in "Oneness + Julian Marley + Yaniss Odua" sogar ein Marley. Bei Frauen im Dancehall denkt man vor allem an Sister Nancy ("Bam Bam"), die fiel allerdings bei einem Festival 2022 aus, ersatzweise reiste Soom T aus Glasgow an, aber zwei Tage zu früh. Die Schottin checkte ein, als Queen Omega Soundcheck hatte, man begegnete sich im Pressebereich, die Queen bat die rabiat shoutende Soom T auf die Bühne, und auch für eine Kollabo auf der Platte fingen die beiden Feuer: "Win + Soom T".

Die Kombi aus diesen partnerschaftlichen Tracks und der höchst inspiriert klingenden Gastgeberin mündete in eines der besten One Drop-Alben der letzten Jahre - kurz: Es ist Hammer, geht in die Beine, ins Ohr, unter die Haut, die Melodien bleiben haften, der Gesang reißt mit, die Drums federn fett, super-elastisch, aber doch mit dem Maximum an Entschlossenheit. Dieser Reggae-Sound entzieht sich dem üblichen Nebenbei. Rhythmus ist hier kein Parcours, um zu testen, wie lange bekiffte Leute vor großen Boxen aufrecht tanzen können, sondern eine treibende Kraft, um diese unfassbar satte, bohrende, Löwen-artige Stimme immer weiter vorwärts zu pushen.

Sie arbeitet sich an der Gnadenlosigkeit der 'Dritten Welt', "robust against the system" ab, konfrontiert die Egoistischen und Gierigen ("selfish and greedy") mit den Leuten unterhalb des Existenzminimums ("trading the blood of the poor and have-not's"), wählt drastische Bilder. Organ-Handel, sowas gibt's, auch wenn sie das hier wohl metaphorisch meint, indem Arme ärmer werden und ihnen sozusagen der Saft zum Leben abgequetscht wird: "The fittest of the fittest shall survive" exerziert sie ihren Blick auf den Sozialdarwinismus in "Fittest" durch, rät zu Wachsamkeit, dem Aufbrechen von Lügengebilden und dem Vertrauen in eine höhere Macht. Manchmal hört sie sich wie die Wagenknecht der Karibik an, allerdings mit Ganzkörper-Einsatz.

Und "Micro Chip" wird nicht das Lieblingslied von Markus Söder werden. Es setzt sich mit Vor- und Nachteilen der Corona-Bekämpfung auseinander. Vorteile: Es verband viele, alle, egal ob reich oder arm, zwang zur Rücksicht, man hatte ein einendes Gesprächsthema, besann sich auf Wesentliches (Gesundheit, Überleben), "each one teach one / there's no time to neglect / put the differences aside, spiritually connect / to the source of life." Aber: Wo sich manche Politiker in der Pandemie damit profilieren wollten, wie man noch härter und schärfer Grundrechte aushebelt, bis Gerichte es im Nachgang verbieten, hält Queen Omega den Verlust an Menschlichkeit aufgrund von 'Social Distancing', die wirtschaftliche Zerstörung durch Lockdown-Maßnahmen entgegen. Mit vehementen Dub-Effekten und harschem, schneidendem Schlagzeug angereichert, lässt die Omega einmal richtig die angestaute Wut darüber raus: "Under its wings we abide and rest", unter dem Deckmantel der Pandemie akzeptierte man so manches, hielt still.

"Freedom Legacy" ist das große Aufatmen nach den Corona-Barrieren. Das Album will rausgeschrieen werden. Es ist die große Revitalisierungs-Platte des Reggae, überwiegend des Roots Reggae, der Sorte, wie man ihn seit 2000 macht: Turbulence, Perfect, Fantan Mojah, Pressure Busspipe, Jah Mason, Anthony B, in diesem Fahrwasser schwimmt sie mit, aber krachender, wortgewaltiger, durchdringender, frei von Schablonenhaftigkeit, voller Dankbarkeit und Lebenslust. "Fire can't extinguish three empresses so divine and distinguished", nicht mal Feuer könne drei Ladies mit solch übermenschlicher Begabung und Würde den Garaus machen, krakeelen die drei bei Minute 2:25 in "Wise Queens + Kushite + Jalifa". Das Frauen-Trio bounzt in eine hellere Zukunft, "we bun out all disease / we bun out corona."

Melancholischer und zugleich stringenter Dancehall-Pop in "Love Your Way", Electro-induziert in "Dynamite", dann mal eine rauere, kläffendere Tonlage für die "Woman 'pon a front-line" im feministischen, gospelsouligen "Lioness", peitschende Beats in "Oneness + Julian Marley + Yaniss Odua" - hier sammeln sich etliche sehr gute Nummern.

Mit Tempo punktet "Win + Soom T", ein simpler, effektvoller hypnotischer Riddim. Die beiden Stimmen passen sich gut im Rhythmusgefüge aneinander an, tönen aber unterschiedlichst hoch, Queen Omega hell, feminin, Soom T quäkend, wie ein Junge im Stimmbruch, und beides gleitet über Beats, die sofort allez hop rufen, "We go oooo-wup" lautmalt die Königin des guten Rasta-Entertainment. "Freedom Legacy" wird gut altern. Unter all den Scheiben, die mit dem Eindruck der Pandemie entstanden, setzt sich diese lyrisch und musikalisch besonders breit mit der Aufarbeitung auseinander und vertont die Heftigkeit, die diese Jahre mit sich brachten.

Trackliste

  1. 1. Freedom Legacy
  2. 2. See You Down
  3. 3. Fittest
  4. 4. Micro Chip
  5. 5. Wise Queens + Kushite + Jalifa
  6. 6. Love Your Way
  7. 7. Goodness
  8. 8. Agape Love + Marcus Gad
  9. 9. Lioness
  10. 10. Extraordinary
  11. 11. Oneness + Julian Marley + Yaniss Odua
  12. 12. Ask
  13. 13. Natural Melody
  14. 14. Dynamite
  15. 15. Win + Soom T

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