laut.de-Kritik
Die Sehnsucht nach dem Lärm des Grunge.
Review von Michael SchuhWenn Rock'n'Roll mit Sex, Drogen und langen Gitarrensolos gleichzusetzen ist, waren R.E.M. exakt zu zwei Dritteln Rock'nRoll. Das ist keine steile These aus dem bequemen Redakteursstuhl heraus, sondern Michael Stipes Antwort im Jahr 2011 auf eine von Moritz von Uslars 99 Fragen im Zeit-Magazin: "Ich liebe Sex. Ich habe Drogen bis zu dem Zeitpunkt geliebt, an dem ich aufgehört habe, sie zu nehmen. Nur lange Gitarrensolos lehne ich selbstverständlich ab."
Als 1994 "Monster" erscheint, macht die ehemalige College-Rock-Band R.E.M. allerdings eine klitzekleine Ausnahme: Schroffer und verzerrter haben sie vorher und nachher nie mehr geklungen. Vielleicht sollte man aber auch nicht jedes Wort eines Rockstars auf die Goldwaage legen. Im selben Interview versprach Stipe schließlich auch, R.E.M. in diesem Jahr nicht aufzulösen, was keine sechs Monate später dann doch geschah. Bis heute sind R.E.M. ein Paradebeispiel dafür, im richtigen Moment auseinander zu gehen, um das eigene Erbe nicht eventuell zu beschädigen.
"Monster" war vor 25 Jahren das neunte R.E.M.-Studioalbum. Es erschien nach den eher akustisch angelegten Alben "Out Of Time" (1991) und "Automatic For The People" (1992), die die US-Band trotz des harten Grunge-Hypes in die kommerzielle Stratosphäre des Rock hievte. Im Gegenzug erwähnte Kurt Cobain in zahlreichen Interviews seine Liebe zur Band aus Athens/Georgia, und als er 1994 starb, befand sich "Automatic For The People" in seinem CD-Player. Zum Zeitpunkt seines Todes war "Monster" so gut wie eingespielt. Und während Cobain vor seinem Tod noch von einem neuen Nirvana-Album sprach, das einen ähnlich ätherischen und akustischen Weg beschreiten sollte, wie R.E.M. auf jenem Album, wollten Stipe und Co. genau in die andere Richtung. Lauter, direkter.
Gerade Stipe hatte aufregende Jahre hinter sich. Er konnte nicht mehr unerkannt einkaufen oder als Fan auf Konzerte gehen. Der Presserummel um seine Person setzte ihm zu. Die Band tourte keines der beiden vorangegangenen Alben und konzentrierte sich stattdessen auf Videoclips. All diese Spannung entlädt sich in "What's The Frequency, Kenneth?", einem kantigen Rocksong, der einen tätlichen Angriff auf CBS-Starmoderator Dan Rather Mitte der 80er Jahre zum Anlass für Medienkritik nimmt. Der Distortion-Sound auf Peter Bucks Gitarren war nicht gerade das, was Millionen neue Fans von "Losing My Religion" und "Man On The Moon" erwarteten. Für den Gitarrist im Rückblick nachvollziehbar: "Wir wollten eine andere Band sein. Wir wollten weg von dem, was uns ausgezeichnet hat".
Auf gewisse Weise ist "Monster" das "Achtung Baby" von R.E.M.: Sie überführten ihren Sound in eine neue Dimension, überzogen den ehrlichen Gitarrenrock mit einigem Glamour und buchten für die dazugehörige Tour große Hallen und Stadien. Ein kreativer Ausbruch, der nach 15 Jahren Bandhistorie notwendig war, wenn auch kommerziell nicht ganz so erfolgreich. Dass "Monster" nun auch mit einem Limited Deluxe Edition-Paket geehrt wird, ist besonders schön, da man sich außerhalb von Fankreisen eher an keinen Song dieses Albums erinnert - die majestätische Single-Ballade "Strange Currencies", die das Level von "Everybody Hurts" hält, mal ausgenommen. Aber die Box ist natürlich ohnehin für Fans gemacht, die gesteigertes Interesse an Features wie einem alternativen Mix des Originalalbums aufbringen. Scott Litt durfte sich austoben und Takes verwenden, die die Band seinerzeit verwarf, eine Chance, auf die der Produzent nach eigener Aussage seit 25 Jahren wartet.
Die Ergebnisse sind interessant und klingen meist rauher und näher am Proberaum: Während Stipes Gesang in "Bang And Blame" vielleicht das Original (mit Sonic Youths Thurston Moore) toppt, erkennt man aber auch, dass R.E.M. an Songs wie "Strange Currencies" oder dem gottgleichen "Tongue" eben wirklich bis zur finalen Perfektion geschraubt haben. "Crush With Eyeliner" zählt Stipe in der neuen Version mit einem "La-la-la-la-la" ein. "Monster" beinhaltete allerdings auch Schwächen: Das für Cobain geschriebene "Let Me In", "King Of Comedy" oder das vergleichsweise stumpfe "Circus Envy" bilden Stolpersteine beim Hörgenuss.
Noch mehr Einsichten in die damalige Soundsuche der Band erhält man auf CD2 mit haufenweise Demos, die leider instrumental sind. Nicht auszudenken, wie "Black Sky 4-14" oder "Harlan County With Whistling" mit Stipe geklungen hätten. Eine kleine Enttäuschung, die das Live-Konzert aus Chicago 1995 natürlich wett macht. Und für all diejenigen ein kleines Trostpflaster darstellt, die R.E.M. damals (wie ich) nie live gesehen haben.
6 Kommentare mit 3 Antworten
Live gesehen im kleinen Luxemburg. Ein Highligth in meinem Musik Fan Leben. Sicher nicht mein Lieblingsalbum von REM. Aber für Bang and Blame bin ich bis heute sehr dankbar. Bis heute eines meiner Lieblingsstücke der Band.
Der Underdog und das verkannteste Werk in der R.E.M.-Diskographie.
Da finde ich aber die Nachfolgealben „New Adventures in HiFi“ und „Up“ noch verkannter und noch mehr Underdog. „Monster“ war ja kommerziell auch ziemlich erfolgreich.
sehr schöner, liebevoller checkertext.
vor 25 jahren habe ich "monster" total geliebt. endlich waren sie mit ihrem rock dem college entwachsen, mit mitte 30 endlich fort von diesem schluffi-schlaffi-nerd-ding. vorher fand ich immer nur einzelne tracks brillant - "orange crush", "drive" etc - aber große teilen ihrer frühen platten eher langweilig umgesetzt.
mit "monster" fand ich in ihnen endlich jenen wuchtigeren, extrovertierten sound, der ihren starken melodien m.E. schon immer gut zu gesicht gestanden hätte. lieder wie "crush with eyeliner" oder "bang and blame" und "kenneth" halte ich noch immer für das stärkste, was sie an uptempo-sachen je machten.
auch live funktionierte die neue direktheit super. ich erinnere einen konzertfilm - ich glaube vom bizarre in deutschland damals - in dem heftiger regen stipes blaues makeup wegwischte, wie das alte klangbild. ganz großer, sehr emotionaler gig.
es ist mir bis heute ein rätsel, weshalb die meisten r.e.m.-fans die platte damals regelrecht verachteten.
"Monster" ist in der Tat unterbewertet. Ich schätze, die Fans mochten das Album nicht, weil es total anders klang als das allseits geliebte "Automatic for the People" und sie R.E.M. unterstellen, sie würden sich jetzt mit härteren Riffs den damaligen Alternative-Rockbands angleichen. Zu Unrecht, denn R.E.M. hat den Alternative Rock der 90er schon früh vorweggenommen, man muss sich nur "Finest Worksong" anhören.
Das mit den vereinzelten brillanten Tracks trifft auf die meisten R.E.M.-Alben zu, nur "Automatic for the People" und "Murmur" würde ich persönlich als durchweg stimmig bezeichnen.
@dein_boeser_Anwalt: das war Rockpalast 2005. R.E.M. Rock am Ring. Ich war einen Tag vorher in Magdeburg dabei. Das Konzert findet man auch auf Youtube.
Bestes Album von R.E.M.
Der Artikel ist ja wirklich toll geworden, denn bisher sind die meisten Kritiken weniger wohlwollend gegenüber Monster. Das liegt aber meines Erachtens daran, dass die meisten etwas völlig anderes erwartet hatten und auf eine zweite AFTP wünschten.
Die Monster Tour war mein erstes R.E.M. Konzert, und ich war erst am Überlegen, ob ich mir das Album anschaffen soll, denn ich fand zunächst das Remix zunächst nicht so prickelnd. Ausschlaggebend für den Kauf war dann doch die Beigabe der beiden Live Scheiben und die bleiben das Highlight. Denn, auch wenn man Monster nicht mochte (was bei mir nie der Fall war), so funktionierten viele Songs live!
Schade, dass Micheal Schuh das nie erleben durfte!
Natürlich habe ich mir dann auch das Remix angehört und ich konnte mich wider erwarten doch daran gewöhnen, denn wie Michael Schuh richtig sagt, klingen sie stark nach Proberaum. Das kennt man aber auch von R.E.M. die gerne ihre Rehearsals vor Konzerten im Internet zeigten und diese hatten immer einen besonderen Charme. Und die Offenbarung ist: Hey, ich verstehe den Text!
Ignorieren darf man auch als Hardcore Fan die beigelegte 2. CD mit den Demo Tapes. Anders als bei den vorherigen Anniversary Aufnahmen ist dieses mal nichts brauchbares vorhanden.
Auch wenn es nicht ihr bestes Album ist, so hört man das dieses Album in ihrer stärksten Bandphase entstanden ist.
Es sind 3-4 echt starke Songs drauf. Insbesondere Bang and Blame, Crush with Eyeliners, Tongue und auch You sind echt gut meiner Meinung nach.
Auf diesem Album wollten R.E.M. bewusst dunkler und rockiger klingen und sich klar abgrenzen von den poppigen Vorgängeralben, was ihnen auch herausragend gelungen ist.
Was das Album etwas runter zieht sind die relativ stumpfen Songs Star69, Circus Envy und auch I took your name. Letzgenannter klingt wie eine Fortsetzung von Crush with Eyeliners.
Aber ich bin sicher, dass auch diese Songs ihre Liebhaber haben werden.