laut.de-Kritik

Der Grunge erfährt im Hip Hop keine Auferstehung.

Review von

Deutscher Rap beschränkt sich längst nicht mehr auf Gangster-Geprolle und Synthie-Beats. Vermeintliche Genre-Mauern fallen wie anno '89. "Wir haben statt Samples zu benutzen so Riffs eingespielt, die man so aus dem Jahr 1993 kennt. Also so verzerrte Grunge-Gitarren mit den Harmonien von damals." RAF 3.0 hat einiges im Köcher. Man könnte meinen, Nirvana würden den Drum-Computer zersägen und der Wahl-Berliner per Mic den Rest des Studios.

Doch Freunde fett bratender Riffs hören weiter Alice In Chains oder gleich Rage Against The Machine. In einigen Songs tauchen Gitarren auf, schön und gut, doch von dem für Grunge typischen rauen, disharmonischen Klang, dominiert von halbverzerrten Gitarrensoli, bleibt nichts übrig.

RAF wollte den Sprung weg vom Weltraum-Sound hin zu mehr menschlicher Wärme schaffen. "RAF 3.0" ging um Roboter, um Technik, Hyperspace, "Hoch 2" beschäftige sich mit dem Menschen, mit ihm, mit der Liebe, mit Gefühlen, erklärte er gegenüber der Juice. Das kann man so unterschreiben. Aber ob man das jetzt "Grunge-Reggae-Trap" nennen soll?

Wie schon auf dem Vorgänger zeigt sich RAF sehr detailverliebt, legt großen Wert auf zielgenaue, hämmernde Bässe und bringt seinen ganz eigenen Synthie-Beat mit. Direkt nach dem "Intro" erscheint das "Phantom" mit fettem Tieftöner, der stakkatoartig aus den Boxen knistert. "Aus meiner Brust pumpt ein Subwoofer pausenlos Bass". Das passt!

Der Exil-Wiener rät: "Vergiss Den Rest", sieht dabei "weder nach rechts, noch nach links", sondern marschiert zielsicher durch sein Album. Keine Spielerei. "Ich trag nie Masken von Tieren", sondern ein vom Bombast besticktes Sound-Gewand. Recht so.

Er weiß aber auch von der Apokalypse zu berichten: Die "Schwarze Sonne" neigt sich und "alles wird zu Staub". Die zu Beginn erwähnte, leicht schwitzende Gitarre versteckt sich im Windschatten der überbordenden Drums. Erst setzt der Gesang und später Prinz Pi ein: "Im Buch steht, Moses hat das Meer geteilt / Doch wenn es fast nix gibt, wird nix mehr geteilt." Zur düsteren Weltuntergangsstimmung passen die Trommelwirbel rund um Vegas aggressive Ansagen.

Das RAF Camora-Alter Ego rappt sicher, gekonnt und in "Schweigen", dem raptechnisch versiertesten Song, auch richtig geil. Hier klirren Skrillex-Soundscherben über die zügellosen Raps, und RAF peitscht sie durch die knapp dreieinhalb Minuten - erbarmungslos und bretthart! Doch in den meisten Tracks kommt in der Hook seine Singstimme zum Einsatz, was die Größe der Platte etwas schmälert.

"Schweigen" und "Bis Ich Wieder Genug Hab" stehen hervor wie Hasenzähne. RAFs Fame expandiert und erstreckte sich in den letzten Jahren bis in die hintersten Winkel der deutschen Blog-Szene. Träume wurden wahr, es gab "Frauen ohne Ende", "Sneakers in allen Modellen und Farben" - "aus Wünschen wurde Wirklichkeit"! Doch manchmal ist Bodenständigkeit das wahre Leben: "Ehrliche Menschen", der gewöhnliche Wagen statt des dicken Benz und "im Club unbekannt auf der Tanzfläche stundenlang abtauchen, abtanzen" sind ihm nach wie vor wichtiger als Koks und Nutten. Eine grundsympathische Einstellung.

Auch wenn der Grunge keine hip hopsche Auferstehung erlebt, so zupfen zumindest gluckernde Unken an melancholischen Gitarren und bieten ihm so einen Hintergrund für sein Liebesbekenntnis an Frau Holle ("Gib Mir Deinen Namen [Evol. Pt 1]"). Das Themengebiet steckt RAF großflächig ab und umgeht damit gänzlich die Langeweile. Mit etwas mehr Druck und Geschmack bei den gesungenen Parts wäre ich völlig d'accord mit der Textzeile: "Mein Werk ist vollendet und es lebe für immer".

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Phantom
  3. 3. Vergiss Den Rest
  4. 4. Schwarze Sonne
  5. 5. Freunde
  6. 6. Bis Ich Wieder Genug Hab
  7. 7. Gib Mir Deinen Namen [Evol Pt. 1]
  8. 8. Wie Neu [Evol Pt. 2]
  9. 9. Träumer [Evol Pt. 3]
  10. 10. Schweigen
  11. 11. Treibsand
  12. 12. Letzter Song
  13. 13. Endstation

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11 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor 11 Jahren

    Der Junge könnte ein soooo geiler Rapper sein, aber dieser 3.0 Scheiß nervt einfach nur!

  • Vor 11 Jahren

    War doch schon immer weak, dieser Knilch. Mucke für garret und die AugZburg OGZ!

  • Vor 11 Jahren

    Bin ich hier echt der einzige der das feiert? Flashe übelst auf diese unfassbar fetten Produktionen ab, sogar der Gesang sagt mir zu, sehr feierbar! Vor allem Letzter Song und Evol 2

    • Vor 10 Jahren

      Bist du nicht, ich finds auch absolut Klasse und die Texte waren zumindest auf dem Vorgänger auch gut.
      Es gibt Songs bei RAF die mehr sein wollen als sie sind , die sind aber eher die Ausnahme als die Regel.
      "Fallen" vom 3.0 Album ist seit dem Tag als ich es zum ersten mal gehört habe dauerhaft in der Playlist da stimmt alles ( obwohl ich gern eine Version ohne den Nazar Part hätte).
      Auf dem neuen Album gefallen auch mir eher die Produktionen, die Texte sind gut aber eher schmückendes Beiwerk.
      "Letzter Song " schon so oft verstrahlt auf dem morgendlichen Nachhauseweg gehört und es wird trotzdem nicht langweilig.

      Ich kann hier auch nur allen die pauschal sagen dass Sie keine "Schluchtenscheißer" hören wollen das neue Zodiak-Tape von RAF und Chakuaz nahelegen.
      Ist auch was für die ewigen Oldschooler die eher auf trockene Beats der Marke "Infamous" oder "Mauvais Oeil" stehen.

    • Vor 9 Jahren

      ich feier das Ding auch extrem!