laut.de-Kritik

Herzblut statt gestelzter Rocker-Pose.

Review von

Er verschwindet in der Unschärfe. Nachdem die ersten Räuberzivil-Platten noch seinen Namen in großen Buchstaben voran stellten, assimiliert ihn seine selbst geschaffene Band nun ganz. Der Musikus grenzt sich von seinem Alter Ego ab.

Gefühlt alle drei Monate findet sich ein neues Album des Janusgesichts in der Post. Doch während das schlagereske Hauptstandbein zunehmend verwässert, nähern sich die letzten Räuberzivil-Platten tatsächlich mehr und mehr den selbst gesteckten Vergleichen an. Der Pressetext schlawinert zwar wieder einmal übers Ziel hinaus und zieht übertriebene Parallelen zu Dylan, Cohen und Cave, aber tatsächlich steigert sich die Truppe nach "Hier Rein Da Raus" ein weiteres Mal.

Die Grundausrichtung bleibt akustisch und steht dem Deutschrocker so viel besser als die gestelzte Pose des breitbeinigen Rockers. Glücklicherweise bleiben auch die literarischen Ergüsse und der störende Altherren-Humor des Vorgängers draußen. "Tiefenschärfe" blickt in die weit zurück liegende glorreiche Vergangenheit und bietet ein über zwei CDs hingezogenes Balkonfrühstück am Pfingstmontag im Gewerbegebiet Nürnberg-Süd.

Klangen Brilles Texte auf "Stein Vom Herzen" oftmals hölzern, zusammengewürfelt und im schlimmsten Fall sogar lustlos, blüht der alte Herr hier nun regelrecht auf. Mehr als einmal erscheint es so, als würde sein Herzblut ganz für Räuberzivil schlagen und die andere Zweigstelle nur noch besucht, weil man zum Geldverdienen eben vorbei schauen muss.

Selbst die für eine Doppel-CD üblichen Platzhalter wie das zu erzwungene "Ponderosa" halten sich diesmal in Grenzen. Der ein oder andere Song wäre sicher verzichtbar gewesen, doch stören die Füller den guten Gesamteindruck nur gering.

Im Opener "Robert Limpert" erzählt der Barde zu Country-Klängen die bedrückende Geschichte des Widerstandskämpfers Limpert und des Nationalsozialisten Ernst Meyer. Im vollständig zurückgezogenen, eindringlichen "Lügner" gibt er einen verqueren Münchhausen. Mit dem hypnotisch wispernden, auf einen Refrain verzichtenden "Rosmarin" gelingt dem Vertriebenen gar einer seiner besten und offensten Songs der letzten zwanzig Jahre.

Die Gitarren-Ballade "So Wie Du Bist": eine romantische und zutiefst ehrliche Liebeserklärung. Während Europas Sohn noch im Tango-Schritt durch "Es Ist Schwierig" tänzelt, flirtet "Der Beste Schurkendarsteller" mit ganz viel Tschaka-Tschaka mit dem Bossa Nova. Im von einer Flöte eingerahmten Dreivierteltakter "Brot Aus Gold" walzert der Liedermacher im Stil von "Der Abend Vor Dem Morgen Danach".

Ein einziges Mal geht "Tiefenschärfe" mit "Willkommen Liebe Mörder" thematisch dann doch gehörig in die Hose. "Wilkommen liebe Mörder / Fühlt euch wie zuhause / … / Nichts nehmen wir euch übel / Empörung nicht die Spur / Ihr habt halt eine andere Umbringekultur." Darüber, dass die Methoden des IS an Unmenschlichkeit nur schwer zu toppen sind, brauchen wir nicht zu reden. Natürlich gilt es, sich so klar wie möglich von solchen Grausamkeiten zu distanzieren. Zudem stammt der Song aus einer Zeit, als noch kein Fuß zu dümmlichen Parolen gegen die Islamisierung des Abendlandes durch Dresden, Leipzig und andere Städte zog.

Trotzdem wirkt der Track nun, bei seiner Veröffentlichung, mehr als fehl am Platz, malt in Schwarz und Weiß, stellt die vermeintlichen Gutmenschen an die Wand und spielt mit seiner Argumentation den Pegidioten in die Hände. Ein Griff ins Klo von einem Sänger, der mit diversen Stücken in der Vergangenheit und aktuell mit dem bereits erwähnten "Robert Limpert" deutlich macht, dass der Applaus für dieses unglücklich platzierte Stück für ihn aus der falschen Ecke kommt.

Sieht man davon ab und kneift die Ohren während "Willkommen Liebe Mörder" ganz feste zu, liefert der Künstler die Platte, die man sich nach unzähligen Nackenhieben in den letzten zwanzig Jahren längst nicht mehr erhofft hatte. Mit Räuberzivil hat Kunze sein eigentliches Zuhause gefunden. "Tiefenschärfe" bietet erstmals in diesem Umfeld ein in sich geschlossenes Album. Genießen wir den Moment, der nächste schauerliche Alleingang kommt vermutlich schneller, als man denkt.

Trackliste

CD 1

  1. 1. Robert Limpert
  2. 2. Lügner
  3. 3. Komme Nicht Aus Alabama
  4. 4. Rosmarin
  5. 5. So Wie Du Bist
  6. 6. General Lee
  7. 7. 30 Prozent
  8. 8. Am Meer Stehen
  9. 9. Drunter Und Drüber
  10. 10. Greif Schon Zu
  11. 11. Ein Nichtsnutz Sein

CD 2

  1. 1. Ponderosa
  2. 2. Papa Hat Geld
  3. 3. Es Ist Schwierig
  4. 4. Brot Aus Gold
  5. 5. Samarkand
  6. 6. Der Beste Schurkendarsteller
  7. 7. Willkommen Liebe Mörder
  8. 8. Mein Anwalt Und Ich
  9. 9. Nichts Als Offene Fragen
  10. 10. Ich Möchte Scheitern
  11. 11. Das Problem Ist
  12. 12. Tu Nur Was Du Nicht Lassen Kannst

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4 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 9 Jahren

    Top Album von dem alten Haudegen!

  • Vor 9 Jahren

    Da hat HRK ja mal wieder prophetische Begabung bewiesen! " 'Dieser Song wird Menschen ärgern', sagt Kunze über ´Willkommen liebe Mörder`." steht bereits im Pressetext von Dezember '14. Man kann das vielleicht auch als Umsetzung einer Idee aus dem Song "Die Gefahr" vom Album "Hier Rein, da Raus" verstehen: "Wie wäre es mal mit Rock gegen Links, nur damit das Denken nicht stirbt? Man muss ja nicht immer der Meinung sein für die man gerade wirbt!"

    Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt darauf mir die Platte morgen anzuhören.

  • Vor 9 Jahren

    Hallo Sven Kabelitz, Du bist also auch einer dieser politisch korrekten, die nirgends anecken wollen! Wer ein "Willkommen liebe Mörder" als "Griff ins Klo" bezeichnet gehört auch zu den "Dumpfbacken, die lieber deutsche Schlager hören" sollten! Wie dümmlich ist es eigentlich, "ehrlich Besorgte", die aktiv ihre demokratischen Grundrechte ausüben, immer in die Rechte oder linke Ecke zu stellen und pre se zu diskreditieren? Nur weil sie Euch Couchdemokraten nicht passen? Kauf Dir ein paar angesagte Designerteile und lass uns bitte unsere Musik ohne flache Rezensionen!

  • Vor 8 Jahren

    Größtenteils leider fürchterlich. Flache Lieder mit ausdruckslosem Minnegesang. Man wünscht sich wirklich Wolfgang Petry herbei