laut.de-Kritik
Besinnlichkeit statt Weihnachtskitsch.
Review von Toni Hennig2020: Die neue Normalität besteht aus Abstands- und Hygieneregeln, Kontaktbeschränkungen sowie verschobenen und abgesagten Konzerten. In diesen unsicheren Zeiten gibt es aber dennoch Konstanten. Dass es nun so langsam musikalisch in die Vorweihnachtszeit geht, war nämlich so sicher wie das Amen in der Kirche gewesen. Zum Glück kann man mit Rebekka Bakkens "Winter Nights" nicht viel falsch machen, wenn man während des nächsten Lockdowns ein wenig zur Besinnung kommen möchte.
Die Platte hat dabei nicht nur ausschließlich Coverversionen verschiedener Weihnachtsklassiker, sondern auch sieben Tracks aus der Eigenfeder der gebürtigen Osloerin zu bieten. Zudem hat sie sämtliche Stücke arrangiert. Nur Jazz, der findet auf dem Album gar nicht erst statt, was jedoch nicht verwundert. Die mittlerweile 50-Jährige hatte schon immer betont, dass sie sich nicht als Jazz-Sängerin sieht.
Die eröffnende Eigenkomposition "Wonder In Your Eyes" weist größtenteils zaghafte Klavier- und Akustikgitarren-Klänge auf, über die Bakken ihre emotionale, mehrere Oktaven umfassende Stimme legt. Am Ende gesellen sich noch Backgroundchöre hinzu, die für einen beseelten Abschluss sorgen. In der Neuinterpretation von Ingvar Hovlands "Kyrie Eleison" vernimmt man hier und da ein wenig unaufdringlichen Steel-Gitarren-Einsatz, so dass der engelsgleiche Gesang seine gänsehauterregende Wirkung nicht verfehlt.
Das Bakken-Stück "This Year Is Different" lädt schließlich mit lässigen Saiten-Sounds und sparsamen Piano-Tupfern in den Saloon ein. So beschwingt wie die Musik fällt der Text aber nicht aus. Im Vorfeld der Veröffentlichung erzählte die Skandinavierin: "'This Year Is Different' ist ein Lied darüber, wie man Weihnachten zum ersten Mal nach einem Verlust verbringen kann. Die Vorfreude selbst, die Abwesenheit von jemandem an Weihnachten zu erleben, kann so schmerzvoll sein. Ich habe dieses Lied nach dem Ableben meines Vaters geschrieben, allerdings mit Augenmerk auf diejenigen, die wie ich nicht den Vorteil hatten, Erfahrung und Reife zu haben, um dieser Herausforderung zu begegnen."
Die Traurigkeit des Textes unterstreicht sie dann mehr mit ihrer Coverversion der Wham!-Nummer "Last Christmas", wenn ihre Stimme zu verhaltenen Piano- und sphärischen Orgel-Klängen einsam durch den Raum schwebt. Über die Gefühle, die sie mit dem Song verbindet, hatte sie ebenfalls etwas zu sagen: "'Last Christmas', was für ein bedrückendes Lied darüber, betrogen worden zu sein und zu wissen, dass man wieder betrogen werden wird. Es ist so merkwürdig, dass dieses Lied, als es von Wham! herauskam, wie das fröhlichste Weihnachtslied aller Zeiten aufgenommen wurde." Schade nur, dass selbst ihr Ansatz nicht viel daran ändert, dass man das Stück nicht mehr hören kann, weil es ohnehin jedes Jahr im Radio bis zum Erbrechen hoch- und runtergespielt wird.
Dafür entschädigt die Neuinterpretation von Jane Siberrys "Calling All Angels" danach, die sich mit akustischer Gitarre und melancholischem Piano langsam aufbaut, nur damit sich gegen Mitte der Gesang in klaren, ätherischen Sphären bewegt. Gegen Ende zieht das Schlagzeug die Dynamik ein wenig an, so dass der Track in einem herzzerreißenden Finale mündet. Diese Dynamik sorgt auch in den restlichen Songs dafür, dass kitschige Momente die absolute Ausnahme denn die Regel darstellen. Lediglich die Glockenklänge und die besinnlichen Backgroundchöre in dem Bakken-Stück "Mary's Child" hätten nicht sein müssen.
Wenn die Skandinavierin in "Angels Never Sleep" jedoch wehmütige Erinnerungen an ihre Kindheit heraufbeschwört, getragen von weitläufigen Steel-Gitarren- und wunderschönen Klavier-Klängen, dann sieht man über solche kleinen Schönheitsfehler hinweg. Hier sitzt jeder einzelne Ton, ebenso wie in der Neuvertonung von Christina Rossettis christlichem Gedicht "In The Bleak Midwinter", die Bakken zu sachten Schneebesen-, atmosphärischen Saiten- und begleitenden Piano-Sounds, die kurzzeitig auch mal kraftvoll anziehen, von ihrer verletzlichen und intimen Seite zeigt.
Das Cover des bekanntesten Weihnachtsliedes der Welt, "Silent Night", bildet schließlich mit schwerelosen countryesken Tönen und ihrer himmlischen Stimme, die sich hier und da in dramatische Höhen aufschwingt, einen schönen Abschluss, der so wärmend wie Kaminfeuer klingt.
Jedenfalls lässt sich "Winter Nights" überhaupt nicht als typisch skandinavisch bezeichnen, blitzt in den Arrangements doch zumeist Rebekka Bakkens Vorliebe für sehnsuchtsvolle amerikanische Klänge durch. Stimmlich präsentiert sich die Skandinavierin dabei auf der Höhe ihres Könnens, also so variabel und anpassungsfähig wie möglich.
Noch keine Kommentare