laut.de-Kritik
Vom Straßenstrich und Schein-Exekutionen.
Review von Artur SchulzDie Begleitumstände von Reinhard Meys 25. Studioalbum "Mairegen" geben keinen Anlass zu ausgelassener Heiterkeit. Entstand das Werk schließlich vor dem Hintergrund seines seit 2009 im Wachkoma liegenden Sohnes Max. Aufgrund dieses persönlichen Schicksalsschlages legt Mey - naheliegend - größere Gewichtung auf persönliche Besinnung, ohne dabei aber in Selbstmitleid zu versinken.
Der "Mairegen" behandelt alltägliche Themen, weit weg von jugendlichem Sturm und Drang, mitunter sentimental verbrämt. So bedeutet die Raststätten-Imbissdame "Antje" für Vorbeireisende und Stammgäste weit mehr als eine schlichte Frittenbräterin. Unter solchen Prämissen kann selbst ein simples "Butterbrot" köstlicher munden als manch Vier-Sterne-Menü.
Im Gegensatz zu allerlei Liedgut der vergangenen Jahre fehlt der mahnende Blick auf die Weltlage, was den Songs thematisch gut bekommt. Das Kehren vor der eigenen Haustüre ist angesagt, und Mey wirkt gerade da überzeugend und glaubhaft.
Auf Casting-Sternchen nur vordergründig dreinschlagen ist einfach und billig. Nicht so bei Mey, dem mit "Larissas Traum" ein treffsicherer Song zum Thema gelingt. Musikalisch verfeinert er die Nummer mit wirkungsvollen Rap-Anklängen, die aber nicht jugendlich-anbiedernd daherkommen. Die bissigen Lyrics sorgen für die nötige Würze.
Es sind oft nur einfache Kleinmädchenträume, die von den Bohlens und Soosts dieser Welt missbraucht werden: "Ein Outfit wie zu einer Traumschiffeinweihung / Ein Mix aus Straßenstrich und Oscarverleihung". Treffend skizziert Mey die Rolle der Juroren: "Und manches Aufdiefolterspannen, mancher Hohn / hat schon irgendwas von einer Scheinexekution".
Natürlich sei einem über lange Jahrzehnte erfolgreichen Künstler wie Reinhard Mey die Referenz auf frühere Großtaten nicht verwehrt. Das Dasein "Über Den Wolken" fühlt sich für den begeisterte Flieger natürlich immer noch grenzenlos frei an, wie hier der "Nachtflug" erneut dokumentiert. Doch dreht es sich in dieser Themen-Variation weniger um das Hintersichlassen belastender Dinge dort drunten auf der Erde, sondern vielmehr das Nachhause-Kommen, die geglückte Landung nach einem langen (Lebens-) Flug.
"Gegen Den Wind" präsentiert überdurchschnittliche Chanson-Kunst, fein verwoben mit sanften Melodien, Akkorden und Erkenntnissen, wie der über eine heute oft anzutreffende, allzu rasch einsetzende Verzagtheit: "Und all die Jungen werden Greise / Bevor sie noch die Alten sind".
Natürlich schreibt Mey Rückblicke groß, so wie auf "Das Erste Mal", "Rotten Radish Skiffle Guys" und "Spring Auf den Blanken Stein". Angenehmerweise handelt es sich dabei nicht um die kritiklose Verklärung eines vermeintlich besseren Gestern, sondern beinhaltet stets auch den Blick auf mit Fehlern behafteten Dingen, für die man ausschließlich selbst die Verantwortung trägt.
Der Schluss-Akkord "Was Keiner Wagt" aus der Feder Konstantin Weckers überzeugt neben Mey-typischen Qualitäten vor allem durch seine musikalische Verwandtschaft zu so manch wunderbarer Udo Jürgens-Partitur. Absolute Ausnahme-Tracks wie "Ich Wollte Wie Orpheus Singen" oder das unverwüstliche "Ankomme Freitag Den 13." finden sich hier nicht. Doch auch 2010 sind Reinhard Mey-Songs mit seiner ganz eigenen, unverwechselbaren Hand- und Hörschrift versehen.
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