laut.de-Kritik

Nichts zu spüren von der Last des Debütalbums.

Review von

Geschlagene fünf Jahre nahm sich Rejjie Snow Zeit, um nach seiner gefeierten "Rejovich"-EP sein Debütalbum nachzulegen. Fünf Jahre, in denen der Ire aus der Nordstadt Dublins persönliche Entwicklungsprozesse durchlief und sich ein künstlerisch prosperierendes Umfeld zurechtrückte.

Heute scheint der 24-Jährige zumindest vorerst angekommen: Zwar pendelt Rejjie aus rein geographischer Sicht noch zwischen den Kreativzentren in L.A., NYC und London. Seinen musikalischen Output konserviert er auf "Dear Annie", seinem ersten offiziellen Langspieler, hingegen selbstbewusst und befreit wie nie zuvor.

Dabei knicken Künstler nicht selten unter der Last des Debütalbums ein und verabschieden sich von lieb gewonnenen Tugenden. In gewissem Sinne durchlief auch Rejjie Snow eine Wandlung. Aber, und hier liegt der fundamentale Unterschied, eine selbstbestimmte und deshalb organisch gewachsene.

Vom rumpeligen, verschroben-nostalgischen Sound der "Rejovich"-EP, dessen eindeutige Vorbilder MF Doom und Madlib hießen, verabschiedete sich Rejjie im Laufe der Jahre und öffnete seine Welt in Richtung von wohligeren Klängen. Die Konsequenz: Ein sichtlich ausgeglichener Rejjie Snow, der sich gemäßigten Tempos und bemerkenswert unaufgeregt durch die 20 Anspielstationen von "Dear Annie" manövriert.

Im Endeffekt folgen weite Teile des Albums demselben stilistischen Prinzip: Rejjie übernimmt die nonchalant-unbekümmert gerappten Parts, die Hooklines überlässt er in der Regel stimmlich versierteren Gästen. Was sich zunächst abgedroschen anhört, erweist sich allerdings als wahrlicher Volltreffer. Das Album entfaltet von der ersten Sekunde einen freudigen und unwiderstehlichen Charme, dem man sich gar nicht erst entziehen will. Easy Listening in seiner schönsten Form, sozusagen.

"Rainbows" oder "Pink Lemonade" erinnern ob ihrer beschwingten und freudestrahlenden Produktion zwar zurecht an Tyler, The Creators "Flower Boy"-Album. Biting-Vorwürfe, wie sie verschiedene Seiten hervorbrachten, ergeben in diesem Kontext aber nur bedingt Sinn. Dafür zeigt Rejjie auf der Gesamtlänge schlicht zu viele verschiedene Facetten.

"Mon Amour" und "Désolé" tragen ihre Verbundenheit zur französischen Sprache nicht nur im Titel, sondern gehören nicht zuletzt wegen der verträumten Hooks zu den besten Momenten von "Dear Annie". Auch die typische Kaytranada-Produktion auf "Egyptian Luvr" verwertet Rejjie an der Seite von Aminé souverän, viele Songs der ersten Albumhälfte besitzen Hitpotenzial.

An anderen Stellen läuft die Platte Gefahr, dass die bisweilen überladenen Beats Rejjies gleichförmige Beiträge verschlucken. Dem schafft eine reduziertere zweite Hälfte etwas Abhilfe. "The Ends" und "The Rain" fungieren als zurückhaltend-trockene Rap-Nummern mit pointiert gesetzten Samples, "Room 27" driftet gar in dunkle und suizidale Gefilde ab.

Dem Album tut dieser Spannungsbogen jedoch gut. Ohnehin hätte auch eine um vier bis fünf Songs abgespecktere Version ihren Zweck erfüllt. Wirkliche Durchhänger erlaubt sich Snow trotzdem nicht, vielmehr hält das Album gegen Ende mit "Charlie Brown" noch ein echtes Highlight bereit: eine der raren Stellen, an denen Rejjie mit einem Cover der irischen Band Republic of Loose an seine Heimat erinnert.

Trackliste

  1. 1. Hello
  2. 2. Rainbows
  3. 3. The Wonderful World of Annie
  4. 4. 23" feat. Caroline Smith
  5. 5. Pink Lemonade" feat. Cam O'bi
  6. 6. Skinny Jasmine Intermission
  7. 7. Mon Amour
  8. 8. Oh No! feat. Dana Williams
  9. 9. Spaceships feat. Ebenezer
  10. 10. Egyptian Luvr feat. Aminé and Dana Williams
  11. 11. The Ends feat. Jesse James Solomon
  12. 12. Room 27 feat. Dana Williams
  13. 13. Désolé
  14. 14. The Rain feat. Cam O'bi and Krondon
  15. 15. Skateboard P Intermission
  16. 16. Lmfao
  17. 17. Bye Polar
  18. 18. Charlie Brown feat. Anna of the North
  19. 19. Annie feat. Jesse Boykins III
  20. 20. Greatness feat. Micah Freeman

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