laut.de-Kritik

Die deutsche Antwort auf Nickelback.

Review von

"Deine Stimme gegen Revolverheld! Jetzt!" forderte Jan Böhmermann in Anlehnung an den "Deine Stimme gegen Armut"-Spot bereits 2007 bei Harald Schmidt. Seitdem spielt die in Hamburg gegründete Band auf einem Hass-Level mit Nickelback. Es wäre das Einfachste, zur Veröffentlichung von "MTV Unplugged In Drei Akten" ein weiteres Mal auf sie einzuschlagen. Doch woher kommt all diese Antipathie? Ist sie begründet? Spielen diese vier Herren wirklich in der schlimmsten Gruppe, die Deutschland zu bieten hat? Wagen wir einen Schritt ins Ungewisse, treten wir zurück und schauen uns Revolverheld noch einmal ohne Vorurteile an.

"Gib nicht auf / Es kommt ein neuer Morgen / Lass' es raus / Den Schmerz und deine Sorgen / Mach' dich frei / Von allen falschen Zwängen / Nimm dir Zeit / Und lern' dich selber kennen." Das liest sich tatsächlich übel, stammt aber gar nicht von Revolverheld, sondern aus dem Blumfeld-Song "Neuer Morgen". Komisch. Dabei sieht man in Jochen Distelmeyer doch so gerne den großen Poeten.

Stattdessen singt Johannes Strate in "Bands Deiner Jugend" kumpelhaft: "Die Radios spiel'n das Beste aus den letzten Jahrzehnten und den schlimmsten Quatsch von heute und morgen." Während man noch grübelt, was denn jetzt ganz genau dieser größte Quatsch sein mag, betritt als Antwort bereits Annett Louisan die Bühne und trällert "Spinner". Danke für den Spoiler, ich hätte gerne etwas länger gerätselt.

Wem diese Lösung noch nicht ausreicht, den bieten Revolverheld im weiteren Verlauf des Abends noch Rea Garvey ("Das Kann Uns Keiner Nehmen"), Mark Forster ("Worte Die Bleiben"), Johannes Oerding ("Sommer In Schweden"), Michael Van Dyke ("Du Trägst Keine Liebe In Dir"), Heinz Strunk ("Immer In Bewegung"), Heartchor ("Hamburg Hinter Uns"), Marta Jandová ("Halt Dich An Mir Fest") und Das Bo ("Darf Ich Bitten") an. So kann jeder seine ganz eigene Antwort auf die Frage finden.

"Wir flimmern und wir leuchten / Wir rauschen durch die Nacht / In keinem meiner Träume / War ich jemals so wach / Wir gehen erst nach Hause / Wenn wir wissen, wo das ist / Ich will mich mit dir verlaufen / Irgendwo im Neonlicht." Auch dieser Text bereitet bereits beim Lesen Schmerzen, stammt aber wieder nicht von Revolverheld, sondern von dem oft für seine Lyrik gelobten Enno Bunger ("Neonlicht"). Die Grenzen beginnen zu verschwimmen.

Wo Bunger auf seinem neuen Album jedoch auf elektronische Experimente und zunehmend auf Sprechgesang setzt, bleiben Revolverheld in ihrem elften Jahr ihrem Radio-Pop-Rock treu. Mit Echts "Du trägst Keine Liebe In Dir" greifen sie auf einen der besten deutschen Songs der letzten dreißig Jahre zurück. Wirkte die Nummer beim damals gerade einmal siebzehnjährigen Kim Frank zeitweise überzogen altklug und unfreiwillig komisch ("Du bist immer noch verdammt hübsch anzuschauen / Doch ich würde nicht all zu lange darauf bauen.") schmiegt sie sich nun in Strates Hände.

"Du bist aus Zucker, du bist zart / Du schmilzt dahin, du wirst nicht hart." Mist. Ich rauf' mir bald die Haare. Das sind ja schon wieder nicht Revolverheld, das ist von Tocotronic ("Zucker"). Kann man sich in dieser Welt denn an nichts mehr festhalten? Warum bewerten wir Blumfeld, Bunger und Tocotronic anders? Ist es alleine die intellektuelle Aura, die diese Künstler um sich aufgebaut haben, während Revolverheld den etwas zu anhänglichen Freund geben? Würden Strate am Ende eine schlechtere Frisur und ein trauriger Blick genügen, um endlich ernst genommen zu werden?

"Die Stadt frisst die Ruhe / Mit flackernden Lichtern / Schluckt Tage und Nächte in sich hinein / Gehetzte Gesichter in der drängelnden Masse / Jeder muss überall schnell sein." Okay, das stammt von Revolverheld ("Lass Uns Gehen"). Sicherlich kein Meisterwerk, nur wollen sie es einem auch nicht als mit Musik unterlegten Gedichtband verkaufen. Sicherlich schreibt die Band stromlinienförmige und überraschungsarme Songs für die große Bühne, denen der große Tiefgang fehlt. Damit eignen sie sich perfekt für das abgehangene "MTV Unplugged"-Format. Ebenso sicher gibt es aber auch weitaus schlimmere Gruppen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, sind Revolverheld tatsächlich die deutsche Antwort auf Nickelback.

Trackliste

CD 1

  1. 1. Bands Deiner Jugend
  2. 2. Spinner
  3. 3. Hamburg Hinter Uns
  4. 4. Ich Werd' Die Welt Verändern
  5. 5. Das Kann Uns Keiner Nehmen
  6. 6. Immer In Bewegung
  7. 7. Darf Ich Bitten
  8. 8. Deine Nähe Tut Mir Weh
  9. 9. Keine Liebeslieder
  10. 10. Halt Dich An Mir Fest
  11. 11. Lass Uns Gehen

CD 2

  1. 1. Hinter Der Elbe New York
  2. 2. Längst Verloren
  3. 3. Worte Die Bleiben
  4. 4. Nie Erwachsen
  5. 5. Sommer In Schweden
  6. 6. Die Welt Steht Still
  7. 7. Du Weißt Nicht Was Du Willst
  8. 8. Neu Anfangen
  9. 9. Ich Lass' Für Dich Das Licht An
  10. 10. Du Trägst Keine Liebe In Dir
  11. 11. Freunde Bleiben

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LAUT.DE-PORTRÄT Revolverheld

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14 Kommentare mit 12 Antworten

  • Vor 9 Jahren

    Hm...ich fand die ersten 3 Zitate, die nicht von Revolverheld stammten, tatsächlich ganz sympathisch, zumindest hatte jedes seinen Moment. Wie zum Beweis waren sie nicht von Revolverheld.
    Ich finde die Art der Herangehensweise dieser Review total erfrischend, denn auch ich habe mich öfter nach der Ursache für meinen Revolverheld-Hass gefragt.
    Am Ende komme ich auf den gleichen Schluss wie der Rezensent, es ist die Verbindung trivialer und "den-gemeinsamen-Nenner" suchender Lyrics mit zu seichter Musik ohne Anspruch. Das machen tatsächlich viele Band mit ähnlichem lyrischen Tiefgang anders.
    Außerdem finde ich die Texte unheimlich seelenlos, Johannes Oerding als Gegenbsp. macht auch Plattitüden-Texte von der Stange, er ist allerdings ein herausragender Sänger mit unheimlich viel Emotion in der Stimme, der diese Texte authentisch präsentieren kann. Man nimmt sie ihm ab.
    Revolverheld dagegen glaubt man gar nichts und wenn ich den Texten zuhöre, hoffe ich geradezu, dass diese kein Spiegel ihrer geistigen Haltung sind, dann müsste ich nämlich brechen.
    Und diese Einigkeit im Revolverheld-Hass kommt ja nun mal auch nicht von ungefähr. Die Leute sind sich ja sonst nie einig.

    • Vor 9 Jahren

      Nun ich empfinde bei Revolverheld keinen Hass. Ist doch Idiotisch bei Musik Hass zu empfinden. OK wenn so rechtsidioten Musik machen kann das schon passieren,.. aber bei belanglosen Pop-Rock mit ein paar netten Liedern ,.. nö

    • Vor 9 Jahren

      Hass wäre doch zu viel. Aber so Zeilen wie "Ohhh-ohhh-hohoho, das kann UNS keiner nehmen" erklären es: Es ist das UNS! Revolverheld sind der gemeinsame Nenner deutscher Mittelmässigkeit. Da möchte man als cooler Rock'N'Roller einfach nicht dazu gehören. Diese Art der Musik taugt gut als Mitgröhler auf Fanmeilen...und dann schrecken RH nicht mal davor zurück, Gitarrenriffs von Oceansize zu klauen...all das macht sie eben nicht sympathisch.

    • Vor 9 Jahren

      Welches oceansize Riff haben sie in welchem Song verwurstet? Denen scheiß ich in den Hut .

  • Vor 9 Jahren

    Wenn sich "die Leute" tatsächlich so einig sind, frage ich mich allerdings, woher der Erfolg stammt, den man der Band zweifellos nicht absprechen kann. Ich persönlich kenne nur die Sachen aus dem Radio, finde aber Arrangements und Instrumentierung teilweise recht interessant. Vielleicht ist es "nur" Radio-Pop, aber bei weitem nicht so grottenschlechter, dass ich mich hier in den Kreis der Draufschläger einreihen müsste.

  • Vor 9 Jahren

    Ähmmm...Zitat:
    "Mit Echts "Du trägst Keine Liebe In Dir" greifen sie auf einen der besten deutschen Songs der letzten dreißig Jahre zurück." Zitat Ende.

    Ich bin jetzt 44, und höre seit meinem 11.Lebensjahr bewusst Musik. Aber "Echt" einen der besten deutschen Songs zu bescheinigen, lässt in mir gerade die Frage aufkommen, ob ich in den letzten 30 Jahren vielleicht doch irgendwie bewusstlos in der Ecke gelegen habe?!

    • Vor 9 Jahren

      Bin ganz deiner Meinung. Ihren wahren Geniestreich haben Echt mit "Wir haben's getan" abgeliefert. "Du trägst keine Liebe In Dir" hat dagegen höchstens die Qualität einer mittelprächtigen B-Seite.