laut.de-Kritik
Von Artischoken und Clubabenden en miniature.
Review von Daniel StraubDer gebürtige Chilene Ricardo Villalobos gehört international zweifelsohne zu den ganz großen Wizards an den Turntables. Legendär sind seine After-Hour-Sets, die noch einmal Reserven mobilisieren, alle Energien auf den Punkt bringen. Mehr als zehn Jahre Cluberfahrung sammelte Villalobos bis heute, veröffentlichte zahlreiche 12" und releaste in diesem Jahr eine Mix-CD, die klar macht, warum der Mann kaum freie Wochenenden in seinem Schedule hat. Nun etabliert er sich mit dem Longplayer "Alcachofa" endlich auch in der Königsklasse der Produzenten.
Mit einer schrägen Vocoderstimme eröffent Ricardo Villalobos den ersten Tracks des Albums "Easy Lee", bevor minimal blubbernde Housegrooves und allerlei garnierende Sounds den Track nach und nach zur vollen Entfaltung bringen. Entfaltung ist ein gutes Stichwort, weckt "Alcachofa" doch ständig Assoziationen aus dem reichen Bildervorrat der Natur, genauer gesagt aus der Pflanzenwelt. Schuld daran mag einerseits die warme Atmosphäre der Songs sein. Einen nicht geringen Anteil daran kommt andererseits dem Titel der Platte zu. "Alcachofa", nennt Villalobos sein Debüt, als wollte er den Zuhörern eine Anleitung zum Genuss seiner Songs an die Hand geben.
Hält man "Alcachofa" in der Hand, so gilt es, sich auf das Produkt einzulassen, eine geeignete Hörstrategie zu entwickeln, da schnell klar wird: musikalisches Junkfood für Zwischendurch ist Ricardo Villalobos Sache nicht. Man muss sich schon Zeit lassen, soll "Alcachofa" ein Hörerlebnis der besonderen Art werden. Allzu schnell täuscht der minimale Charakter der Tracks das Ohr, gaukelt eine vermeintliche Schlichtheit vor, die sich bei näherem Hinhören als Trugbild erweist. Wie die Blätter einer Artischoke, um im Bild zu bleiben, schieben sich die Soundschichten der Tracks übereinander, wollen als Ganzes wahrgenommen und zueinander in Bezug gesetzt werden. Viel gibt es zu entdecken, hat man erst einmal die ersten schützenden Schichten abgetragen. "I Try To Live (Can I Live)" präsentiert sich als ein ständiges Kommen und Gehen. Mit jeder neuen Schicht ändert der Song sein Gesicht, vermittelt am Ende gar den Eindruck eines DJ-Sets im Track-Format.
Hier liegt die große Stärke von "Alcachofa": jeder Track funktioniert wie ein Clubabend en miniature, folgt einer genau festgelegten Dynamik, der sich zu widersetzen sinnlos wäre. Ricardo Villalobos gelingt es auf "Alcachofa", die magischen Momente seiner DJ-Sets mit viel Feingefühl in seine eigenen Tracks zu überführen.
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