laut.de-Kritik
Der Kampf um Platz zwei - nach Jimi Hendrix.
Review von Giuliano BenassiVor vielen Jahren, da war die Gitarre das Maß aller Dinge. Während sich der Sänger abmühte, das Publikum bei Laune zu halten, war der eigentliche Star oft der an den sechs Saiten. In den 1970er Jahren gab es Instrumente in allen Formen und Farben, mit zwei oder gar drei Hälsen. Gitarristen wurden verehrt wie Halbgötter, ebenso ihr Arbeitswerkzeug.
Der beste aller Zeiten, da sind sich fast alle einig, war Jimi Hendrix. Der Kampf um Platz zwei wird sich wohl nie entscheiden, Rory Gallagher ist aber vorne mit dabei. Wie auch seine Klampfe, angeblich die erste Fender Stratocaster, die den Weg in sein Heimatland Irland fand. Er kaufte sie sich mit 15 und musste Jahre lang in Tanzkapellen schuften, um sie abzubezahlen.
Die Gitarre, die Hendrix in Woodstock spielte, wechselte für etwa zwei Millionen Dollar den Eigentümer. Dass es sich dabei um Paul Allen handelte, einem der Gründer von Microsoft, beweist auch, dass Gitarrenmusik einen gewissen Nerdfaktor besitzt. Gallaghers Instrument blieb nach dessen Tod 1995 in Familinbesitze. Nachdem sie 30 Jahre lang praktisch ständig in Gebrauch gewesen war, ist vom Lack nicht mehr viel übrig geblieben. Dennoch dürfte sie ein Vermögen wert sein. Ab und an kommt sie aus der Gruft auf die Bühne, etwa mit Joe Bonamassa, der 2011 ein paar Stücke auf ihr in London spielte.
An das Original kam der Traditionalist wohl kaum ran. Beide waren schon von Kindesbeinen an begeistert vom Blues. Der stammte in seiner ursprünglichen Form aus den Südstaaten der USA und in seiner elektrischen aus Chicago, dennoch fand Gallagher Gemeinsamkeiten mit der traditionellen irischen Musik. So gelang es ihm, einen Stil zu entwickeln, der zwar von Muddy Waters oder Robert Johnson beeinflusst war, aber doch eigene Züge trug.
Noch wichtiger: Gallagher spielte mitreißend. Kollegen und Zuschauer waren oft baff ob seiner Fingerfertigkeit und den Klängen, die er aus seiner Strat zog. Insbesondere, wenn er Slide spielte, mit einem Flaschenhals oder einem anderen Hilfsmittel aus seinem Sammelsurium.
Er war ein Meister des Blues-Rocks. Das vorliegende Album versucht nun, das zweite Feld etwas auszublenden und sich auf das erste (momentan vermutlich hippere) zu konzentrieren. Ein schwieriges Unterfangen, denn wo beginnt das eine, und wo endet das andere? Eine Frage, die sich durch die Auswahl zieht, letztlich aber keine große Rolle spielt: Hauptsache, es rockt. Äh, bluest.
Den Anfang macht ein Stück von Altmeister Sonny Boy Williamson, der schon 17 Jahre tot war, als sich Gallagher 1982 seines "Don't Start Me Talkin'" annahm. Mit Klavier, Mundharmonika, Stimme und natürlich Gitarre am Anschlag macht seine Interpretation sofort Laune.
Es gehört zu jener Hälfte der hier aufgeführten Stücke, die im Studio entstanden, aber schließlich nicht auf einem Album landeten. Jedenfalls nicht in diesen Versionen. Die anderen sind Livemitschnitte fürs Radio oder TV-Auftritte. Die Klangqualität ist also durchgehend gut, wenn auch nicht hervorragend.
Wer Gallagher kennt, wird fündig, entdeckt aber keine gänzlich unbekannten Juwelen. Das wichtigste Stück ist ohnehin längst veröffentlicht, Willie Dixons "I'm Ready", das Gallagher 1971 mit seinem großen Vorbild Muddy Waters in London aufnahm. Der erste hatte gerade seinen Durchbruch geschafft, der zweite freute sich über die späte Anerkennung und die Kohle, die ihm Großbritannien bot. Das Auto, mit dem Gallagher Waters abends ins Hotel fuhr, vermoderte Jahrzehnte lang in seinem Garten in Irland. Es zu verkaufen (oder auf den Schrottplatz zu bringen), kam nicht in Frage, schließlich hatte sein Idol darin gesessen. Eine nette Anedokte des Journalisten Jas Obrecht, der sich um die Liner Notes gekümmert hat.
Neben der Einzel-CD/Doppelvinyl-Version ist auch eine Doppel-CD mit zwölf weiteren Liveaufnahmen erhöltlich. Egal für welche man sich entscheidet - es ist nach wie vor ein Erlebnis, dem quirligen Iren zuzuhören, der im Alter von 47 Jahren an den Folgen einer Lebertransplantation verstarb. Damit lebte er 20 Jahre länger als Hendrix, musste aber nicht zusehen, wie sein geliebtes Genre nach und nach zu einem musikalischen Dinosaurier wurde.
2 Kommentare
Also, die Deluxe Version enthält 3 (!) statt 2 CDs und, Vorsicht: Subjektivität, wird Hendrix so manches Mal überbewertet. Für mein jugendliches Ich war immer Rory der Gitarrengott und einer der Gründe warum ich hauptsächlich Fender spiele.
ich hielt ritchie blackmore und alvin lee für unerreichbar, bis bei wim thoelkes drei mal neun ein paar takte rory gallagher zu hören waren.
danke, herr thoelke.