laut.de-Kritik
Song-Fruchtzwerge statt erlesener Mozartkugeln.
Review von Artur Schulz"Und Du Stehst Da Und Weinst/Um Dein Konfetti Von Einst" konstatiert Hildegard Knef am Ende ihres Songs "Es War Beim Ball Paré". Ähnliche Ernüchterung beschleicht den Hörer des neuen Rosenstolz-Albums "Das Große Leben". Etwas ist schief gelaufen: So uninspiriert, belanglos und von nahezu durchgehender Fadheit durchzogen, klang noch kein Album des Berliner Duos.
Die gelungene Vorab-Single "Ich Bin Ich" machte mächtig Appetit, doch das komplette Album löst das Versprechen eines opulenten Song-Menüs nicht ein. Den Liedern fehlt es an Überzeugungskraft, der nachvollziehbaren Authentizität; der Aufrichtigkeit. Der süffisant-spielerische Umgang mit Worten ist oft einer konstruiert wirkenden Innerlichkeit gewichen. Es fehlt der echte Leidenschafts-Funke, der auf den Hörer überspringt. Die merkwürdig leblos erscheinenden Texte in ihren banalen und schablonenhaften Arrangements zünden einfach nicht.
Rosenstolz – das bedeutet für den Liebhaber ihrer Musik Trost in einsamen Nächten, den beschwingten Soundtrack für glückliche Stunden und die moralische Unterstützung auf der Jagd nach erfüllbaren Träumen, abgerundet von amüsanten und trefflichen Lebensbetrachtungen. Gerade gegen das hervorragende Vorgängeralbum "Herz" steht "Das Große Leben" auf verlorenem Posten. Die Songstrukturen und melodischen Höhepunkte erreichen selten einen sonnenumfluteten Gipfel, sondern schmieren oft schon vorher ab oder verlieren sich Nichtigkeiten.
Sicher, "Ich geh In Flammen Auf" oder "Auch Im Regen" haben ganz ordentliche Momente. Aber niemals diese Einzigartigkeit, die einen großen Teil des vielfältigen Lieder-Fundus der Berliner auszeichnet. Völlig überflüssig die Singsprechnummer "Ein Wunder Für Mich", in der sich Peter Plate vergeblich um Charisma bemüht. Seit "Die Zigarette Danach" hat seine Stimme nichts an Ausdruckskraft dazu gewonnen. Die Talente und tatsächlichen Fähigkeiten Peters liegen von jeher auf den Gebieten des Textens, Komponierens und Arrangierens.
Wohin sind diese berührenden, einzigartigen Lebens-Skizzen entschwunden, wie sie einst zu finden waren, damals, auf jener Parkbank in "Samstags"? Der "Kuss Der Diebe" hat sich verstohlen davongeschlichen; die "Königin" tanzt nicht mehr auf ihrer Bühne. Songmäßig werden diesmal keine Mozartkugeln gereicht, sondern eher Fruchtzwerge. Und die passen halt nicht zu einer rauschenden Ballnacht. Der Stillstand hält sich zwar auf einem annehmbaren Niveau, für die Rosenstolz-Messlatte ist das aber einfach zu wenig. Der schlichte Plastik-Beat in "Bester Feind" war bereits 1989 besser in Szene gesetzt – im Song "Hey Du" der Schlagerschnepfe Veronika Fischer.
"Ich Bin Verändert", stellt AnNa zur Mitte des Albums fest. Wie wahr. Ihre Stimme! Was ist mit AnNas Stimme geschehen? Wo ist die große Zauberin, die verführerisch girrte, den Hörer umgarnte und mit großem Pathos in die (Hör-)Seligkeit entführte? Hier greint sie sich verzagt und vergrätzt durch das ermüdende Übermaß der Balladen. Nichts ist mehr vom Schwung und von der Nonchalance zu spüren, mit der sie scheinbar spielerisch die Stilistiken vergangener Jahrzehnte zitierte und mit neuem Leben erfüllte. Der Mondän-Pop ist fort. Stattdessen zelebriert sie 2006 eine Weinerlichkeit, als wäre sie im Reich der Trümmerfrauen angekommen.
Zieht man für "Das Große Leben" Vergleiche aus dem Bereich des Sports heran, relativiert sich der Blick auf das nackte Resultat ein wenig. Nicht jedes Spiel endet siegreich, und nicht bei jedem Fußball-Turnier stellt Deutschland automatisch den Weltmeister. Es bleibt die tröstliche Hoffnung, dass beim nächsten Werk die Ur-Rosenstolz'schen Tugenden wieder zum Tragen kommen: Erlesenes Songwriting in abwechslungsreicher Instrumentierung und mit bewegender Stimme intoniert.
So findet das wirklich große, einheimische Musik-Leben in diesem Frühjahr nicht in Berlin statt. Sondern etwa in Delmenhorst, wo ganz andere Klänge den Ballsaal erleuchten. Neue Schönheiten verführen mit unausgesprochenen Verlockungen den geneigten Tänzer, während verheißungsvolle Telegramme unter dem Dach des Hauses die Runde machen. Andere lassen heute die bunten Papierschnipsel durch die Nacht tanzen. Den Fans von Rosenstolz als Zaungästen bleibt diesmal nur der morgendliche Konfetti-Kehraus, bevor es zur eigenen Hinterhof-Party geht.
6 Kommentare, davon 2 auf Unterseiten
Ich finde diesen Artikel stark übertrieben. Klar, die Songs sind sanfter, melancholischer als vorhergehende. Aber kann es nicht sein, dass sie einfach ehrlich sind? Manchmal fühlt man sich eben nicht so, dass man die Erde küssen könnte. Ich finde die sanftere AnNa besser als die anmachende (zumindest nicht schlechter!). Aber ich bin eine Frau. Männer sehen das vielleicht anders. Und wenn man selbst in einer kritischen Phase des Lebens ist, passen die Songs, eben weil sie nicht vor Glück strotzen.
Ich bin noch nicht lange Rosenstolzfan, aber liebe "Das große Leben" wie "Willkommen in unserer Welt" und grüße alle Rosenstolzfans.
Margit
Naja, das Album ist schon sehr viel ruhiger als ihre anderen Werke...aber ich finds schön, auch nach einem Jahr noch.
die traurigen balladen waren von jeher rosenstolzens stärke. auf diesem album dominiert eben ihr spezialthema. mir gefällts. auch die solonummer von peter ist ganz chic. das einzige, was mich stört, sind die textbanalitäten, aber auch die gehören von anfang an zu rosenstolz. wenn ich tiefgründige lyrics hören will, höre ich sicher kein rosenstolz. aber texte sind eben nicht alles. von mir gabs vier sterne.
Textbanalitäten bei Rosenstolz? Das hab ich auch noch nicht gehört...