laut.de-Kritik
Ein Meilenstein des deutschen Rap.
Review von Franz MauererShacke One ist zurück, mit Klaus Layer und Achim Funk an den Reglern. Nun war Shacke noch nie für überbordende Zurückhaltung bekannt, nach seinem vor Soul sprühenden 2022er-Album "S1" hat er sich etwas Grandstanding aber auch verdient. "Rap Wie Er Sein Wollte" ist eine Ansage, der mit dem "Intro" gleichwohl mühelos der Weg bereitet wird. Ein absoluter Wahnsinnsbeat aus heulender 70s-Gitarre und den tiefsten, wunderbar gezogenen Bässen, die die drei Nordachsenmächte zusammenklauben konnten, versetzen den Hörer – nun, nicht irgendwo in die Nähe des Nettelbeckplatzes, sondern eher in die Südstaaten oder die Westküste der USA, und das noch dazu einige Jahrzehnte zurück.
Über die Line "Und du engagierst dich bei Frontex / Derweil macht meine Crew noch an der Front Tags" kann es keine zwei Meinungen geben, das hochgradig sympathische Video zum Titeltrack tut ebenso wie die beeindruckend stabile Souveränität aller Beteiligten das Übrige, um den Song direkt ins Herz zu katapultieren. Wieder ist es eine enorm organische Bassline, diesmal verbunden mit Bläsern, mit der Layer und Funk den Boden für Shacke bereiten. Nach wie vor ist die Mischung aus der charakteristischen, hohen und rhinophonischen Stimme und Shackes abgehackter Delivery, die, wenn überhaupt, für harten Battlerap gemacht scheint, und der stets warmen Instrumentierung zwischen Soul und Funk ein Rezept, das für sich genommen quasi durchgehend aufgeht. Das liegt zum einen an Shackes authentischer Neigung zu eben dieser Musik und zum anderen an seiner Fähigkeit, sich trotz seiner Besonderheiten als MC einzubetten in den Rahmen beziehungsweise diesen mit den Produzenten gemeinsam zu erarbeiten.
"Heckscheibe" wartet erneut mit einem ausgesprochen originellen Beat auf, hypnotischer Hintergrundgesang und ein nach Akkordeon klingender Synth ergänzen den schnellen, aggressiven Track. Obwohl das alles gut funktioniert und der Boss von der Panke trotz aller Beleidigungen die gesunde Portion Humor nie vergisst ("'Shacki, kommst du vorbei?' / Wenn du willst, komm' ich sieben Mal / doch durch welche Tür, da hast du die Wahl") und für diese auch den notwendigen Wortwitz besitzt, wird man den Eindruck nicht los, dass der Nährboden an dieser Stelle durch mehr Variabilität in Shackes Tempo mehr als 'nur' sehr gut genutzt hätte werden können. Dabei muss betont werden: Shacke ist nie deplatziert, die Abstimmung zwischen MC und Produktion sitzt, nur bedeutetes perfektes Handwerk nicht, dass das Potenzial auch schon voll ausgeschöpft wäre.
Auf dem dezidiert langsamen, luziden und über allen Maßen gelungenen "Ruf Den Therapeuten An" merkt man, dass Shacke die Tempofrage bewusst angeht, und das durchaus mit Erfolg. Der Track ist ein absoluter Überhit, was auch am Featuregast Klapse Mane (seltsamerweise hier ohne Credit, auf dem Titeltrack dafür mit, obwohl er dort nicht herauszuhören ist) liegt, der seinen bisherigen, eher schwachen Output locker vergessen macht und sich nicht verstecken muss vor Shacke. Nicht nur sitzt hier wirklich absolut jede Schraube bombenfest, der Track unterhält genau wie die goldenen Lines der MCs ("Da reicht nicht ein Kasten / um die Sünden wegzuspülen") durchgehend und mit großer Wandlungsfähigkeit. Wenn der Bass nach 25 Sekunden einsetzt, ist kein Mensch, dessen Kopf nicht wackelt.
Es gehört zu den Stärken von Shacke, Lines, die ihn selbst deifizieren, unmittelbar neben solche zu stellen, in denen er schonungslos Selbsttherapie betreibt. "Eine Million Liter" ist ein nur dadurch mögliches ehrliches Versagerlied, das sogar im Beat eher Mac DeMarco zitiert als klassische Rapmotive. Guter Slacker-Rap mit Element of Crime-Gedächtnistrompete zum Schluss, eine saubere Sache. Ganz im Gegenteil dazu fühlt man sich nach "Heiko Skit" wie 1999 nach drei Stunden "House Of Wax" ab 23:15 Uhr auf Kabel1, will sagen: Eine Dusche ist dringend vonnöten, ein Skit wie schmutziger Samt. Atmosphärisch kann man sich allerdings über den Säulenheiligen/ das Maskottchen von Nordachse kaum beklagen, trotzdem schnell zur Frage "Who Got The Phonk?". Die Antwort lautet natürlich: Shacke hat den Funk, mit stabiler Begleitung vom leicht verkrampften Tom Hengst. Sehr Oldschool, und ein Refrain zum Mitbrüllen, kann man machen.
Die Bühne von "Die Schönsten Gringos" nutzt MC Kneipenkrieger, angenehme, versoffene Schärfe in der Stimme; Shacke hat sich mit ihm einen jungen MC Bomber ins Team geholt, wie schon beim Originalduo eine gute Mischung. Der Track selbst ist ein Stück zu simpel konstruiert: Die Stärke von "Rap Wie Er Sein Wollte" ist es eigentlich, Oldschool nicht mit Simplizität zu verwechseln und eben nicht so rückwärtsgewandt zu sein, wie der Albumtitel nahelegte, sondern mit Kenntnis um frühere Sounds nach vorne zu gehen. Das gelingt bei "Die Schönsten Gringos" nicht, es bleibt nur ein guter Oldschool-Rap und damit auf dieser Scheibe schon der schwächste Song, was wiederum zeigt, wie beeindruckend das Album ausfällt.
Entspannung war früher, jetzt ist "Massaker Am Corner" und damit folgt ein weiteres Überhighlight. "Es Wird Zeit, dass ich ins Lenkrad greife / denn diese Rapper haben Profil wie Rennradreifen". Hier geht erneut alles auf, was die Nordberliner sich vornehmen. Schneller Bongo-Beat, melancholische E-Gitarre, krass abwertende, wortgewandte Texte ("Dumme Fotzen werden behindert / und das alles nur für Promo / Du bist Player? / Deine Freundin ist seit 5 Jahren auf Drogo"), wunderschöne Synthesizer-Figur im Hintergrund und über alles speit Shacke wie ein M5 auf der Reinickendorfer Straße ausschließlich nach vorne. Das funktioniert so gut und ist so offenkundig komplex, dass es einem fast die Sprache verschlägt, welche Meisterschaft Shacke und Konsorten in ihrem Stil erreicht haben.
Und wenn man glaubt, man hätte diesen Ansatz jetzt endgültig auf höchstem Niveau gehört, kommt "Young Tebs" und der Weddinger und seine Produzenten wechseln sich ab: Produktion aggressiv, Shacke weich (wenngleich unverändert schnell) in einem hochpersönlichen Song über Shackes Kindheit, der genauso organisch ist wie die überbordende, ultradichte Produktion des Tracks. Wer verstehen will, wie gut Alexander Henneberg wirklich rappt, der sollte ab 01:30 genau zuhören: In der Aneinanderreihung von sozialen Notlagen auf exakt demselben Tonniveau entwickelt er einen schlicht magischen Drive.
Zum Schluss bastelt Hausproduzent Rick Flair eine tighte Disco-Nummer, die den würdigen Schlusspunkt und ein weiteres Highlight für einen Meilenstein im deutschen Rap bildet und auf der Shacke geradezu unverschämt leichtfüßig noch einmal aufblüht. Diesen Track könnte auf diese Art und Weise niemand anders rappen. Er steht in seiner Verspieltheit und Lockerheit trotz der offensichtlichen Wahnsinnsmenge an Arbeit und Konstruktion stellvertretend für diese Monsterplatte.
"S1" war eine Ansage, "Rap Wie Er Sein Wollte" löst das Versprechen, dass Shacke mit seinem Team die Kraft hat, deutschen Rap ernsthaft für Soul und Funk zu öffnen, endgültig ein. Wer sich für irgendeine Art schwarzer Musik über den Teich interessiert, kommt an Shacke nicht mehr vorbei. "Rap Wie Er Sein Wollte" ist ab jetzt die Benchmark insbesondere für Produzenten, die Soul, Funk und Organisches aus der Oldschool-Ecke verschmelzen.
9 Kommentare mit 19 Antworten
Bin kein D-Rap Fan aber das ist wenigstens richtige Mucke und nicht so ein generischer Scheiss wie gefühlt alle andern D-Rapper.
generisch langweiliger BoomBap müll
Du hast schon bei Retrogott bewiesen, dass du komplett keine Ahnung hast, wovon du redest.
5/5... Meilenstein...
Ernsthaft, das ist schon sehr guter Shit, aber man sollte es jetzt nicht übertreiben.
Diese Zitate... oh Mann. Wahrscheinlich wird durch die Vergleichsflächen heutzutage wirklich aus jedem Durchschnitt Gold.
Wobei ... war zu Savas' Zeiten nicht anders, wir hatten halt zu wenig Ahnung von Amirap
Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.
Jepp. Die Zitate waren... ganz okay. Immer wieder verblüffend, wie wenig ausreicht in dem Genre. Wird echt die Bodenlosigkeit sein, die sonst geboten wird.
du lieber gott, das is echt an peinlichkeit kaum zu überbieten
aber ich bin zugegebenermaßen auch genrefremd, vllt ist das auch normal so idk
Wie auch ich. Wenn etwas so sehr gelobt wird, hör ich natürlich trotzdem rein. Muss sagen, "Heckscheibe" macht mir, für Rap Verhältnisse, schon Spaß. Schön oldschoolig.
Zitate aus der Rezi sind trotzdem ziemlicher Müll.
Ich finde die Zitate auch manchmal miserabel gewählt hier auf der Seite. Da gab es gerade bei Hip-Hop wesentlich bessere, wortverspielte Lines bei manch rezensierten Alben und dann kramt der Autor irgendsoeine nichtssagende Representer-Line raus, die auch noch im Song selbst eher als Füller steht und gar nicht mal so wichtig ist.
Ich habe Null Ahnung von Musikproduktion etc., meine extrem beschränkten Kategorien lauten in etwa "gefällt mir", "Scheiße" und "so lala". Bossen & B...n und Stecks Schmiers & Suffs fielen bei mir unter "gefällt mir", alles danach eher "so lala". Auch die neue Platte habe ich nach Veröffentlichung 1,5x im Auto gehört, danach tatsächlich gelöscht. Da muss ich wohl nochmals ran, vielleicht zündet es ja noch.
Das sind ja auch sehr wichtige und richtige Kategorien, in die ich ebenso einordne
Du und die anderen, die produzieren, selbst Instrumente beherrschen, Banderfahrung haben o.ä., ihr könnt eure Kategorisierung aber deutlich besser als ich (bei aller Subjektivität des Musikgeschmacks) „verobjektivieren“ und begründen. Das geht mir völlig ab. Wobei mein Laientum zwar wenige, aber zumindest einen Vorteil haben kann: ich kann das alles unbefangen/unbedarft hören und laufe nicht Gefahr, automatisch zu analysieren. Bisschen mehr Verständnis und Ahnung hätte ich aber schon manchmal gerne.
Das automatisch analysieren ist bei mir sehr stark ausgeprägt. Weiß nicht, ob ich dss so gut finde, einerseits macht es mir schwerer musik unkritisch zu hören und mir manchmal auch songs kaputt, andererseits lernebich dadurch glaub ich auch viel.
Wir leben in der besten Zeit, um sich niedrigschwellig Verständnis und Ahnung zu besorgen
Unendliche Möglichkeiten, sich mit interessanten Themen wie Musik zumindest niederschwellig - und nahezu kostenlos - zu befassen, in der Tat. Eine gute Seite des Internets.
Caps und ich analysieren etwas unterschiedlich, aber ähnlich intensiv, glaube ich. Mir geht das nicht nur bei Musik so. Auch bei Kabarett oder Schriftsprache etc. Weiß nicht, wie es bei Caps ist. Und ja, das macht es deutlich verkopfter, aber es bewahrt auch vor unreflektiertem Konsum von Scheiße, die als Fast Food für's Gehirn konzipiert wurde. Wenn auch nicht immer natürlich, jeder lässt sich gerne mal berieseln. R. Kelly-Diss bitte mitdenken.
Klingt wie ein deutscher Ghostface Killa, sonst schon schön old school, aber für nostalgische Beats taugt mir Umse besser.
Musik beeinflusst durch Alkohol. Nicht meine Welt aber trotzdem ein cooler Dude. Paar coole Songs dabei und ich respektiere die Produktivität. Mal schauen wie er sich mental weiterentwickelt. Aktuell keine Inspiration.