laut.de-Kritik
Rock on! Mit oder ohne Lippenstift.
Review von Gregory BritschLippenstifte über'm Hochhaus. Oder: Was ein Kanadier auf Heimat-Urlaub in einer Blockhütte so anstellt, wenn er nichts zu tun hat und ihm obendrein vor lauter Kälte die Zähne klappern. Er macht sich kurzerhand daran, Material für ein neues Album zu schreiben. Siehe da, Sheldon Thompson, so heißt unser Wahl-Kölner, der bereits als Pan/Tone auf Sub-Static bzw. Bip-Hop sowie als Gringo Grinder bei Onitor veröffentlichte, hatte ausreichend Tracks in der Tasche, um von den Ladomaten aus Hamburg unter Vertrag genommen zu werden. Aus rechtlichen Gründen heißt Thompson in diesem Falle eben Sid LeRock. Mit "Written In Lipstick" präsentiert er sein Verständnis davon, wie eine Stil-Fusion aus Techno und Rock – "Rockno" – Gestalt annehmen kann.
An diesem Thema arbeiteten sich ja bekanntermaßen auch schon Kollegen wie T.Raumschmiere oder jüngst Landsmann Jake Fairley mit "Touch Not The Cat" ab. Diesbezüglich sind sie allesamt Brüder im Geiste, doch Thompsons Werk unterscheidet sich vernehmlich von den anderen, insbesondere vom deftigen Punk-Gebratze auf "Radio Blackout". Thompsons Rockno-Ansatz entpuppt sich bei näherer Betrachtung als subtiler, als eine Art minimal gestrickter Electro-Rock mit hörbarem Bezug zum Indie-Genre. Nicht umsonst zählt er Bands wie die von ihm gecoverten Violent Femmes ("Add It!") zu seinen Einflüssen. Ebenso wenig lassen sich Tendenzen zu elektronischem Krautrock oder No Wave leugnen.
Im Prinzip auf einem simplen Gerüst aus repetitiven, bisweilen schiebenden Beats basierend, schafft Thompson mit Ride-Becken sowie den Klassikern Gitarre und Bass ein geradezu charakteristisches, von Synthies aufgewertetes Rock-Ambiente mit ungetrübtem Blick in Richtung Tanzflur, das auch vor Electroclash-Zitaten nicht Halt macht. Dank psychedelisch angehauchter Momente stellenweise einen Trip andeutend, andernorts wiederum etwas spacig oder gar intime Einblicke preisgebend. Vielleicht liegt der Reiz dieser Platte auch darin, dass die Songs (oder sind das doch alles Tracks?) zunächst wie in einer Schleife verharren, mehr Zeit in Anspruch nehmen und so erst ihre Wirkung komplett entfalten. Darauf kann man sich ohne weiteres verlassen. Der stoische, manchmal teilnahmslos wirkende Gesang von Thompson trägt ein Übriges dazu bei, dass die von Melancholie durchzogene Atmosphäre von "Written In Lipstick" nicht spurlos an einem vorübergeht. Rock on! Mit oder ohne Lippenstift.
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