laut.de-Kritik
Eine Hommage an die 70er Jahre.
Review von Philipp KauseDer erste Eindruck täuscht nicht: Mick Hucknall und seine sechs Musiker nehmen uns auf eine Zeitreise mit. Den Funk und Soul von Simply Reds "Blue Eyed Soul" haben viele Musiker um 1970 herum gespielt. Es sind kurze Songs nach dem Motto "I need to relax and take a new start", das der Rotschopf mit Sonnenbrille selbst ausgibt, und sie bringen einen von einem stressigen Tag herunter.
Alle zehn Tracks künden von umfassender Kenntnis der die Soul-Archive von Stax, Atlantic, Motown, Neptune, Philadelphia International, Cadet, Brunswick und wie die Label alle hießen. So zügig und lebhaft wie das Album mit "Thinking Of You" beginnt, läuft es jedoch nicht weiter. Zugunsten von Balladen im klassischen Soul-Stil entscheiden sich Simply Red für einige sehr gemächliche, gar gemütliche Nummern.
Für den November eignen sich die wohlig-kuschligen Songs "Sweet Child" und "Complete Love" und das streichzarte, streicherverzierte "Take A Good Look". Mayer Hawthorne kommt angesichts des fleißigen Schlagzeugtreibens in den Sinn. Denn wie bei ihm pulsiert es unter der ruhigen, süßen Oberfläche auch hier, ohne dass sich die Energien mal in einem Schrei oder Killer-Riff entladen würden.
"Ring That Bell" überrascht als monotoner Funk Tune, während "BadBootz" sich sonor und bassgetrieben an den mittleren 70ern orientiert, mit ersten Anklängen an Disco. Alle Zutaten, von völlig übersteigerten Saxophon-Obertönen an der Grenze zur menschlichen Hörschwelle bis zu fortdauerndem Bass-Stakkato, wurzeln tief in der Black Music Culture. Dass hier Simply Red, die Band der leichten Muse, am Werke ist und das Album "Blue Eyed Soul" getauft hat, vergisst man beim Hören schnell. Alles klingt astrein wie irgendwas aus der Zeit, als es Simply Red noch gar nicht gab und Mick Hucknall noch die Schultasche auf den Schultern hatte.
Das exquisite Spiel und die harmonischen Kompositionen laufen einwandfrei. Doch leider kommen sie ohne Hit daher, ohne lyrische Einfälle, ohne tolle Hookline, ohne Zeit und Spielräume für Soli. Soul-Pop-Jazz-Gruppen, die sauber ihr Zeug herunter spielen können, gibt es etliche. Hier kauft man also vorwiegend den Namen.
Immerhin wagt die Band in "Riding On A Train" einen Hauch von Jazz-Funk-Trance-Improvisation, und zeigt, dass sich die Musiker auch im Spiel verlieren und etwas 'Wildes' machen können. Das zeichnet die Platte aus, bleibt aber ein einzelner Moment.
So nett und schön die Songs auf "Blue Eyed Soul" sind, passen sie alle einzeln gut in die ein oder andere Playlist. Beim Album jedoch fragt man sich dauernd, ob noch was passiert, ob sich noch ein Clou ereignet. Nein, am Ende setzt Hucknall seinen zarten Nicht-Ganz-Sopran noch für einen Falsett-Barry-White ein und sagt "I wanna marry you, 'cause I love you. (...) and my dreams will come true." Wir lassen das mal so stehen. Die Platte ist das, was Seal seit 20 Jahren nicht hinbekommt, süß wie ein "Kiss From A Rose", aber auch soft.
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