29. Mai 2015

"Ich war nie normal!"

Interview geführt von

Acht Jahre nach der Veröffentlichung des letzten Studiowerks "Stay" kehren Mick Hucknall und Simply Red mit dem Album "Big Love" wieder auf die große Soul-Pop-Bühne zurück.

Nach der "Farewell – The Final Show"-Tour im Jahr 2010 sollte es eigentlich vorbei sein. Mick Hucknall wollte das Simply Red-Kapitel endgültig zu den Akten legen. Mehr als 50 Millionen verkaufte Tonträger und unzählige ausverkaufte Tourneen waren genug. So schien es. Doch fünf Jahre später - pünktlich zum 30-jährigen Bandjubiläum - meldet sich der britische Rotschopf mit einem neuen Studioalbum im Gepäck zurück. Wir trafen Mick Hucknall in Berlin und sprachen über eine folgenschwere Begegnung, Familienglück und die Zukunft.

Hi Mick, deine erste Promo-Tour liegt jetzt knapp 30 Jahre zurück. Wie fühlt sich die derzeitige an? Ist sie etwas Besonderes für dich?

Mick Hucknall: Ja, irgendwie schon. Ich meine, ich habe schon tausende Interviews gegeben. Aber diesmal kribbelt es schon etwas mehr.

Weil du vielleicht selbst am meisten darüber überrascht bist, dass du heute hier sitzt?

Ja, wahrscheinlich. Das Simply Red-Kapitel war eigentlich durch. Ich hatte viele Jahre lang das Gefühl, alles gesagt und getan zu haben. Doch dann besuchte mich mein Manager im letzten Sommer in meinem Haus und legte mir ein paar Zahlen auf den Tisch (lacht).

Zahlen?

Ja, er kam rein und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm ein paar Zahlen durchzugehen. Ich hatte erst gar keine Ahnung, was er von mir wollte. Aber als er mich dann darauf hinwies, dass das 30-jährige Bandjubiläum vor der Tür steht, wusste ich, was er vorhatte.

Er wollte ein neues Studioalbum? Er platzte also gleich mit der Tür ins Haus?

Nein, nicht ganz. Er fragte mich nur, ob ich nicht eine Idee hätte, was man machen könnte. Wir überlegten dann gemeinsam. Eine einfache Tour wäre mir zu dürftig gewesen. Als Mann mit keltischen Wurzeln weiß ich Geburtstage schließlich zu feiern. Wir haben das in unseren Genen. In Schottland stehen die Menschen sogar bei einer Beerdigung mit guter Laune am Grab. Ich entschied mich dann für einen brandneuen Song. Eine Art Dankeschön an unsere Fans, die uns dreißig Jahre die Treue gehalten haben. So entstand der Song "Big Love".

Der Anfang war also gemacht.

Ja, wobei ich eigentlich nur diesen einen Song schreiben wollte. Ich dachte mir, vielleicht kann man sich mit dem Label auf ein neues Greatest Hits-Paket einigen. Der Song wäre dann ein Bonus, verstehst du? Die Leute sollten sich darüber Gedanken machen, wie Simply Red im Jahr 2015 klingen würden. Mehr steckte da zunächst nicht dahinter. Irgendwie hat der Song aber etwas in mir losgetreten. Ein paar Tage später hatte ich zwei weitere Songs im Kasten. Also fragte ich mich: Warum nur drei Songs? Was hält mich davon ab, ein komplettes Album aufzunehmen? Das war die Geburtsstunde von "Big Love".

"Ich interessiere mich nicht für neue Musik"

Klingt nach einer großen Herausforderung.

Nun, es war ähnlich herausfordernd wie 1991.

Inwiefern?

Wir feierten im Jahr 1989 große Erfolge mit dem Album "A New Flame". Wir hatten drei Hits auf dem Album, von denen zwei Coverversionen waren. Zu dieser Zeit kritisierten mich viele Journalisten. Sie stempelten Simply Red als eine Cover-Band ab, was natürlich nicht der Wahrheit entsprach. Ich meine, bis auf zwei Songs waren alles Eigenkompositionen. "A New Flame" war also alles andere als das Produkt einer Cover-Band. Man brandmarkte uns aber trotzdem. Das nervte mich. Also entschied ich mich dafür, es allen Kritikern zu zeigen.

Das nächste Album ("Stars") wurde komplett von mir geschrieben. Und es wurde ein Erfolg. Diesmal wollte ich es genauso machen. Ich stellte mir vor, wie ich als Fan denken würde. Ich fragte mich, was die Musik von Simply Red so erfolgreich macht? Und ich fand heraus, dass es das große Ganze ist, das die Menschen auch heute noch fasziniert. Nicht die Cover-Hits. Es sind die Simply Red-Songs, die die Band ausmachen. Dieser Herausforderung wollte ich mich noch einmal stellen.

Kamen die Ideen alle aus dem Bauch heraus. Oder hast du hier und da auch mal bei aktuellen Künstlern ein Ohr riskiert?

Die Sachen, die du auf dem Album hörst, stammen aus meinem tiefsten Inneren. Ich interessiere mich nicht für neue Musik. Ich höre viel alten Soul und Jazz. Dabei geht es aber nicht um Inspiration. Natürlich verirrt sich auch mal der eine oder andere Hit aus den Charts in meinen Ohren. Aber da ist nichts bei, was mich in Bezug auf meine eigene Musik beeinflusst.

Das einzige, was mich freut, ist die Tatsache, dass Musik an sich immer noch die Massen bewegt. Die Leute stehen auf Musik. Sie gehen zu Konzerten, kaufen Alben. Das ist toll. Das freut mich. Ich finde es unheimlich wichtig, dass jede neue Generation ihren musikalischen Begleiter hat; ganz egal, ob es sich dabei um Rock, Pop, Blues, Soul oder Dance-Musik handelt. Musik ist ein Teil der Kultur. Das darf niemals in Vergessenheit geraten.

Du bist mittlerweile Vater einer siebenjährigen Tochter. Wird man da nicht automatisch mit neueren Sounds konfrontiert?

(Lacht) Du wirst es nicht glauben, aber meine Tochter steht total auf obskure Sounds. Ich habe keine Ahnung, wo sie das her hat, aber letztens spielte sie mir einen richtigen schweren Dub-Reggae-Track vor, der unser ganzes Haus erbeben ließ. Zwei Minuten später sang sie dann "These Boots are made for walking...". Sie ist noch nicht so richtig festgelegt. Mit neumodischem Allerlei hat sie aber weniger am Hut. Das liegt aber vielleicht auch daran, weil ihr Vater ihr sooft es geht, irgendwelchen alten Blue Eyed-Soul vorspielt (lacht).

"Der Kreis ist irgendwie geschlossen"

Wie wichtig ist dir deine Familie?

Sie ist mein ein und alles. Es gibt für mich nichts Wichtigeres.

Auch nicht die Musik?

Nein, auch nicht die Musik. Als meine Tochter zur Welt kam, habe ich jeden, mit dem ich einmal musikalisch zu tun hatte, davon in Kenntnis gesetzt, dass er mich ab jetzt in Ruhe lassen soll (lacht). Ich wollte nur noch für meine Tochter da sein.

Du selbst bist nur mit einem Vater aufgewachsen.

Ja, das stimmt. Und genau deshalb will ich meiner Tochter eine normale Kindheit ermöglichen. Sie soll mit Mama und Papa aufwachsen. Es soll ein Gleichgewicht herrschen. Das ist sehr wichtig. Ich bin ohne Mutter aufgewachsen. Ich hatte nur meinen Vater. Es gab keine Großeltern, keine Tanten, keine Onkels und keine Geschwister; nur mich und meinen Vater. Das hat mich geprägt.

Mein Dad hat alles gemacht. Er ging sechs Tage die Woche arbeiten, schuftete wie ein Tier und war für mich da. Tag und Nacht. Wahrscheinlich umsorge ich meine Tochter deshalb so sehr. Ich will nicht, dass es ihr an irgendetwas fehlt. Schon gar nicht an Liebe und Zuneigung. Wenn sie ihren Vater braucht, dann bin ich für sie da.

Das klingt alles sehr geerdet und gereift.

Wenn es um meine Familie geht, bin ich ein anderer Mensch.

Und wenn es um Simply Red geht?

Dann bin ich immer noch der dickköpfige Rothaarige mit dem übergroßen Ego (lacht).

War das schon immer so?

Ja. Ich war nie normal.

Warum?

Wenn man in den Sechzigern ohne Mutter aufwächst, bleiben gewisse Verhaltensauffälligkeiten nicht aus. Ich fühlte mich nie dazugehörig. Also kochte ich mein eigenes Süppchen.

Gibt es Dinge, die du bereust?

Es gibt sicherlich einige Entscheidungen, die ich getroffen habe, die ich heute so nicht mehr treffen würde. Aber alles in allem bin ich stolz auf das, was heutzutage mit dem Namen Mick Hucknall in Verbindung gebracht wird.

An welche Momente erinnerst du dich besonders gern zurück?

Oh, da gibt es so einige (lacht). Allein der Anfang von Simply Red war schon gigantisch. Wir kamen ja praktisch aus dem Nichts. Ich hatte vier Jahre lang einen stinknormalen Job, und dann stand ich plötzlich in Los Angeles zusammen mit Whitney Houston, Luther Vandros und Ben E. King auf der Bühne. Hallo? Das war schon ziemlich bizarr. Ich weiß noch, wie ich plötzlich umringt war von Tina Turner und Dionne Warwick. Beide küssten mich auf die Wange. Diesen Moment werde ich nie vergessen. Da wusste ich: Jetzt ist meine Zeit gekommen.

Und ich sollte Recht behalten. Danach wurde ein Traum nach dem anderen wahr. Wir hatten Nummer 1-Hits und verkauften Platten ohne Ende. Und das jahrzehntelang. Diese Kontinuität ist das größte Geschenk von allen. Noch heute werde ich auf der Straße erkannt. Die Menschen erkennen mich. Meine Musik hat nichts von ihrem Reiz verloren. Und das nach dreißig Jahren! Das ist doch unglaublich, oder?

In zehn Jahren steht das 40-jährige Bandjubiläum an. Vorstellbar, dass dein Manager dann erneut an deine Pforten klopft?

Das ist eine sehr gute Frage (lacht). Momentan habe ich das Gefühl, dass ich mit "Big Love" einen perfekten Schlusspunkt unter das Kapitel Simply Red gesetzt habe. Es fühlt sich gut an. Der Kreis ist irgendwie geschlossen. Sicher, wir haben noch einige gute Songs in der Hinterhand. Aber nichts, was sich für ein komplettes weiteres Album anbieten würde. Wahrscheinlich werden wir diese Songs peu à peu veröffentlichen. Wir werden sehen. Was aber in zehn Jahren sein wird? Keine Ahnung. Wer weiß, ob ich dann überhaupt noch lebe (lacht). Aber sollte dem so sein ... never say never. Hier und jetzt würde ich aber behaupten: Das war's.

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