laut.de-Kritik
Ungesunde Anbiederung an den Shishabar-Status-Quo.
Review von Mirco LeierSinan-Gs Werdegang gehört sicherlich zu den interessantesten und außergewöhnlichsten in der Welt des deutschen Sprechgesangs. Sein Weg vom Hobbykicker zum Panzerknacker zum Straßenrapper ist, milde gesagt, filmreif: vielleicht einer der Gründe, wieso er mittlerweile eher für seine Rolle in "Dogs of Berlin" als für seinen musikalischen Output bekannt ist. Ein anderer dürfte sein, dass Sinan auf seinen bisherigen Tonträgern, ebenfalls milde gesagt, alles andere als brilliert hat.
Der Rapper aus dem Ruhrpott ist ein typischer Fall eines Musikers, bei dem sich die Musik dem Image unterordnet. Ein Image, das ihm neben einem dicken Netflix-Check auch zahlreiche Connections in der Szene verschaffte. In all den Jahren, die Sinan im Schatten der Kollegahs, Farids und Kurdos dieser Welt verbrachte, hätte er aber genau so gut auch wieder zurück auf den Bolzplatz gehen können. Wenn "Gangstas Paradise" nämlich eins verdeutlicht, dann, dass Rapper nach wie vor der falsche Beruf für ihn ist.
Vergleicht man sein jüngstes Release mit seinem Debüt "Ich bin Jesse James", so lässt sich durchaus eine gewisse artistische Progression ausmachen. Das bedeutet in Sinans Fall aber neben kompetenteren Rhymes und Flows eben auch, dass er sich in ungesundem Maße dem Shishabar-Status-Quo angebiedert hat. Früh in seiner Karriere wirkte er in seiner Amateur-Ästhetik, wenn auch schwer hörbar, noch sympathisch: Er klang eben genau nach den bemühten Versuchen, tough zu wirken, die sich Kids in Pausenhof-Cyphern an die Köpfe warfen. Sinans neustem Material fehlt dagegen ironischerweise jeglicher Charakter.
Er liefert im besten Falle durchschnittliches Playlisten-Futter, das neben Nimo, Capo und Flizzy in etwa so stark auffällt, wie ich vor zehn Jahren bei der Mannschaftswahl im Sportunterricht. Ob das jetzt für Sinan-G spricht oder gegen Patrick Losensky und Konsorten, bleibe dahingestellt.
"Money Therapie", "Shoot" oder "Egal" gehen als annehmbare Hintergrundbeschallung für Berliner Abiturfeiern durch oder taugen für U18-Deutschrappartys die Mottos wie "500 PS" oder "Gönn Dir!" tragen. Wer davon jetzt direkt Lust auf Wodka Bull und Traube Minze bekommt, darf beherzt zugreifen. Wer jedoch, wie ich, lieber in Sinan-Gs Schwitzkasten landen würde, bevor er auch nur einen Fuß gen "Modus Mio" setzt, der sei gewarnt: Die Ausreißer der Platte haben es in sich.
"Hinter Blauen Augen" ist einer dieser seltenen Momente, die gleichermaßen schockieren wie faszinieren. Man will nicht glauben, was man da gerade hört, aber schafft es einfach nicht, den Pause-Button zu drücken. Es ist wahrlich ein Autounfall im MP3-Format. Deutschrap musste in den letzten Jahren genug grauenhafte Cover-Versionen von angestaubten "Klassikern" ertragen, aber Sinan-Gs Interpretation von Limp Bizkits "Behind Blue Eyes" toppt sie alle.
Da kann der Inhalt noch so deprimierend sein und noch so sehr von Herzen kommen: Sobald Sinan in der Hook seine holprige Autotune-Fred Durst-Imitation zum Besten gibt, entgleisen mir alle Gesichtszüge. Selbst die YouTuber-Kollabo "Keine Schwäche Zeigen", der zweite negative Standout der LP, bietet trotz eines ungesunden Levels an aggressiv vorgetragenem Testosteron und Reimen auf dem oben erwähnte Pausenhof-Niveau weniger Angriffsfläche.
Auch Olexesh, der scheinbar einzige Lichtblick der LP, lässt sein Charisma für einen Check vor der Tür und macht auf "Ghetto" genau da weiter, wo er mit dem haarsträubend schlechten "Augen Husky" aufhörte. Dennoch gehört sein Verse zu den besseren, die "Gangstas Paradise" in seiner zwanzigminütigen Laufzeit zu bieten hat.
Was einmal mehr beweist, wie beliebig dieses Projekt und letzten Endes auch Sinans gesamtes musikalisches Portfolio ist. Ich reduziere ihn ungern auf sein filmreifes Comeup, aber der Mann der 2007 in die JVA Siegburg wanderte und in "Dogs of Berlin" ordentlich performt, bleibt interessanter als der, der mit Tracksuit und Boxerschnitt Limp Bizkit covert und von Sativa-rauchenden Latinas aus Tschechien schwadroniert.
11 Kommentare mit 17 Antworten
"aber Sinan-Gs Interpretation von Limp Bizkits "Behind Blue Eyes" toppt sie alle"
Herr, wirf Hirn vom Himmel....
Sei froh, dass der kleine Mirco Limp Bizkit kennt, die waren schon weit vor seiner Zeit
krabbelgruppe@laut.de
Ich kann mir aber auch beim besten Willen nicht vorstellen, dass Sinan-G The Who kennt
denk ich auch nicht; aber sinan-g ist auch nicht Musik-Journalist; mirco-l schon....
Sinan G: Früher Knast, heute wohnt er bei einem Youtuber. Er ist mein Vorbild..
Witz, absoluter Schmutz
Gilt der Songtitel schon als Blasphemie. Nach John Webbers Hit ‚em up nun das. Wieso nehmen sich immer die schlimmsten Wack-MCs sowas raus?
Wieso geben diese Armleuchter dieser scheisse immer noch 2 Sterne damit stellt ihr ihn und so viele andere untalentierte arschlöcher auf eine Stufe mit flizzy von Fler ihr habt doch den Schuss nicht gehört
Ist vollkommen gerechtfertigt. Einzige angebracht Änderung wäre, Alles inklusive Patrick mit 1/5 zu bewerten.
Schön zu sehen, dass selbst der größte Fanboi erkannt hat, dass Flers Niveau 2/5 ist
Die korrekte Übersetzung wäre "Hinter traurigen Augen", aber naja...Deppen"musik" für Deppen eben.
Allein schon wegen Titel und Cover inkonsumerabel. Tracklist tut ihr Übriges. Ich dachte, hier wird Musik besprochen?