laut.de-Kritik
Die Deutschpunk-Pioniere spucken wieder Gift und Galle.
Review von Kai Butterweck18 Jahre lang haben die Deutschpunk-Pioniere von Slime geschwiegen. 18 Jahre, in denen Bands wie Dritte Wahl oder Rantanplan verzweifelt versuchten, ein Revoluzzer-Genre zu reanimieren, das sich mit dem letzten Akkord von "Goldene Türme" in die ewigen Jagdgründe verabschiedet hatte. Irgendwie war ja auch alles gesagt, denn Stefan Mahlers letzten lyrischen Ergüssen noch etwas hinzuzufügen schien ungefähr so überflüssig wie ein Solarium im Death Valley.
Knapp zwei Dekaden später sieht die Sache schon wieder anders aus, denn an die Revolte-Botschaften und Kampfansage-Attitüden vergangener Tage erinnern sich heute nur noch Eingefleischte. Zeit, den müden Gemütern mal wieder so richtig einen vor den Latz zu knallen. Also macht sich die Bande um St. Pauli-Röhre Dirk Jora vor zwei Jahren auf, der Republik mit einigen Reunion-Shows wieder Feuer unterm Hintern zu machen.
Zwar hat Drummer und Textegeber Stefan Mahler keine Lust mehr, aber mit Alex Schwers findet sich, zumindest für den Schießbudenpart, adäquater Ersatz. Auch Nici stößt neu hinzu, die die Combo fortan mit ihren Viersaiter-Diensten versorgt. Alles scheint zu passen. Die Resonanz ist da, und plötzlich ist man gar gewillt einen neuen Silberling einzuprügeln.
Doch wer soll sich der Texte annehmen? Stefan Mahler befindet sich bereits im vorzeitigen Ruhestand, und die Verbliebenen können so ziemlich alles; nur nicht das, was die Band in der Vergangenheit von anderen rebellierenden Straßenköter-Kapellen abhob: nämlich nachhaltige Inhalte zu Papier bringen. Da greifen die Hanseaten eine Idee auf, die schon lange im heimischen Archiv schlummert. Das Quintett schnappt sich 80 Jahre alte Werke des Dichters und Anarchisten Erich Mühsam und transportiert die Gedanken des Urhebers in die Neuzeit. Und es klappt. Die historischen Verse, vollgepackt mit unbändigem Überlebenswillen, Leid und archaischer Wut haben auch anno 2012 nichts an Aktualität eingebüßt.
Zeilen wie "Ich soll? Ich muss? Doch will ich nicht nach jener Herrn Vergnügen. Ich tu nicht, was ein Fronvogt spricht. Rebellen kennen bessere Pflicht, als sich ins Joch zu fügen" ("Sich Fügen Heißt Lügen"), oder "Ich sah der Menschen Angstgehetz, ich hört der Sklaven Frongekeuch. Da rief ich laut: brecht das Gesetz! Zersprengt den Staat! Habt Mut zu euch!" ("Freiheit In Ketten") sind ein wahrhaft gefundenes Fressen für Dirks Stadion-Organ.
Gift und Galle wird gespuckt, während die Kollegenschaft im Hintergrund mit brachialem Dauerinferno für die passende musikalische Untermalung sorgt. Kurzzeitig eingestreute Offbeat-Entspannung ("Rebellen") und Piano-Melancholie ("Freiheit In Ketten") ringt den Protagonisten nur ein müdes Lächeln ab, denn Sekunden später rollt die Lawine wieder. Egal ob schnell ("Seenot", "Bürgers Alptraum", "Revoluzzer"), treibend ("Wir Geben Nicht Nach") oder schleppend ("Bett Aus Lehm Und Jauche"); stets die Faust geballt gehen Slime zum Totalangriff über und machen alle mundtot, die sich in den letzten Jahrzehnten an ihrem Erbe versucht haben.
"Es kann nur einen geben", flüsterte einst Sean Connery dem verdutzten Christopher Lambert ins Ohr. Und genau diese Erkenntnis bleibt auch hängen, wenn Elf und Christian auf dem abschließenden "Das Beil" nach knapp einer Minute die wunden Finger von den Griffbrettern ihrer Klampfen lösen. Willkommen zurück.
7 Kommentare
...hanseatische klasse für sich...
Wenn man die halbe Band austauscht und dann nicht mal mehr Songwriter in der Gruppe hat...widerspricht das nicht dem Sinnbild einer "Musikband" die kreativ ist und deshalb gemeinsam eigene Lieder spielt? Jeden Tag gruenden sich tausende solcher Kollektive (meist Freunde) unter dieser Praemisse. Und die muessen von Null anfangen und haben nicht gleich das Etikett "SLIME" auf dem Cover.
na und? sie sind ja auch SLIME. und damit in erster linie ein i n h a l t l i c h e s statement. das steht doch souverän über jeder form sozialneidischen geflennes
@QueerMusicHead "Weiterhin gegen die Anti-Deutschen" hä? du hörst Slime und haust so ne Aussage raus? o.O Wie dem auch sei, die Musik von Slime ist ja ganz ok, aber die Typen ey, das sind solche Idioten, die singen Deutschland muss sterben damit wir leben könne, kommen mit ihrem Antikapitalismus (was bis dahin noch gut aus) und wollen dann bei allen Festivals mehr als die 3fache Gage, noch dazu müssen sie immer betonen was für ne Kultband sie sind, da hätten sie sich lieber ne Scheibe von Fugazi abschneiden sollen.
Props an Rhino, da kennt sich einer aus. Yankees raus!
@RhinoRaiser (« @QueerMusicHead "Weiterhin gegen die Anti-Deutschen" hä? du hörst Slime und haust so ne Aussage raus? o.O Wie dem auch sei, die Musik von Slime ist ja ganz ok, aber die Typen ey, das sind solche Idioten, die singen Deutschland muss sterben damit wir leben könne, kommen mit ihrem Antikapitalismus (was bis dahin noch gut aus) und wollen dann bei allen Festivals mehr als die 3fache Gage, noch dazu müssen sie immer betonen was für ne Kultband sie sind, da hätten sie sich lieber ne Scheibe von Fugazi abschneiden sollen. »):
Also, wenn Slime 30.000 ? Gage wollen (was realistisch ist, soweit ich gehört habe), dann bekommen sie ungefähr soviel Kohle für nen Auftritt wie The Baseballs, und die sind weder kulturell relevant noch künstlerisch eigenständig noch ansatzweise kultig. Solche Gagenforderungen muss man in Relation zu anderen sehen, und wenn Slime so viel kosten wie die öden Baseballs, dann ist das nicht viel.
Und warum sollen sie nicht betonen, dass sie eine Kultband sind? Erstens stimmt das und zweitens sind die schlimmsten Poser im Underground-Punk die "Pestpocken".
Und noch was: Da ist definitv Slime drin, warum sollte nicht Slime draufstehen?