laut.de-Kritik

Straßenpoesie und rohe Wut aus den Blocks.

Review von

Eine bittere Abrechnung mit Großbritannien, ein junger wütender Mann aus der Unterschicht und ein Paradigmen-Wechsel in der britischen Musiklandschaft: Das war "Original Pirate Material" von The Streets. In einem wahnwitzigen Mix aus Underground-Rap und Pop schuf Mike Skinner einen jahrelang unerreichten Monolithen, der auch eine Blaupause für Grime der 00er-Jahre darstellte.

Die britische Variante von Straßenrap ist spätestes nach "GRM" von Sibylle Berg nun auch im deutschen Kulturbetrieb angekommen. Es fehlt dem bisherigen Nischen-Thema nur noch die paneuropäische Konsensfigur, die wie Skinner auch das kontinentale Europa noch einmal wie vor 17 Jahren in Aufregung versetzt. Es ist Zeit für Tyron Frampton aka Slowthai: ein zorniger Mann, der sich "Nothing Great About Britain" auf seinen Körper tätowiert hat und uns auf seinem ebenso betitelten Album in die dunklen Ecken abseits des schillernden Spotlights führt.

Frampton gehört zu einer Generation junger Menschen, deren Zukunft alles andere als rosig aussieht. Die frustrierten Kids in den 70ern sangen noch "There's no future and England's dreaming" als nihilistische Abrechnung, am Ende der Zehner-Jahre ist die Wut auf die privilegierten Schichten und ihre Ignoranz nicht weniger geworden. Slowthai zischt auf dem Einstieg in das Album seinem königlichen Oberhaupt ein "Tell you how it is, I will treat you with the utmost respect only if you respect me a little bit, Elizabeth, you cunt " entgegen, und das ist nicht einmal der wütendste Track auf dem Album.

Im räudigen Electro-Berserker "Doorman" gibt Frampton den Drogen konsumierenden Albtraum auf einer Upper Class-Party und dehnt dabei die Wörter wie einst Sex Pistols-Sänger Johnny Rotten in die Länge und kotzt sie aus.

Es steckt aber nicht nur Wahnsinn in dem Troubled Kid aus Northampton. "Toaster" und "Gorgeous" zeigen eine verletzliche Seite des Rappers, der auf Fotos gerne psychotisch in Kamera schaut. In die Mischung aus Oldschool, sanften Jazz- und Soul-Samples möchte man sich fast einkuscheln, bis die tatsächliche Tragik dieser Songs ins Bewusstsein dringt. Es geht um das Leben auf der Überholspur, bis es einen verbrennt: "In the fire my life will highlight", das von der Gesellschaft abgeschnittene Leben in den Blocks, die Jahre der Drogensucht und die Wut über den Stiefvater.

"Peace Of My Mind" spiegelt die endgültige Depression im Ghetto. Es nervt, aber muss ja alles weitergehen. "I feel peace of mind when I'm sleeping in my bed and I can't hear it / I feel peace of mind when I'm dreaming of a life I ain't living." Trotzdem rafft Frampton sich auf, geht nach draußen und trotzt der Eiseskälte der Gegenwart. "It's cold in England, so much colder in winter / Put on your parka, save room for Christmas dinner." Am Schluss hört man nur eine entmutigte Stimme aus dem Off, und die schwermütigen Streicher begleiten aus der Hölle auf Erden.

Ein lauter Banger wie "Inglorious" rüttelt noch einmal aus dieser betäubenden Traurigkeit auf. Die basswummernde Trap-Grime-Kollabo mit Skepta liefert sicherlich das zugkräftigste Kaufargument und erreicht bisher die höchsten Abrufzahlen, aber bleibt unter dem sehr hohen Niveau der anderen Songs zurück. Auf anderen Alben das Highlight, hier ein neben den intelligent vorgetragenen Straßenpoesie und dem rohen Hass ein solider Hit für die Clubs. Frampton geht den Rest der Tracks subtiler und mit mehr Seele an, aber die Harmonie mit dem Grime-Lord passt trotzdem.

Slowthai hat sich wie Skepta dank seines enormen Talents aus der Abwärtsspirale befreit und blickt nun dank eines rundum gelungenen Debüts in eine hoffnungsvollere Zukunft. Schon die "Runt EP" im letzten Jahr deutete auf Großes hin, aber solch hohe Qualität auf ganzer Albumlänge ist ein Glücksfall. "There's Nothing Great About Britain" hat das Potenzial, ebenfalls zum Klassiker wie "Original Pirate Material" aufzusteigen.

Trackliste

  1. 1. Nothing Great About Britain
  2. 2. Doorman
  3. 3. Dead Leaves
  4. 4. Gorgeous
  5. 5. Crack
  6. 6. Grow Up
  7. 7. Inglorious
  8. 8. Toaster
  9. 9. Peace of Mind
  10. 10. Missing
  11. 11. Northampton's Child

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1 Kommentar mit einer Antwort

  • Vor 5 Jahren

    Wie schon an anderer Stelle hier geschrieben, für mich eine sehr gelungene Mischung aus The Streets und Dizzee Rascal. Das Album ist wirklich n richtiges Brett. ♥

    • Vor 5 Jahren

      Alter, ich muss mehr DarkO-Beiträge lesen, dünkt mir. :)

      Gott sei Dank ist der noch in der best-of Liste aufgetaucht!

      Sehr geile Platte, muss eigentlich schon nach dem ersten Durchgang die 5/5 zücken, schwer begeistert.