1. Februar 2017

"Wir machen unsere eigenen Regeln"

Interview geführt von

Aufregung im Progrock-Lager: Drei Jahre nach "Tellurian" legen Soen endlich ihr neues Album "Lykaia" vor.

Das letzte Tool-Album "10.000 Days" hat mittlerweile über zehn Jahre auf dem Buckel. Zwar trat Gitarrist Adam Jones vor einigen Monaten mit vielversprechenden Studio-Statements aus dem Dunkel ins Licht. Passiert ist allerdings noch nichts.

Was das nicht enden wollende Warten definitiv erträglicher macht, ist der Blick über den Tellerrand. Mittlerweile gibt es jede Menge Bands, die auf der tool'schen Spur ähnlich Markantes auf die Beine stellen. Eine dieser Bands heißt Soen. Das Quintett, das seit 2004 unterwegs ist, hat mit Martin Lopez (Opeth, Amon Amarth) und Joel Ekelöf (Willowtree) zwei bekannte Gesichter an Bord und präsentiert dieser Tage das dritte Studioalbum "Lykaia". Wir trafen uns mit den beiden Aushängeschildern zum Interview.

Martin und Joel, ihr steht ganz oben auf der Liste vieler Tool-Fans, die es leid sind, ständig wieder aufs Neue vertröstet zu werden. Was prägt euch mehr? Die Freude darüber, mit einer der größten Alternative-Institutionen der letzten 20 Jahre verglichen zu werden, oder überwiegt der Frust, dass viele Hörer euch vielleicht als eine Art Lückenfüller wahrnehmen?

Martin Lopez: Ich empfinde das ehrlich gesagt gar nicht so dramatisch. Sicher haben wir vor und nach unseren Konzerten auch mit vielen Tool-Fans Kontakt, die sich darüber freuen, dass sie eine Band sehen oder gesehen haben, die ihrer Lieblingsband musikalisch nahekommt. Aber wesentlich mehr Leute nehmen uns als eigenständige Band wahr. Das war eigentlich auch schon immer so. Die Einzigen, die uns ausnahmslos nur mit Tool in einen Topf werfen, sind Journalisten. (lacht)

Du lachst. Demnach scheint dich der permanente Vergleich nicht sonderlich zu stören, oder?

Martin Lopez: Nein, nicht wirklich. Es ist ja auch nicht so, dass uns die Leute mit einer Band vergleichen, die aus einer völlig anderen Ecke kommt. Jeder weiß, dass ich ein großer Tool-Fan bin. Und ich würde schon ziemlich verwirrt wirken, wenn ich behaupten würde, dass wir mit dem Gesamtkunstwerk Tool nichts am Hut hätten. Natürlich bewegen wir uns mit Soen auf einer ähnlichen musikalischen Ebene.

Joel Ekelöf: Was man an der ganzen Diskussion nicht aus den Augen verlieren sollte, ist die Tatsache, dass es eigentlich keinen spektakuläreren Vergleich gibt. Ich meine, wir bewegen uns ja nicht im Fahrwasser von Millionen anderen Bands, die im Windschatten von 08/15-Sounds auf den großen Durchbruch hoffen. Wir spielen in einer Liga, in der die wirklich guten und professionell arbeitenden Acts an einer Hand abzuzählen sind. Ich will jetzt nicht überheblich rüberkommen. Aber mit Tool in einem Atemzug genannt zu werden, hat schon was von einem Ritterschlag.

"Auf uns ist Verlass"

Wie habt ihr denn die letzten News aus dem Munde von Adam Jones aufgenommen? Glaubt ihr, dass in diesem Jahr endlich passieren könnte?

Martin Lopez: Warum nicht? Als Tool-Fan weiß man, dass alles passieren kann. Wir werden sehen.

Joel Ekelöf: Und wenn es wieder nichts wird, dann gibt es ja auch noch uns. Auf uns ist Verlass. (lacht)

Wohl wahr. Ihr kommt im Februar mit eurem dritten Studioalbum "Lykaia" um die Ecke. Nach den beiden ersten, bisweilen doch sehr vertrackten Alben "Cognitive" und "Tellurian" schickt ihr mit "Lykaia" nun ein überraschend zugängliches Album ins Rennen. Wie kommts?

Martin Lopez: Mit dem Adjektiv 'zugänglich' sollte man vorsichtig umgehen. (lacht) Aber du hast schon Recht. Diesmal haben wir versucht, etwas homogener zu arbeiten. Wir haben ganz bewusst jeglichen digitalen Ansatz zur Seite geschoben und nahezu das komplette Album analog aufgenommen.

Joel Ekelöf: Wir wollten uns freimachen von überflüssigen Techniken. Gleichzeitig wollten wir aber auch ein Album aufnehmen, das warm, voluminös und kompakt klingt. Ich denke, dass das die größte Herausforderung war. Es hat eine Weile gedauert bis wir zu jeder Soundidee das passende analoge Tool gefunden hatten. Mit dem Einsatz von Keyboards und Samples wären wir sicherlich schneller fertig geworden. Aber wir haben uns nicht unter Druck gesetzt. Es gab keine Deadline für das finale Produkt. Wir haben uns nur auf die Musik fokussiert, solange gesucht, bis wir alles beisammen hatten und dann Nägel mit Köpfen gemacht.

Das Fundament ist ja immer noch präsent, nur eben etwas feiner geschliffen. Denkt ihr, dass ihr diese leichte musikalische Neuausrichtung auch in Zukunft weiter verfolgen werdet?

Martin Lopez: Jedes Album, jeder Song und jeder Produktionsprozess stehen für sich. Wir sind eine Band, die während des Entstehungsprozesses eines neuen Albums weder nach hinten noch nach vorne blickt. Wir arbeiten stets im Hier und Jetzt. So haben wir das schon immer gehalten. Und ich denke, das bleibt so. Insofern kann ich dir nicht sagen, ob das nächste Album ähnlich klingen wird. Ich denke zwar nicht, dass wir uns je allzu weit von unseren Wurzeln entfernen werden. Aber was das Drumherum anbelangt, sind wir immer offen für Neues.

Joel Ekelöf: Das Schöne an unserer Musik ist, dass es so gut wie keine Regeln gibt. Progressive und atmosphärische Musik erfindet sich stets neu. Das macht die Branche ja so spannend und einzigartig. In unserer Soundwelt gibt es keine festgelegten Schemata, nach denen man sich richten muss, um dem großen Ganzen gerecht zu werden. Strophe, Bridge, Refrain, Strophe, Bridge, Refrain: Derartige Abfolgen interessieren uns nicht. Wir stellen unsere eigenen Regeln auf. Und die verändern sich fast täglich. Stagnation und Langeweile sind Fremdwörter für uns.

"Manchmal kleben wir tagelang an einem Riff fest"

So viel Enthusiasmus und Tatendrang setzt aber voraus, dass alle Beteiligten bedingungslos an einem Strang ziehen. Wie schafft ihr es, dass fünf unterschiedliche Persönlichkeiten am Ende des Tages immer auf derselben Welle schwimmen?

Martin Lopez: Mit dem aktuellen Line-Up sind wir nun schon seit einer ganzen Weile unterwegs. Sicher, zu Beginn wurde noch viel geschnüffelt, ausprobiert und ausgelotst. Aber mittlerweile herrscht ein Vertrauensklima in der Band, das uns alle Türen öffnet. Wir haben so viele Shows zusammen gespielt, hunderte Stunden gemeinsam im Studio verbracht und waren unheimlich viel auf Reisen. Das schweißt zusammen. Man redet in Musikerkreisen immer gerne von familiären Bedingungen. Bei uns trifft das den Nagel auf den Kopf. Wir sind wie eine Familie, in der jeder weiß, wie er den anderen zu nehmen hat.

Ein derartiges Vertrauen hilft sicherlich, wenn es darum geht, Songs in Form zu gießen, deren Entstehung bisweilen schon mal Wochen in Anspruch nehmen können ...

Martin Lopez: Auf jeden Fall. (lacht) Manchmal kleben wir tagelang an einem einzigen Riff fest. Das, was man auf dem neuen Album hört, ist das Ergebnis langer und harter Arbeit. Geduld ist der Schlüssel. Manchmal fällt einem auch alles in den Schoß. Dann kann ein Song auch schon mal innerhalb von wenigen Stunden im Kasten sein. Aber in der Regel dauert es schon etwas länger. Und wenn man dann hibbelig wird, geht irgendwann gar nichts mehr. Aber wie gesagt: Wir wissen genau, wie wir ticken. Und vor allem wissen wir genau, was wir wollen. Das Ganze nimmt zwar meist sehr viel Zeit und Energie in Anspruch. Aber am Ende des Tages, wenn alles passt und wir die Ernte einfahren, klatschen wir zufrieden ab.

Die Geduld zahlt sich aus. Progressive Gitarrenmusik wird immer populärer. Steven Wilson, The Neal Morse Band ... selbst auf einer Metallica-Scheibe hört man etliche Prog-Elemente heraus. Wie erklärt ihr euch diese Aufmerksamkeit?

Joel Ekelöf: Qualität setzt sich irgendwann durch. Ganz einfach. (lacht)

Martin Lopez: Für mich ist das keine überraschende Entwicklung. Wenn man sich den ganzen Müll, der heutzutage im Radio läuft, anhört ... Da ist es doch klar, dass die Ohren irgendwann auf Durchzug schalten. Die Leute wollen wieder Songs hören, hinter denen eine Geschichte steckt. Sie wollen Musik wieder als Kunstform wahrnehmen, nicht als klinisch aufpolierte Begleiterscheinung. Uns kommt das natürlich zugute. Und darüber freuen wir uns natürlich. Aber schlussendlich spielt es keine große Rolle, ob wir tausend Platten verkaufen oder eine Million. Solange wir uns abends nach getaner Arbeit, Arm in Arm mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht, vor den Spiegel stellen können, ist alles in Ordnung. Nur das zählt. Authentizität und Leidenschaft: Das sind die Grundpfeiler unseres Schaffens.

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