laut.de-Kritik

Gut Ding will Weile haben.

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Was hält er denn da in der Hand? Ist es sein Handy? Ruft er jetzt gleich die Freundin an und sagt: "Komm mal rüber Schnecke, Zeit für ein Schäferstündchen!"? Oder wie darf man den Albumtitel "A Time To Love" verstehen, der immerhin das menschliche Grundbedürfnis Liebe mit der Zeit, dem am schwersten zu verstehenden Abstraktum überhaupt zusammen bringt?

Einen flotten Quickie hat Stevie Wonder jedenfalls nicht im Sinn, das macht schon die Eröffnung seines ersten Albums seit zehn Jahren klar. Im leicht funkigen Midtempo-Track "If Your Love Cannot Be Moved" verhandelt er mit Feature-Partnerin Kim Burrell die Bedingungen der Liebe, die nur dann gelingen kann, wenn sie keine Lüge und nichts Falsches neben sich duldet.

Im Vergleich zu aktuellen Soul/R'n'B-Veröffentlichungen wirkt dieser Opener absolut zeitgemäß produziert. Trotzdem strahlt er deutlich den Charme des Natürlichen und Handgemachten aus, ein Blick in die Credits bestätigt den Eindruck, dass hier nicht Samples sondern echte Streicher und echte Trommler am Werk sind.

Der Folgetrack "Sweetest Somebody I Know" steht zwar auf einem festen Fundament aus satten Keyboard-Bass-Sounds, doch das verträgt sich bestens mit den 'echten Instrumenten', die diesem wie den folgenden Stücken eine warme, den Sinnen schmeichelnde Färbung beigeben, etwa der Klarinette, dem Klavier (in "Moon Blue") oder der Mundharmonika. Womit auch das Eingangsrätsel gelöst wäre: anders als in dem weithin bekannten Hit "I Just Called To Say I Love You" kommt Stevie diesmal lieber gleich selbst vorbei und hält seiner Liebe ein Ständchen.

Schon ab Track zwei nimmt Wonder das Tempo im Vergleich zum Opener noch einmal deutlich zurück, und auch das wirkt bei ihm völlig natürlich. Mit Ausnahme von drei etwas flotteren Stücken ("If Your Love Cannot Be Moved", "So What The Fuss" und "Positivity") hat "A Time To Love" eigentlich ausschließlich Balladen zu bieten. Nur dass diesen bedächtigen Liedern jede Sentimentalität abgeht - da gibts keinen Druck auf die Tränendrüse und keinen Schmalz. Dieser verhaltene, zögerliche Rhythmus kommt offenbar von ganz innen heraus und hat wiederum nichts Falsches an sich.

Sicherlich bleibt Wonder sich mit diesem Album vor allem selber treu, den Moden des aktuellen R'n'B zeigt er weitgehend die kalte Schulter. Während sich in den Texten ein idealistisches Verständnis der Liebe zeigt, dem die Reduktion auf das Körperliche oder auf Techniken des Sex durchweg fremd ist, legt der Musiker bei der Umsetzung größten Wert aufs Handwerkliche. Zu einer Reduktion der Liebe will Wonder sich nicht herablassen, sie bedarf des hehren Anspruches genau so wie der Leidenschaft im Detail. Vielleicht darf man also den Albumtitel auch so verstehen, dass die Liebe ihre Zeit braucht. Oder um es mit einem Sprichwort zu sagen: Gut Ding will Weile haben.

Trackliste

  1. 1. If Your Love Cannot Be Moved
  2. 2. Sweetest Somebody I Know
  3. 3. Moon Blue
  4. 4. From The Bottom Of My Heart
  5. 5. Please Don't Hurt My Baby
  6. 6. How Will I Know
  7. 7. My Love Is On Fire
  8. 8. Passionate Raindrops
  9. 9. Tell Your Heart I Love You
  10. 10. True Love
  11. 11. Shelter In The Rain
  12. 12. So What The Fuss
  13. 13. Can't Imagine Love Without You
  14. 14. Positivity
  15. 15. A Time To Love

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10 Kommentare

  • Vor 18 Jahren

    Hab mir die CD doch zugelegt. Wegen der Beteiligung von Paul McCartney hatte ich nämlich die Befürchtung, daß es so in die Richtung von "Ebony & Ivory" geht. Aber die hat sich zum Glück nur teilweise bestätigt. "How Will I Know" (im Duo mit Tochter Aisha Morris) ist eine schöne Piano-Jazzballade, die Single "So What The Fuss" tatsächlich der Knaller des Albums und mein persönlicher Favorit ist "My Love Is On Fire" - wegen des rhythmisch wunderbar vertrackten Bass-Grooves. Passagenweise wird es aber wirklich arg harmoniesüchtig und gefällig (Passionate Raindrops, Shelter In The Rain, Can't Imagine Love Without You). "Liebe" ist ja eine feine Sache, aber sie muss nicht nach Himbeerbonbons schmecken.

    Die Liste der Beteiligten ist schier endlos. Ich höre nur sehr wenig aktuelle R&B-Musik, kenne also - abgehen von so bekannten Namen wie Prince oder India.Arie - die meisten ohnehin nicht. Für mich liegt das Album irgendwo zwischen seiner Siebziger-Jahre-Musik und der Pop-Phase in den Achtzigern.

  • Vor 18 Jahren

    Interessant ist vielleicht noch der WorldMusic-Einfluss auf dem Album. Es wurden eine Reihe asiatischer Perkussionsinstrumente verwendet. Geht aber meiner Meinung nach zu sehr in der insgesamt aufwändigen Produktion unter. Demgegenüber finde ich die Mischung Bossa-Nova-Feeling mit Stevie Wonders exzellentem Mundharmonika-Spiel in Titel 2 (Sweetest Somebody I Know) ganz schön.

  • Vor 18 Jahren

    Klingt auf jeden Fall so, als ob ich's mir mal anhören müsste. Hab irgendwie von Stevie eigentlich gar nix mitgekriegt die letzten Jahre.

    Wenn das stimmt mit dem "zwischen den 70er-Dingern und den 80er-Würsten" müsste es mich eigentlich immer schön abwechselnd abwechselnd erheben und dann mit umbringen.

    :D

  • Vor 18 Jahren

    @venom («
    Dass India.Arie beim einen Stück mitsingt hab ich allerdings irgendwie verpasst. »):

    Im Titelsong ("A Time To Love"). Der kommt aber erst ganz am Ende der CD.

  • Vor 18 Jahren

    Wahrscheinlich hab ich den nicht wirklich gehört, hab's mir heute nochmal angehört. Freut mich für India.Arie, dass sie zu dieser Gelegenheit kam... ich glaub, viele grössere Träume hatte sie nicht. :)

    Gelungen ist das Album in der Tat, aber trotzdem ... das ist mir manchmal doch etwas zu poppig. Während ich den jüngeren Stevie wirklich liebe bleibts hier bei'ner etwas verhaltenen Zuneigung. ;)

  • Vor 18 Jahren

    "A Time to love" ist sooo wunderbar.

    Ein Spread Love-Song,natürlich pathetisch aber durch und durch authentisch.Bei den 9:16 min ist keine Sekunde zu lang.Der Gefühlsausbruch in der Mitte ist schön:trusty:Und dann wird World Music zelebriert.

    Das Album wächst und wächst.....:)