laut.de-Kritik
Nachschub für Menschenfeinde mit Geschmack.
Review von Stefan MertlikDoz9 und Torky Tork machen unter dem Tag-Team-Namen T9 Boom bap wie früher. Aber Vorsicht: Diese Rucksackträger sind alles andere als Deutschraps gutes Gewissen. T9 klingen auf "Maestro Antipop" schlimmer als die kleinkriminelle Straßenrap-Fraktion. Nichts und niemand ist den Berlinern auf den 52 Minuten heilig – schon gar nicht deine Mutter.
Chuck Palahniuk schrieb 1996 "Fight Club", das drei Jahre später mit Brad Pitt und Edward Norton verfilmt wurde. T9 widmen dem Schriftsteller eine nach ihm benannte Menschenfeind-Hymne, die als blutiger Höhepunkt das Album beendet: "Schlagring, Totschläger, Topfer, jeder darf mal / Ekstasen, am Tatort / Mann am Boden, atmet noch / hustet nur ein bisschen Blut / Hassmaske hochziehen, grundlos ins Gesicht rotzen / Tellerpupillen, Hass drin, schnelle Knüppel entstellen zum Krüppel / just für das Amusement".
Die 17 vorherigen Stücke bereiten langsam auf den Gewaltexzess vor. Bevor der gezielte Schlag auf die Zwölf kommt, heizt Doz9 die Stimmung mit aggressiven Sprüchen an. Sprüche, die nicht per se beleidigend oder brutal sind, sondern das Gegenüber als Vollidioten entlarven. Zumindest empfindet das der Hater aller Zahnarztsöhne so: "Erzähl mir nichts übers Mann sein, Pussy / Legenden aus zweiter Reihe, google das, google das".
Dass sich Audio88 und Said bei misanthropischer Underground-Mucke wohlfühlen, überrascht nicht. Mit einem Megaloh im Level-Eight-Modus und Flo Mega liefern aber auch zwei Mainstream-Musiker Gastbeiträge ab. Auf Torky Torks zeitlose Bummtschack-Beats können sich eben alle einigen. Und so packen T9 und Flo Mega in einem Themensong über einfach gestrickte Männer die fast schon harmlose Ironiekeule aus: "Ich bin Einzelgänger und lauf der Herde nach / pumpe im SUV laut die Air-Play-Charts / verdiene ziemlich okay, hab fast nichts zu tun / definier' mich selbst mit einem Gesichtstattoo".
Auch auf "Maestro Antipop" hatte Torky Tork mehr Ideen als nur minimalistische Samples unterlegt mit harten Kick- und Snaredrums. "Tiffmord" verwurstet ein Handy-Störgeräusch, "Kanye West" bietet mit afrikanischen Trommeln rhythmische Abwechslung, beim Westcoast-Vibe von "Lobi" wartet man nur auf den Nate Dogg-Einsatz und "Prosecco Boogie" ist Achtzierjahre-Funk mit Ohrwurm-Hook. "Maestro Antipop" beweist, dass Untergrund weder eintönig, noch spaßbefreit sein muss. Das betrifft auch die Texte.
Wenn Doz9 austeilt, springt er von Referenz zu Referenz. Wer nicht genau hinhört und gegebenenfalls nachschlägt, ist verloren. Das macht allerdings den Reiz der herrlich ignoranten Zeilen aus.
In Zeiten, in denen Chartsplatzierungen, Instagram-Follower und Modus-Mio-Playlisten mehr Wert sind als Attitüde, erfüllt "Maestro Antipop" seinen Zweck. Wer die Eltern in der Jugend mit Aggro Berlin schockte, fühlt sich zwischen Bürojob und Feierabend bei T9 wohl: "Das hier ist der Track für deine Mama / er handelt über Sex mit deiner Mama / das ist alles echt mit deiner Mama / im Gegensatz zu dir hab ich Respekt vor deiner Mama".
7 Kommentare mit 5 Antworten
Vor zwei Wochen hatte ich einen weiteren Tiefpunkt. Ich habe nur noch in Form von ich bin Jacks FC Zitaten kommuniziert
Juhu, endlich eine T9 Review. Gutes Ding, mit jedem Album fetter so wie Abdi Süd. 4/5 ist okay, eines meiner Highlights dieses Jahr.
Sehr gutes Album!
Wenn ich nichts vergessen habe, wohl das beste Deutschrap Album 2019, so far. 2-3 Thementracks (vor allem Chuck Pahlaniuk) hätte man gerne noch runternehmen können, aber dafür serviert Torky einfach krasse Beats und mittlerweile ist Deutschrap oft einfach auch angenehmer, wenn man nich konstant mitbekommt, worum es geht. Fenster, Gekkos Lobi und Kanye West sind Hits.
Wird mit mehrmaligen hören immer besser und besser. 5/5, Album des Jahres, bis jetzt.
Gefällt mir sehr gut. Doz hat auch unter Deutschraps Kryptikern mMn noch einen Sonderstatus, sehr eigenwilliger Style. Kommt im Verbund mit den gerade auf der ersten Hälfte dieses Albums extrem starken Beats hervorragend. Hintenraus fehlt dann für meinen Geschmack ein bisschen diese Eingängigkeit, tendiere daher eher zu 4. 5 wären aber sicher auch vertretbar. Eben nochmal nachgesehen - jo, das dürfte aus diesem Jahr, Land und Genre auch mein Spitzenreiter sein.
Ich finde eher den Mittelteil gewöhnungsbedürftig und Chuck Palahniuck ist halt ein Flop. Zwischen Fly und Lunge liegen für mich die meisten Highlights.
Ich fand anfangs auch die Platte zum Ende hin schwächer, nach vielen Durchgängen hat sich das aber gelegt. Highlights über Highlights, sowohl musikalisch als auch textlich. Chuck Palahniuck finde ich auch "gut", es ist hässlich und eklig, die Atmosphäre ist sehr dicht, der Track zerstört konsequent alle Freude, die man zuvor mit dem Album hatte. Es macht das ganze Album so viel stärker.
Apropos Lunge: finde ich auch sehr stark, ist das eigentlich torky, der dass da säuselt, oder ist das ein Sample?
@Kubi: Sind ja auch zwei Tracks drauf, die ich inhaltlich im Themenspektrum unserer kürzlichen Unterhaltung verorte, Portemonnaie und Hubschrabschrab.
Mittelteil heißt dann Prosecco Boogie und Hubschrabschrab? Nee, die gehen doch (für Doz9-Verhälntisse) direkt ins Ohr.
Fenster, Junkz 2 und Tabulos dafür auch beim zehnten Durchgang eher an mir vorbei (die Tracklist ist auf Vinyl ein bisschen anders gereiht). Richtige Highlights sind auch das Lakmann- und das Megaloh-Feat. für mich eher nicht. Ich bin aber irgendwie allgemein kein so großer Fan der beiden, wie ich es den Rahmenbedingungen nach eigentich sein müsste. Und CP als Schlussakt fremdelt (sicher nicht unbewusst) schon arg mit dem Rest des Albums.
Dass die Scheibe auch auf diesen letzten Umdrehungen noch gut Anreize bietet, sich ein bisschen eingehender damit zu befassen, unterschreibe ich aber definitiv. Werde das entsprechend bestimmt noch ein Weilchen machen. Wer weiß, vll. bin ich dann zum Jahresende auch bei der Höchstpunktzahl?
Nachtrag @Großi
Ja, und zwei besonders gelungene noch dazu. Hier ist mir, auch jenseits großer Zeilen wie "Alles für die Asche, bis zur Urne", dann auch der Grundtenor differenziert (sprich: windelweich) genug
Kubischi: Genau dieses Eingängige geht mir manchmal gut rein und manchmal eher auf den Sack. Das kryptische Dozsche Gefasel auf Torky Torks Meisterbretter läuft hingegen immer gut rein. Ich finde halt auch die Thementracks, die ein ganz klar erkennbares Thema haben, textlich am schwächsten. Sowas wie einfacher Mann, kann man zweimal hören und dann skippen. Die Wandl Dinger sind schon wieder ein anderes Kaliber, weil deutlich verrückter. Und bei Fenster finde ich den Beat zusammen mit dem Said Feature einfach nur unglaublich groß.