laut.de-Kritik
Eine Überdosis Adrenalin gegen den Winterschlaf.
Review von Thomas KlausUnderstatement wird auf den handelsüblichen Waschzetteln der Plattenfirmen seit jeher klein geschrieben. Auch im Fall der Newcomer von The Airborne Toxic Event wird in der Gebrauchsanweisung nicht gerade gekleckert. Eine Mischung aus Radiohead, Arcade Fire und Modest Mouse wird uns da versprochen – kleine Brötchen werden anders gebacken.
Nun sind derlei Vergleiche ein zweischneidiges Schwert: Einerseits wird umgehend die Neugier geweckt, andererseits werden leichtfertig exorbitante Erwartungen geschürt, die kaum eine Band erfüllen kann.
Doch spätestens, wenn sich das unter pumpenden Bassdrumkicks beständig steigernde Intro des Openers "Wishing Well" in einem geballten Indierock-Freudentaumel entlädt, wird die reservierte Skepsis von der opulenten Orchestrierung kurzerhand weggeblasen. Diese Jungspunde aus Kalifornien können eingangs erwähnten Ausnahmeartisten tatsächlich das Wasser reichen - wenn man Radiohead einmal ausklammert, die in ihrer eigenen Liga spielen.
The Airborne Toxic Event sind von einer ähnlich fiebrigen Hyperaktivität wie Modest Mouse infiziert und versprühen diesen eigentümlichen Charme aus überbordender Euphorie und tiefer Tristesse, den man an Arcade Fire so schätzt. Getrieben von nicht unbegründetem Weltschmerz trotzt das Quintett der lähmenden Lethargie und weckt uns mit einer durchschlagenden Überdosis Adrenalin aus dem Winterschlaf.
Mit "Gasoline" bringen sie auch gleich den überzeugendsten Eisbrecher des noch jungen Jahres aufs Parkett, der mitsamt Ohrwurm-Refrain noch lange in den Indiedissen eures Vertauens nachhallen könnte. Und wer beim folgenden "Happiness Is Overrated" noch nicht auf der Tanzfläche steht, der hat auch noch geschrubbt, als in Villabajo schon gefeiert wurde.
"Sorry. I really lost my Head" singt Mikel Jollet aus voller Kehle. "Dito!", will man ihm in taumelnder Verzückung zurückschreien. Weshalb sonst lässt man sich denn morgens um drei Uhr bitteschön sonst unter der Diskokugel dusselig spielen?
The Airborne Toxic Event kommen hier unerwartet mit den vielleicht zwingendsten Gitarrenhooks seit dem furiosen Debüt von Franz Ferdinand um die Ecke. Auch in rhythmischen Belangen macht dieser elektrisierende Beatbastard keine Gefangenen – die Parole lautet überwiegend Uptempo, was von der solide und versiert agierenden Bass- und Schlagzeugabteilung auch über die Gesamtspielzeit von knapp 38 Minuten unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird.
Der Sänger überzeugt dazu mit variabler Stimmbandbreite und meistert souverän jegliche Zwischentöne auf der Emotionalitäts- und Intensitätsskala. Alle Achtung vor solch einem musikalisch abgezockten Erstlingswerk. Die Hochschulreife haben die Amis locker bestanden, zum Diplom fehlt vielleicht noch ein Fünkchen mehr Eigenständigkeit.
2 Kommentare
Saugute Scheibe das, 5 Punkte von mir.
Den Vergleich mit Radiohead kann ich aber nicht nachvollziehen. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass RH zu den am meisten überschätzten Bands der Musikgeschichte gehören.
Zufällig vor ein paar Jahren Sometime Around Midnight gehört und sofort das Album besorgt. Ich hab es nie bereut.