laut.de-Kritik

Ein sensorischer Overload: Pop ist überall und nirgends.

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The Armed sind besessen von Popkultur. Für sie bedeutet Popkultur nicht der kleinste gemeinsame Nenner der breiten Masse, sie ist in jedem Genre omnipräsent. Angefangen bei ikonischen Popstars wie Dua Lipa oder Lady Gaga bis hin zur Geschichte des Blastbeats, der als brachiales Untergrund-Phänomen begann, aber irgendwann mit System Of A Downs "Chop Suey" seinen Weg an die Chartspitze fand, und nun aus sämtlichen Spotify- Workout-Playlists nicht mehr weg zu denken ist: Was früher subversiv war, ist heute die Norm.

Besonders im extremen Metal, einem Genre das früher für Entrüstung sorgte, rebellisch war und gegen den Strom schwamm, erreicht diese Stagnation seit Jahren ein neues Hoch. "Terrorizer made a cool grindcore album in 1989, do we really need the same one 30 years later from 500 other bands?", zitiert das Revolvermag ein Bandmitglied. Diese "Rebellion" gegen den Status Quo der Popmusik ist mittlerweile so ausgeleiert, dass man sie auf eine Art selbst als Pop bezeichnen kann. "Ultrapop" wenn man so will. So die Theorie hinter dem dritten Langspieler des amerikanischen Kollektivs The Armed.

Die Band selbst ist schwer zu fassen. Seit ihrer Gründung versuchen sie mit beeindruckender Kreativität und Konsequenz die Erwartungen der Öffentlichkeit zu unterwandern, die Subversion auch außerhalb ihrer Musik Aufrecht zu erhalten. Wer in der Band spielt ist (bis auf wenige Ausnahmen) nicht wirklich bekannt. Zu Interviews schicken sie Doppelgänger oder treten in verkehrter Rollenverteilung und unter falschen Namen auf. Fürs Promomaterial lassen sie wild zusammengewürfelte Models ablichten, und der vermeintliche Mastermind hinter all dem, Dan Greene (womöglich ein Pseudonym), führt über einen Discord-Server einen ironischen Kult mit dem Namen "The Book Of Daniel".

Wer in der Gruppe spielt, ist irrelevant, die Musik soll für sich stehen, und die Leistungen der einzelnen Mitglieder überdauern, so die Prämisse. Ironischerweise bescherte die spezielle Selbstinszenierung der Band binnen weniger Jahre ein kultgleiches Following, eifrig wird daran gearbeitet den Code hinter all dem zu knacken, die Identitäten der Mitglieder zu enthüllen. In den letzten Jahren wurden unter anderem Namen wie Converges Kurt Ballou, Andrew W.K. oder gar Tony Hawk in den Ring geworfen.

Was macht man also als The Armend, um dem entgegenzuwirken? Man kommt den Fans zuvor, veröffentlicht eine vollständige Liste aller Kollaborateure, die an ihrem neuen Album "Ultrapop" beteiligt sind und lichtet sie für alle gut erkenntlich in einer Live-Performance der Single "All Futures" ab. Und das Line-up hat es in sich. Ballous Involvement bestätigt sich, dazu gesellen sich unter anderem Ben Koller (Converge, Killer Be Killed etc.) an den Drums, QOTSA-Gitarrist Troy van Leeuwen, Chelsea Wolfe an der Seite des Produzenten Dan Greene, METZ-Gitarrist Chris Slorach und Grunge-Altmeister Mark Lanegan. Eine Liste bei der jedem Fan der härteren Gitarrenmusik das Wasser im Munde zusammen läuft. Dabei kann man sich angesichts der Geschichte der Band nicht mal zu hundert Prozent sicher sein, ob die Genannten tatsächlich involviert sind.

Fakt bleibt, dass die Band mindestens neun Mitglieder umfasst, und der "Ultrapop", den sie spielen, tatsächlich hält, was er verspricht. Der dritte Langspieler der Amerikaner kommt einem Konglomerat aus ohrenbetäubendem Post-Hardcore und so ziemlich allem, was man nicht erwarten würde, gleich. Synth-Pop, Shoegaze, Mathcore, Indie-Rock, Electronica: Alles dabei, begraben unter einer Wand aus komprimierten Sounds, man droht förmlich, verschüttet zu werden.

Das erinnert bei Songs wie "Masunaga Vapors" oder "Big Shell" an das unbändige Chaos von Dillinger Escape Plan, auf "All Futures" an den rotzigen Punk der Idles, und auf der Hymne "Bad Selection" sogar ein Stück weit an die Synthpop-Ausflüge von Muse. Diese Vergleiche werden dem Sound der Platte jedoch nur bis zu einem bestimmten Grad gerecht, denn die Instrumentierung mit der The Armed ihr Songwriting befeuern widersetzt sich jeder Kategorisierung. Mindestens vier Gitarren, zwei Schlagzeuge und ein kaum auszumachender Bass verschmelzen über 40 Minuten Laufzeit zu einem sensorischen Overload, den man bisweilen nur noch als Krach wahrzunehmen vermag.

Dass dennoch jeder Song vollkommen für sich steht und eben letzten Endes doch mehr ist, als nur Tinitus auslösender Nonsens, ist den Melodien geschuldet, die man erst nach mehreren Durchläufen annähernd zu Greifen vermag. Unter dem alles erstickenden Strudel aus Lärm, finden sich eingängige Mitgröhl-Hooks, Synth-Lines aus Top-40 Pop-Songs, und ebenso apokalyptische wie verzaubernde Klanglandschaften.

Und wer die Geduld hat, danach zu graben, der wird auf eine Art und Weise belohnt, die in ihrer Nachhaltigkeit dieses Jahr vielleicht unerreicht bleiben dürfte. Denn wenn sich Genialität von "Ultrapop" erst mal in der Ohrmuschel zu entfalten beginnt, wird man sie so schnell nicht mehr los.

Auch lyrisch bleiben The Armed ihrer schwer festzumachenden Linie treu und bleiben kryptisch und vage. Es finden sich Referenzen an systematische Unterdrückung, digitale Fassaden, künstlerisches Eigentum und der Frage nach der eigenen performativen Identität. Befasst man sich mit der Geschichte hinter den Texten, etwa der Inspiration durch den französischen Kunstdieb Stephane Breitweiser auf "Masunaga Vapors" (der Titel selbst bezieht sich auf einen Zeichner der Anime-Serie Dragon Ball Z), bekommt man zwar ein besseres Verständnis dafür, wird aber das Gefühl nicht los, dass einen The Armed wieder einmal an der Nase herumführen, und die Suche nach einem lyirsch konsequenten Überbau am Ende vergebens bleibt.

Von der ersten bis zur letzten Sekunde schafft es "Ultrapop" Haken zu schlagen und allen Hörer*innen im Minutentakt neue tonale Herausforderungen vor den Latz zu knallen. Das Album wirft all seine Inspirationen und Sounds in eine Arena und lässt sie Song für Song im Kampf bis zum Tod gegeneinander antreten. Mal gehen die etwas zugänglicheren Elemente aus Pop und Punk als Sieger hervor ("Ultrapop", "An Iteration", "Bad Selection"), mal werden sie von den alles verschlingenden Blastbeats und kreischenden Mathcore-Gitarren gnadenlos zu Brei geschlagen ("Big Shell", "Real Folk Blues"). Beeindruckend ist jedoch, dass, egal wie viel verschiedenen Sounds Raum zum Atmen haben, das Album als Ganzes nie auseinanderzufallen droht.

Das Cover von "Ultrapop" erinnert an die genormte Ästhetik zahlloser uninspiriert zusammengewürfelter Spotify-Playlisten, sorgfältig sortiert nach Genres und Subgenres. Subgenres, die laut Dan Greene die Antithese zur künstlerischer Freiheit darstellen. Insofern könnte das Cover nicht passender gewählt sein, denn "Ultrapop" selbst ist die Antithese zu jeglicher Konformität und Erwartungshaltung.

Wer hier mit einem Pop-Album rechnet, wird ebenso vor den Kopf gestoßen, wie der, der ein Metal-Album erwartet. "It's the harshest, most beautiful, most hideous thing we could make", sagt Dan Greene und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Am Ende ist Pop überall und nirgendwo, und The Armeds Version davon treibt dieses Konzept auf die absolute Spitze.

Trackliste

  1. 1. Ultrapop
  2. 2. All Futures
  3. 3. Masunaga Vapors
  4. 4. A Life So Wonderful
  5. 5. An Iteration
  6. 6. Big Shell
  7. 7. Average Death
  8. 8. Faith In Medication
  9. 9. Where Man Knows What
  10. 10. Real Folk Blues
  11. 11. Bad Selection
  12. 12. The Music Becomes A Skull (feat. Mark Lanegan)

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