laut.de-Kritik
It's Only Rock'n'Roll (But I Like It): Elektrisierende Werkschau mit sensationellem Cameo-Auftritt von Bob Dylan.
Review von Dominik KautzAls größte und dienstälteste Rock'n'Roll-Band der Welt verstehen es die Rolling Stones meisterhaft, aus ihren Konzerten ekstatische Massenspektakel von wahrhaft gigantischen Ausmaßen zu machen. Die Tourneen zu den 1994 und 1997 veröffentlichten Alben "Voodoo Lounge" und "Bridges To Babylon" sind folglich die weltweit mit Abstand erfolgreichsten jenes Jahrzehnts. Live funktionieren die Stones eben immer am besten, nicht nur im Stadion, sondern auch in Film-Form an den heimischen Bildschirmen.
Erst im Juni erschien mit "Bridges To Bremen" der Mitschnitt ihres 1998er-Gastspieles im dortigen Weserstadion. Jetzt gruben sie erneut in den Archiven und veröffentlichen mit "Bridges To Buenos Aires" das filmische Dokument zum damaligen Auftakt ihrer Tour durch Südamerika. Vom 29. März bis zum 5. April 1998 spielten die Stones vor insgesamt 272.000 Zuschauern fünf restlos ausverkaufte Konzerte in der argentinischen Hauptstadt im historischen River Plate-Stadion, auch bekannt unter dem Namen El Monumental. "Bridges To Buenos Aires" konzentriert sich ausschließlich auf das letzte der fünf Konzerte und zeigt dabei eine Band, die vor Spielfreude förmlich birst.
Dass es der Gig in sich hat, machen bereits die ersten Sekunden des Filmes klar. Unmittelbar nach einer explosiven Pyro-Salve vor der mittig über dem massiven, von Architekt Mark Fisher entworfenen Bühnenapparat thronenden Leinwand, startet Oberpirat Keith Richards mit dem ikonischen Eröffnungsriff von "(I Can't Get No) Satisfaction" die Show und kann sich angesichts des Jubels der dicht auf dicht stehenden und von Beginn an frenetisch mitfeiernden Zuschauer ein vielversprechendes Lächeln nicht verkneifen.
Chefdompteur Mick Jagger, der seine Kleidung im Verlauf des Konzertes wechselt wie Richards zigarettenrauchend seine Gitarren, hüpft, springt und fegt derweil wie ein Derwisch über die Bühne. Während Jagger das Publikum mit seiner raumfüllenden, divenhaften Stagepersona zu Höchstleistungen animiert, lässt es Ronnie Wood, selbstredend ebenfalls mit obligatorischer Kippe im Mund, an der zweiten Gitarre erst einmal locker angehen. Schlagwerker Charlie Watts gibt dazu gemeinsam mit Tour-Basser Darryl Jones präzise wie ein Schweizer Uhrwerk den Takt an. Energetischer kann ein Konzert kaum starten.
Mit "Flip The Switch", dem Opener von "Bridges To Babylon", tritt der 2014 verstorbene Saxophonist Bobby Keys erstmals ins Rampenlicht. Sein ausdrucksvolles Spiel wirkt enorm bereichernd. Das gilt auch für Background-Chanteuse Lisa Fischer, die sich an diesem Abend mit ihrer grandiosen Stimme vor allem im ausgedehnt-elektrisierenden "Gimme Shelter" in absolut bester Verfassung zeigt und darüber hinausgehend zusammen mit Jagger über den Verlauf des gesamten Konzertes für eine spannungsgeladene Mischung aus Sex und knisternder Erotik auf der Bühne sorgt.
Nach dem ruhigen "Sister Morphine", für das sich Jagger eine akustische Gitarre um den Hals hängt, und dem furiosen "It's Only Rock'n'Roll (But I Like It)" folgen mit "Out Of Control" sowie "Saint Of Me" zwei weitere Songs aus "Bridges To Babylon". Vor allem letzterer erweist sich dabei als absolut zuschauertauglich - einen der Refrains lässt Jagger komplett ohne Bandbegleitung von den Fans singen, erhebt das Publikum so für kurze Zeit zum Protagonisten des Konzertes und schafft so einen durchdringenden Gänsehautmoment.
"Bring a case of Argentinian wine / we're gonna have a motherfuckin' good time", dichtet Jagger Zeilen des Textes des auf fast zehn Minuten erweiterten "Miss You" um. Fast könnte man meinen, es handele sich hier um eine kryptische Ankündigung des Höhepunktes der finalen Buenos Aires-Show. Ohne jegliche Vorstellung betritt der ewig schief näselnde Folk-Barde Bob Dylan aus einem dunklen Bühneneck heraus zu einem kurzen, aber sensationellen Cameo-Auftritt für das erstmals seit dieser Tour im Repertoire befindliche "Like A Rolling Stone" den Ort des Geschehens.
Dabei scheint der Grantler und Urheber des 1965 geschriebenen Songs, der vor dem Gig der Stones bereits selbst als Co-Headliner spielte, durchaus Spaß gehabt zu haben: Nach seinem Gastspiel und darauf folgenden leidenschaftlichen Handschlägen mit Wood und Richards verlässt er die Bühne wieder, lächelnd. Das Publikum goutiert die gelungene Überraschung mit begeistertem Applaus. Dazu hat es auch jeden Grund. Die Gelegenheiten, zu denen Dylan seinen Song gemeinsam mit den Stones auf der Bühne zum Besten gab, blieben durchaus rar gesät.
Wie bei jeder Show der "Bridges To Babylon"-Tour, so steht auch inmitten des Zuschauerraums des River Plate-Stadions eine kleine B-Stage, die den britischen Rockern zur direkten Tuchfühlung mit dem Publikum dient und die nur über einen freitragenden, mechanisch ausfahrbaren Steg von der Hauptbühne aus betretbar ist. Lediglich begleitet von Darryl Jones und Keyboarder Chuck Leavell spielen die Stones dort eine sehr reduziert dargebotene Performance, bestehend aus "When The Whip Comes Down", "You Got Me Rocking" sowie dem Chuck Berry-Cover "Little Queenie". An Höhepunkten und ausgefuchsten Ideen mangelt es dem Spektakel wahrlich nicht.
Hinsichtlich der als triumphale Werkschau dienenden Setlist zeigt sich der Rock'n'Roll-Zirkus insgesamt allerdings leider wenig risikofreudig. The Show Must Go On! Vor allem in der zweiten Hälfte des Konzertes dominieren alterprobte Klassiker wie "Jumpin' Jack Flash", "Tumbling Dice" (inklusive cineastischem Special Effect in Form einer das Griffbrett filmenden Mini-Kamera an der Kopfplatte von Woods Gitarre) oder das mitreißende "Honky Tonk Women", bei dem Richards urplötzlich neben Leavell steht und mit einer Hand wild auf dessen Klaviatur einhackt, während er mit der anderen Hand seine Gitarre bedient.
Auch wenn es im Katalog der Rolling Stones bereits einige Konzertfilme gibt, beweisen sie mit ihrer zehnköpfigen Begleitband auf dem hervorragend klingenden "Bridges To Buenos Aires" erneut, dass die Bühne der Ort ist, an dem sie sich am wohlsten fühlen. Die einzigen Mankos am Film sind die zum Teil doch sehr hektisch wirkenden Schnitte, die manchmal ein wenig stören, und die etwas körnige Bildqualität.
Auch das Booklet könnte etwas ausführlicher und liebevoller gestaltet sein. Außer einigen Screenshots aus dem Film und wenigen Fan-Memorabilia liefert Publisher Eagle Rock hier herzlich wenig. Das geht für ein Release zum Vollpreis in jedem Falle besser, zudem das Veröffentlichungsdatum mit Hinblick auf das kommende Weihnachtsgeschäft durchaus ein kleines Geschmäckle hat. Aber: "You Can't Always Get What You Want". Über das dem Alter der Aufnahmen geschuldete 4:3 Format sieht man nach kurzer Eingewöhnungszeit man gerne hinweg, immerhin hat der Film bereits 21 Jahre auf dem Buckel.
Was die Stones jedoch spieltechnisch auf "Bridges To Buenos Aires", getragen von ihren herausragenden Qualitäten als Liveband sowie der exzellenten Chemie zwischen ihnen und dem total aus der Haut fahrenden argentinischen Publikum über 140 Minuten an Leistung auf die Bühne bringen, ist ganz großes Kino. Der explosiven Energie kann und will man sich auf diesem Zeitdokument nicht entziehen. Egal, ob man damals selbst auf der Tour war oder nicht. Egal, ob man nun Fan ist oder nicht.
4 Kommentare mit 7 Antworten
Endlose Langeweile, Endlose Geldmacherei. Aber man muss ja nicht kaufen
So siehts aus
wird ja wohl auch bald ein ende haben.
nicht jeder ist ein jopi hesters.
Keith Richards ist der lebende Beweise, dass Drogen doch nicht so schlecht sein können.
Musikgeschmack ist Gott sei Dank jedem sebst überlassen.
Man muss den alten Herren aber eingestehen, dass sie mehr Menschen in die Konzerte bringen als jeder heute sogenannte Super-Star. Und vor allem machen sie Ihre Musik nicht nur wg. der Kohle. Da ist immer noch viel Herzblut drin und sie sind warhaftige Vollblutmusiker, von denen es heute nicht mehr viele gibt.
Das Geld welches sie verdient haben, können sie in ihrem Leben nicht mehr ausgeben und die Nachkommen dürfen auch bis ans Lebensende gut davon leben.
Die Drogen sind Geschichte, die gehörten damals (bei manchen Superstars auch noch heute) dazu.
Damals, als Männer noch richtige Männer waren und Frauen wußten, wo sie hingehörten. Die Jugend von heute weiß ja gar nicht, was richtige Musik ist.
jaja genau. und am ende kauft ihr es doch und seid dankbar, weil ihr ein weihnachtsgeschenk für eure väter habt, von denen ihr euch entfremdet fühlt und nur selten seht und die sich seit jeher für euch schämen
die Stones stehen natürlich als wenige die durchgängig ihre Musik gemacht haben; besonders an dieser Phase war, dass sie live musikalisch begannen den Sinkflug anzugehen, der auch noch durch den Scorcesee Film dokumentiert wurde. Besonders die beiden Gitarreros stachen durch jede Menge falsche Töne, gurkige Solos ua. hervor. Liefer erkannte man oft erst am Untertitel oder wenn Charlie seinen typischen beat anschlug. Bill Wyman ist auch leider nicht mehr da, und damit seine tollen Basslinien. Insgesamt muss man sagen, dass insbesondere Ronnie seit dem Entzug und auch Keith in den letzten Jahren wieder stark geworden sind. Das hätte ich so nicht erwartet.
Werkschau? Ok, eigentlich kennt man von den Stones doch alles, brauch ich da noch eine?
Elekrisierend? Mick Jagger lief wie seine eigene Maske, gerade am Anfang, über die viel zu große Bühne. Anmerkung, zu dem Zeitpunkt war er erst 54 Jahre alt. Das Alter sah man ihm wirklich nicht an! Keith, hält sich wie immer an die Formel, schlechter Gitarrist spielt beste Riffs des Rock. In seinem Schatten Ronnie, besserer Gitarrist spielt die zweite Geige. Charlie Watts, stoisch? Muss man mehr sagen?
Sensation? Bob Dylon und die Sensation, ein Widerspruch in sich! Alles wurde damals noch nicht zur Sensation hoch gepuscht, zum Glück. Influencer, die Hirnies mit breiter Streuung des Begriffs Sensation, nahe an den Hirntod herangeführt haben, gab es zum Glück damals auch noch nicht.
Ansonsten, eine Welt ohne die Stones? Unvorstellbar!!!
Wenn sie nicht mehr sind, wird sich jeder umdrehen !
Ah, wieder etwas Rollator-Rock für die Altersversorgung.