laut.de-Kritik
Auf einem zeitlosen Level an Indie-Perfektion.
Review von Kerstin KratochwillEin Album mit einem zeitlosen Level an Perfektion und hierzulande dennoch kaum bekannt ist: Dieses Label heftet dem erstaunlichen Debüt "Reading, Writing And Arithmetic" der englischen Band The Sundays an, die in den Jahren 1990 bis 1997 drei Alben herausbrachte und zumindest in ihrer Heimat Großbritannien immer die Top Twenty der Charts erreichte. Es ist schimmernd schöner, nahezu himmlischer Dreampop-Indie, den maßgeblich die zwei Masterminds Harriet Wheeler und David Gavurin schärften. Drummer Patrick Hannan und Bassist Paul Brindley sorgten für ein treibendes, tanzbares Rhythmusgerüst.
Die kristallklare, kühle Stimme Wheelers versprühte eine unglaubliche Wärme und Wahrheit zugleich, so dass ihr nachgesagt wurde, sie könne auch das Telefonbuch absingen und die Zuhörerinnen und Zuhörer bekämen eine Gänsehaut. Und Gitarrist Gavurin spielte mühelos in der Liga eines Johnny Marr. Das Duo darf daher als Spiegel der kongenialen Kombi Marr/Morrissey bei den Smiths betrachtet werden. Wie die Indie-Legenden wählten auch The Sundays einen gewöhnlichen Bandnamen, der den Wunsch abbildete, das ganz normale Alltagsleben in die Pop-Welt zu tragen. Allein: The Sundays waren nicht für das Pop-Business gemacht – sie gaben kaum Interviews, waren live unscheinbar und bescheiden. Trotzdem entbrannte nach einem ihrer Auftritte als Vorband eine Art Label-Krieg um die Band, den Rough Trade für sich entschied.
Die Musik wurde in der Presse als faszinierender Missing Link zwischen den arty Cocteau Twins und den angenehmen Cranberries gefeiert sowie als eine eigenwillige Mischung aus Sugarcubes, R.E.M. und natürlich The Smiths – und das Erstlingswerk "Reading, Writing And Arithmetic" ist dann auch nichts weniger als pures Indie-Gold, auf dem wirklich jeder Song ein Instant-Klassiker ist.
Der flirrende fragile Opener "Skin And Bone" bereitet mit seinem unkonventionellen Aufbau auf den vielleicht bekanntesten Track "Here’s Where The Story Ends" vor, eine bittersüße Mischung aus nostalgischer Atmosphäre und unfassbar Ätherischem. Die melancholisch melodische Jangle-Pop-Hymne wurde ein großer Erfolg in den USA und der Clip schaffte es in die MTV-Rotation. Aber auch das catchy wie clevere "Hideous Town" oder das entgegen des süßen Tons bitterböse "I Kicked A Boy" mit britischem Roald-Dahl-Feeling bieten dieselbe Erhabenheit und Eleganz eines klassischen Smiths-Songs – nur dass sie ein Leben in einer Art Parallelwelt zu führen scheinen.
Es ist fast makellose Musik, traumverloren und traumhaft schön, wie ein perfekter Sonntagmorgen ohne Zeitgefühl. Doch während dieser Morgen irgendwann vergeht und verblasst, konserviert "Reading, Writing And Arithmetic" dieses Gefühl in einer musikalisch faszinierenden und ausgefeilten Zeitkapsel. Everyday Is Like Sunday.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
2 Kommentare mit einer Antwort
"Blind" ist besser.
D'accord - und da der Song "Goodbye", schönes Video auf youtube dazu auch.
Was für ein Review!!! Ganz toll geschrieben und sehr treffend. Kompliment Frau Kratochwill!