laut.de-Kritik
Als dem Punk das erste Lächeln ins Gesicht gezaubert wurde.
Review von Kai ButterweckBis zum Jahr 1983 präsentierte sich Punk als ein verrotzter Sound-Knäuel, geboren in dreckigen amerikanischen und britischen Hinterhöfen und in die Welt getragen von rebellierenden System-Gegnern wie Joey Ramone, Iggy Pop, Joe Strummer und Johnny Rotten.
Mit geballten Fäusten, zerschlissener Garderobe und jeder Menge Suff und Drogen im Gepäck schrammelten die Helden der Vergessenen eine Handvoll Akkorde durch die Boxen und verpassten dem Genre einen Stempel mit der Aufschrift: dreckig, laut und unangepasst. Doch dann kamen die Toy Dolls; eine Band, bestehend aus drei kunterbunten Autodidakten, die es sich zur Aufgabe machten, der düsteren und versifften Fassade der Branche einen farbenfrohen Neuanstrich zu verpassen. Fun-Punk war geboren.
Bereits mit ihrem ersten Studiostreich rammen Toy Dolls-Mastermind Michael 'Olga' Algar (Gitarre, Gesang) und seine beiden Mitstreiter Phillip 'Flip' Dugdale (Bass) und Robert 'Happy Bob' Kent (Drums) im März 1983 einen musikalischen Eckpfeiler in den Szene-Boden, der auch Jahrzehnte später noch Fun-Punk-Maßstäbe setzt.
Gleich zu Beginn lassen die drei Spaßvögel aus Sunderland den ersten mit Konfetti gefüllten Punk-Luftballon platzen: "Welcome To The Toy Dolls LP", heißt es aus dem Munde der drei Verantwortlichen, ehe kratzende Kinderlied-Harmonien im Verbund mit groovenden Boogie-Rhythmen den Vorhang fallen lassen ("Them Tune").
Drei Minuten später steht kein Stein mehr auf dem anderen: Ein rasanter Bumtschak-Beat, mühelos folgende Gitarren-Anschläge und eine quäkende Stimme, die klingt, als würde man einen Monty Python-Sprecher während des Vorlesens seiner Texte in eine Helium-Kammer einsperren. Mit dem irrwitzigen Fast Forward-Flitzer "Dig That Groove Baby" verwandeln die Toy Dolls jede noch so mürrisch dreinblickende Punk-Gesellschaft in einen freudig umher pogenden Spaß-Haufen.
Fernab von gängigen Punkrock-Mustern spielen sich die Toy Dolls in der Folge in einen wahren Rausch. Angeführt vom filigranen Gitarren-Gezwirbel ihres spindeldürren Frontmanns serviert die Band einen Fun-Punk-Leckerbissen nach dem anderen. Es gibt keinen Song, der nicht sofort ins Ohr geht. Immer wieder lassen die Briten aus einer Handvoll Akkorde Neues entstehen. Highlights gibt es en masse. Da wären beispielsweise die arachnophobische Party-Pauke "Spiders In The Dressing Room", die Verballhornung des Carl Perkins-Klassikers "Blue Suede Shoes" und natürlich unvergessen: die Geschichte des kleinen Zirkus-Elefanten Nellie. Es gibt wohl keinen Punk-Fan, dem der flüchtige Dickhäuter nicht wenigstens einmal auf irgendeiner Rotz- und Radau-Party begegnet ist ("Nellie The Elephant").
Mit ihrem Debütalbum legen die Toy Dolls den Grundstein für ein Sub-Genre, auf dem Jahrzehnte später Bands wie NoFX, No Use For A Name und Lagwagon die Puppen tanzen lassen, wenngleich keine dieser Bands auch nur ansatzweise mit dem originellen Charme der drei Knalltüten aus Sunderland mithalten kann. Die setzen auch Jahre nach ihrem Erstlingswerk noch Maßstäbe in punkto Spielfreude, Virtuosität und Humor. Allein der turboschnelle Punk-Torpedo "Idle Gossip" aus dem Jahr 1986 oder der Bach-Kniefall "Toccata In Dm" sieben Jahre später, lassen selbst feinmotorischste Gitarren-Alleskönner mit der Zunge schnalzen.
Was flüsterte mir der leider viel zu früh verstorbene The Bates-Frontmann Zimbl einst im Backstage-Bereich des Berliner Knaack-Clubs ins Ohr: "Die Toy Dolls haben dem Punk ein Lächeln ins Gesicht gezaubert." Wahre Worte. Und wer wissen will, welche Kitzel-Attacke die ersten Mundwinkel hochschnellen ließ, der sollte auf Nellies Rücken steigen und mit dem Rüsseltier gen Hindustan aufbrechen. Wer nach dieser Reise noch Trübsal bläst, ist selber schuld.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
8 Kommentare mit 4 Antworten
Der einzige Name in der Meilensteinrubrik, den ich noch nie gehoert habe. Dann lese ich: Spass. Okay, alles klar, ich weiss warum.
FUCK FUN.
Mir war die Stimme zu quäkig. Und im Fun-Punk gabs zu dieser Zeit aus Deutschland wesentlich witzigere und deutlich weniger nervende Bands, z.B. die Abstürzenden Brieftauben. Aber wie immer: alles Geschmackssache und somit für mich auch kein Meilenstein. Ich hab diese quäkige Stimme damals gehasst.
http://youtu.be/oo7_qRhypWc
In Sachen Fun-Punk aus Deutschland: Die Crackers
nie verstanden,wie man sich die mit wonne geben konnte.hab allerdings auch generell son bissi nen prob mit allem, was aus der funpunk ecke daherschlawenzelt.
Lagwagon & Co. passt gar nicht in die Fun-Punk-Schublade. Die "Punk-Legende" Lagwagon http://www.laut.de/Lagwagon/Alben/Hang-94649 kommt aus der Skate-Punk-Ecke oder wie oben genannt aus dem Bereich Westcoast Punk...
Ärzte waren eigentlich noch nie Punk sondern schon immer Pop.
Sehr geiler Meilenstein! Hab ich schon ewig nicht mehr gehört, aber eine schöne Erinnerung.
Ich trau meinen Augen nicht, bester Meilenstein seit ewig! Grande Olga! Und die Livekonzerte erst, sowas gabs danach nie wieder. Ich hör die Jungs heute noch immer mal wieder, und zwar fast alle Alben.