laut.de-Kritik
Ein Manifest für die Vereinbarkeit von Techno und Pop.
Review von Martin TenschertDer kanadische Techno-Posterboy Tiga scheint trotz stressigem DJ-Jetset nicht zu altern. Frisch und rosig präsentiert er sich auf den wie gewohnt Bowie und Ferry angehauchten Pressefotos für sein neuestes Werk "No Fantasy Required". Nach eigener Aussage reizte ihn das Albumformat stets mehr als der typische Singles-Output, der in der elektronischen Musik an der Tagesordnung ist. Dabei kristallisierte sich beim Mann aus Montreal trotz der tiefen Verwurzelung im Underground immer eine gewisse Vorliebe für süßliche Melodien und Pop-Vocals heraus, die er fast immer selbst beisteuert.
Tiga hat den Ruf eines treuen Freunds - auch bei der Arbeit schätzt er altgediente Weggefährten wie den Finnen Jori Hulkkonen, mit dem er 2001 den Überhit "Sunglasses At Night" produzierte. Seit einigen Jahren treten die beiden auch mit ausgeklügelter Liveshow auf: Tiga als Sänger, Jori an den Maschinen.
"No Fantasy Required" bringt ebenfalls das Potenzial mit, live aufgeführt zu werden. Tigas Stimme präsentiert sich bei Songs wie "3 Rules" fast ohne Effekte: Eine Whitney Houston ist er natürlich nicht, aber gerade bei runtergestrippten funky Songs, die einem die einfachen Regeln des Tanzgeschäfts näherbringen, liefert der Star-DJ am Mikro. Sympathischer Nebeneffekt: ein ungeniert zur Schau getragener kanadischer 'Acc-e-cent-e'.
Die Vermählung von krassen Acid-Tracks und Hingabe zum Pop, das trauen sich nicht viele. Diesen Crossover hat Tiga, der Wandler zischen Glam und Dreck, über die Jahre hinweg perfektioniert ("Always").
Entertainer-Qualitäten sucht man bei vielen DJs vergeblich - doch Tiga, nach dem übrigens Sven Väth seinen Sohn benannte, versteht sich ähnlich wie ein DJ Hell eher als Gesamtkunstwerk: Look und Gestus sind eben fast so wichtig wie Musik. Eine Haltung, die bei vielen Electro Clash-Kopien nicht vorhanden war, die Anfang der 2000er nur auf das schnelle Geld aus waren.
"No Fantasy Required" zelebriert dagegen die Liebe zum Detail. Diese Einstellung offenbaren auch Stücke wie "Planet E", an dem Shootingstar Hudson Mohawke mitwirkte. Der Track würde auf dem Catwalk genauso wie im Berghain funktionieren. Ein Manifest für die Vereinbarkeit von Techno und Pop.
1 Kommentar
Richtig tolles Album. Die Tracks sind auf dieser Platte humorvoll, verrückt und energiegeldaden, genauso wie vor 15 Jahren und bringen einfach unglaublich viel Charme mit sich. Ich hatte hohe Ansprüche an dieses Album und muss sagen, dass Tiga mich wieder einmal überrascht hat. "Always" zwitschert düster Acid mäßig durch den ganzen Raum, gefolgt von dem wahnsinnig irren Song Planet E, unterstützt durch eine repetitive, aber angenehmen roboterhaften Stimme. Der Track "Plush" bleibt für mich das absolute Highlight auf dem Album und lässt sich mit dem genial schrillen und stylisch inszenierten Musik-Video noch mehr genießen. Einerseits schaffen die einzelnen Songs es immer wieder leicht humorvoll, erinnernd an Dada Bilder einen zum Grinsen zu bringen oder sie sind so stylish sexy, dass man wie in "Drive" gerne Nachts durch die Großstadt fahren möchte. Top.