laut.de-Kritik

Vom Folk blieb nur die Melancholie.

Review von

Ein Faible für außergewöhnliche Orte kann man Timber Timbre-Sänger und Multi-Instrumentalist Taylor Kirk nicht absprechen: Als Geburtsstätte für das sechste Studioalbum der kanadischen Folk/Blues-Band fungierte dieses Mal ein altes Herrenhaus aus dem 19. Jahrhundert. Das La Frette Studio, etwas außerhalb von Paris gelegen, beherbergte bereits große Namen wie Nick Cave and the Bad Seeds, Feist, Patrick Watson, und könnte genau so gut als Schauplatz eines Wes Anderson-Films dienen.

Kirk und seine Bandkollegen Mathieu Charbonneau, Simon Trottier und Olivier Fairfield nutzten für "Sincerely, Future Pollution" ein breites Arsenal an alten Synthesizern aus den späten 70ern und frühen 80ern aus dem Fundus des La Frette Studios. Das Album klingt elektronischer und synthiebeladender als die Vorgänger, vom Folk übrig blieb nur die Melancholie. Kirks schwermütigen Gesang in "Sewer Blues", der ersten Single des Albums, begleitet dichter Delay. "I'll go way back to you, I'll go way back through you": Der Refrain könnte stimmlich und textlich aus der Feder von Nick Cave stammen.

Der Kontrast zwischen dunklen Lyrics und hellen, wabernden Synthesizern schickt den Hörer auf einen "trip down memory lane". "Sincerely, Future Pollution", das gleichnamige Stück zum Album, wartet mit einem wie von Jean Michel Jarre anmutenden Soundgerüst auf. "Bleu Nuit" verspricht in der ersten Minute Ähnliches, bis die mechanisierten Vocals einsetzen und man unweigerlich an Laurie Andersons "O Superman" denkt: ein guter Track für nächtliche Fahrten auf der Autobahn.

Die dunklen Texte kommen nicht von ungefähr. "Es ist eine Mischung aus Science-Fiction und nicht-fiktiver dystopischer Szenerie. Unvermeidbar in der heutigen Zeit, in der Angst und Unwohlsein herrschen." Politisch positionieren möchte sich Taylor Kirk aber nicht: "Das ist das Problem, wenn man Kritik üben will. In all den Jahren habe ich das Privileg genossen, mich in meiner Musik nur um meinen eigenen Kram zu kümmern. (...) Unter den heutigen Umständen wäre es unverantwortlich, sich nicht zu äußern. Aber ich bin kein Aktivist. So deutlich wäre ich nie."

Das Bild einer post-apokalyptischen Szenerie tritt deutlicher in den Texten als in der Instrumentalisierung zutage. "Grifting" gerät überraschend funky, die Vocals erinnern an David Bowie. Unerwartet endet auch das vergleichsweise langsame Stück "Moment". Plötzlich setzen treibende Drums ein, es folgt ein psychedelischer Gitarrenpart. Ein bisschen obligatorischer Kitsch, ein kleiner Wermutstropfen, ist am Ende der Platte trotzdem vertreten: Die fiebrige Ballade "Floating Cathedral" hätte besser in die 80er gepasst.

"Sincerely, Future Pollution" befindet sich in einem komplett anderem Universum als beispielsweise Timber Timbres selbstbetitelter Erstling von 2006. Ausgehend von dem 2014er-Album "Hot Dreams" zieht die Platte allerdings die logische Schlussfolgerung und markiert natürliche Progression. Das denkt auch Kirk: "Freunde fanden die Platte erst komisch, ebenso die Labels, weil es sehr inkongruent zu unserer früheren Musik scheint. Aber ich bin sehr stolz darauf. Ich glaube, es ist das Beste, das wir je herausgebracht haben."

Trackliste

  1. 1. Velvet Gloves & Spit
  2. 2. Grifting
  3. 3. Skin Tone
  4. 4. Moment
  5. 5. Sewer Blues
  6. 6. Western Questions
  7. 7. Sincerely, Future Pollution
  8. 8. Bleu Nuit
  9. 9. Floating Cathedral

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1 Kommentar

  • Vor 7 Jahren

    Bin etwas geschockt, dass die inzwischen live so ne "Köln, Hamburg, Berlin or bust!"-Strategie fahren. Sind für mich definitiv kein Grund, eine dieser völlig überschätzten Metropolregionen aufzusuchen.

    Die letzten beiden Platten habe ich, "Hot Dreams" fand ich sogar richtig gelungen, gerade, da sie mehr Wert auf Atmosphäre denn auf Genretreue legten. Dass sie hier jetzt trackweise die eigene musikalische Progression voran treiben wirkt auf mich bislang sehr sympathisch, Album hat Repeat-Potential.